Kanada - Die Metropolen:Langweilig? No way!

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Kanada hat eine Reihe kosmopolitischer Städte, die den Vergleich zu den USA nicht scheuen müssen. Einwohner von Toronto, Ottawa, Montréal und Québec geben zu Protokoll, was sie an ihren Städten lieben.

Verena Wolff

Toronto

May Yeung ist Krankenschwester in Toronto. Sie lebt am Ontariosee, seit sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern aus Hongkong kam.

Die allgegenwärtige Nadel

"Den CN Tower, sagt mancher in Toronto, sehe man nur von einem einzigen Punkt in der Millionenstadt nicht - nämlich dann, wenn man selbst auf der Aussichtsplattform steht. 553 Meter ist diese markante Nadel hoch, die an vielen Stellen zwischen den Wolkenkratzern hervorlugt und die Skyline dieser wuseligen Millionenstadt dominiert.

Die einen lieben dieses Gebäude, die anderen hassen es. So war es schon, seit der Bau 1976 fertiggestellt wurde. Gut 31 Jahre war der Turm das höchste nicht abgespannte Bauwerk der Welt - das finde ich äußerst eindrucksvoll. Erst 2007 wurde die Höhe überrundet - vom Burj Dubai, der kürzlich eröffnet wurde. Inzwischen gehört der Turm wohl zu den Symbolen Kanadas - jährlich fahren rund zwei Millionen Besucher auf die Aussichtsplattform oder gehen im Restaurant auf 351 Metern Höhe Essen.

Spannend ist es auch, diese Stadt immer wieder von oben zu beobachten - denn in Toronto passiert viel. Sehr viel. Folgendes habe ich letztens gelesen: Toronto verfügt über mehr Schaufenster pro Einwohner als jede andere nordamerikanische Stadt. Nach New York und London bietet Toronto die größte Anzahl von Live-Bühnen und Theatern.

"Tomato, Canada"

In Toronto ist immer etwas los - auch wenn das nicht immer so war. Früher hatte die Stadt den Ruf, bieder, brav und langweilig zu sein. Ezra Pound, so heißt es, schrieb einst einen Brief an Ernest Hemingway, damals Reporter beim Toronto Star - und adressierte ihn nach "Tomato, Canada". Der Brief kam an.

Die Stadt ändert sich ständig - und ich habe das Gefühl, sie wird immer größer. Besonders gut gefallen mir die ethnischen Viertel wie das Chinatown - obwohl es davon im Grunde genommen mehrere in der Stadt gibt. Das Ur-Chinatown und noch immer das größte ist das um die Dundas Street und die Spadina Avenue. Dort lebt mehr als eine halbe Million Chinesen - und wenn man einmal drin ist, hat man nicht mehr das Gefühl, in Kanadas größter Stadt zu sein - sondern tatsächlich irgendwo in China. In oder ganz in der Nähe Chinatown liegen zudem einige Berühmtheiten der Stadt: Das Ontario College of Art & Design, das Sharp Centre for Design, die Art Gallery of Ontario oder die Grange Modern Gallery.

Und wenn der Trubel nervt? Dann ist man innerhalb kürzester Zeit an ganz abgelegenen Orten. Traumhaft zum Flanieren ist die Harborfront am Ontariosee - aber auch da kann der Bär steppen. Stiller geht es auf den Toronto Islands zu - sie sind der beste Ort, um die Skyline der Stadt am Ufer des Lake Ontario zu überblicken und zu bewundern. Autos gibt es hier nicht - dafür Strände und Parks."

Ottawa

Phil Whitehead war lange Jahre Berufssoldat und ist mit den kanadischen Streitkräften weit gereist. Seine Homebase war aber immer die Hauptstadt - aus der er einfach nicht wegziehen will.

"Muss eine Hauptstadt in der Provinz öde sein? Meine klare Antwort lautet: Nein! Ottawa ist nicht Toronto, auch nicht Vancouver oder Montréal. Aber deswegen ist die Stadt mit ihrer Dreiviertelmillion Einwohner alles andere als langweilig und fad.

Die königliche Hutnadel

Die Erhebung Ottawas zur Hauptstadt ist, wenn die Legende stimmt, ein ganz eigenes Kapitel britischen Humors: Bereits im Jahr 1855 hatte die Stadt etwa 10.000 Einwohner, die Holzindustrie war bedeutend und sorgte für Arbeit. Zwei Jahre später musste die britische Königin Victoria eine Hauptstadt für die Provinz Kanada auswählen. Sie soll also eine Hutnadel auf einer Landkarte etwa zur Hälfte zwischen die Städte Toronto und Montréal gesteckt haben - der nächste Ort war Ottawa.

Doch Ottawa lag tatsächlich in verschiedener Hinsicht günstig: an der Sprachgrenze der Franko- und Anglokanadier, was für beide europäischen Bevölkerungsteile akzeptabel war und befand sich noch dazu im Hinterland, nicht zu nah an der Grenze mit den Vereinigten Staaten. Sollte es also noch einmal Krieg geben, schien Ottawa weniger leicht angreifbar als etwa Toronto.

Nicht nur Büro-Hengste

So spröde und bürokratisch, wie Ottawa noch vor ein paar Jahrzehnten war, ist die Stadt schon lange nicht mehr. Die Menschen huschen nicht tagtäglich mit dunkelblauen Anzügen und weißen Hemden in die Regierungsgebäude - sie arbeiten zwar dort, aber in ihrer Freizeit haben sie Spaß am Leben. Unbestrittenes Zentrum ist der Byward Market, der zentrale Platz zum Einkaufen, Essen und Flanieren.

Was mir besonders gut an der Stadt gefällt ist, dass alles in "walking distance" ist - viele Ziele sind in einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar. Man kann das sehr britische Changing of the Guard beim Parlament anschauen und ist dann fix in den Museen, von denen es immer mehr in der Stadt gibt. Oder man spaziert zu einem der drei Flüsse, die durch die Stadt fließen. Und auch der Winter hat hier seine Reize, auch wenn es oft wochenlang bitterkalt ist. Dann wird der Rideau Canal zu einer acht Kilometer langen Schlittschuhbahn, auf der man sogar Anzugträger mit Aktentasche zur Arbeit gleiten sieht. Und wir haben das größte Winterfestival in ganz Nordamerika, die Winterlude, mit Eisskulpturen, Konzerten und allerlei Veranstaltungen.

Arbeit gibt es in Ottawa genug. Hier sitzen die wichtigsten politischen Institutionen des Landes: das Parlament mit Senat und Unterhaus, der Generalgouverneur und der Oberste Gerichtshof. Zudem sind 126 Auslandsvertretungen und Hochkommissare in der Hauptstadt vertreten. Auch die Bank of Canada hat in Downtown Ottawa ihren Sitz.

Das alles erinnert mich immer wieder ein bisschen an die amerikanische Hauptstadt Washington mit ihren politischen Institutionen, Stiftungen, Botschaften und zahlreichen Museen. Ist diese Stadt etwa langweilig?"

Montréal

André David ist in Montréal geboren und lebt inzwischen in Québec City - weil es dort ruhiger ist, wie er sagt. Aber es vergeht kein Monat, in dem er nicht nach Montréal fährt, um ein bisschen Großstadtluft zu schnuppern.

"Montréal ist der absolute Multikulti-Geheimtipp - und zwar für ganz Nordamerika. In Toronto und Vancouver gibt es sehr, sehr viele Asiaten und auch andere Zuwanderer, New York ist ein echter Schmelztiegel - aber in Montréal gibt es wahrscheinlich die meisten Zuwanderer aus aller Herren Länder, die friedlich nebeneinander leben und ihr kulturelles Erbe pflegen.

Eine abgelegene Weltstadt

Ich bin in Montréal geboren, im südwestlichen Teil der französischsprachigen Provinz Québec, vor gut vier Jahrzehnten. Seitdem hat sich einiges getan in der Stadt, die angeblich die größte französischsprachige Stadt nach Paris sein soll - dabei sind rund 20 Prozent der Bevölkerung, heute etwa 3,7 Millionen Menschen im Großraum, englischsprachig. Vieles allerdings ist auch gleich geblieben - Montréal ist eine chaotische Stadt, eine, die sich nicht so recht in die Schachbrettmuster nordamerikanischer Großstädte einpassen lässt und die viel vom savoir-vivre französischer Orte hat.

Das Stadtgebiet liegt auf der Île de Montréal im Hochelaga-Archipel, am Zusammenfluss von Ottawa River und Sankt-Lorenz-Strom. Soviel zum geografischen. Vom Gefühl und den Gepflogenheiten her erinnert mich Montréal viel mehr an europäische als an amerikanische Städte, die Menschen sind insgesamt südländischer. Sobald es warm wird, stehen die Tische der Bistros auf den Straßen, die Leute genießen jeden Sonnenstrahl. Das müssen sie auch - denn die Winter hier am St-Lorenz-Strom sind lang, mitunter bitterkalt und sehr ungemütlich.

So kommt es, dass die Stadt ein reges unterirdisches Leben hat: Zur Weltausstellung 1967 leistete sich Montreál seine Metro und danach entwickelte sich die Erweiterung der Stadt nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe - ein bislang unbekanntes Konzept. Inzwischen findet man mehrere unterirdische Shoppingzentren, in denen es kaum etwas gibt, das es nicht gibt - von Geschäften über Banken, Behörden, Hotels und Kinos. Angefangen hat diese Ville souterraine am Place Ville-Marie: Das kreuzförmige Hochhaus ist einer der ältesten Wolkenkratzer Montréals und gleichzeitig die Keimzelle dieses Systems.

Teilende Achse in der Stadt

Viel schöner allerdings ist das Leben natürlich draußen - vom Frühjahr bis zum Herbst ist das auch kein Problem. Der Boulevard St-Laurent ist die Nord-Süd-Achse der Stadt - er bildet auch die Sprachgrenze: Westlich davon ist die Stadt eher englisch geprägt, nach Osten hin französisch. Auf dem Boulevard St-Laurent kann man shoppen, flanieren, essen, trinken oder einfach nur Passanten beobachten.

Interessant ist auch, in die angrenzenden Viertel zu gehen. In Chinatown, dem jüdischen Viertel, Little Italy und all den anderen Orte, an denen sich die verschiedenen Zugezogenen niedergelassen haben, leben die Menschen wie in ihrer alten Heimat.

Doch das ist noch nicht alles - denn Montréal ist nicht nur die Stadt Montréal, sondern auch die Umgebung. An klaren Tagen ist ein Besuch auf dem 233 Meter hohen Hausberg Mont Royal das Schönste, was man machen kann. Von hier aus hat man einen hervorragenden Blick auf die Skyline der Innenstadt. Während es auf der Aussichtsterasse am Chalet du Mont Royal immer voll ist, sind die Wander- und Radwege in den Wäldern drumherum teils so ruhig, dass man meint, man sei ganz weit aus der Stadt weg."

Québec City

Marianne Lemay ist eine echte Frankokanadierin. Sie kommt aus einem kleinen Ort in der Nähe von Québec City, wo sie seit ihrer Studentenzeit lebt.

"Québec ist eine sehr übersichtliche Stadt - sie ist nicht zu groß, und doch ist alles da, was man zum Leben braucht. Und Québec ist sicher die europäischste aller Städte in Nordamerika. Sie hat noch eine intakte Stadtmauer, die die Haute-Ville, die Altstadt, umschließt. Besonders markant dort oben ist das Château Frontenac, heute ein Hotel und von fast jedem Punkt in der Stadt sichtbar. Am südlichen Ende der Oberstadt liegt die Zitadelle von Québec - ein guter Punkt, um sich einen Überblick über die Stadt zu verschaffen.

Alte Gemäuer und junge Leute

Die Basse-Ville befindet sich außerhalb der Stadtmauer - und eben unterhalb der Altstadt, näher beim Sankt-Lorenz-Strom mit dem Hafen. Zentraler Platz der Unterstadt ist der Place Royale mit seiner Kirche Notre Dame des Victoires. Mit einer kleinen Zahnradbahn, der Funiculaire du Vieux-Québec, überwinden die Québecois den Höhenunterschied zwischen Unter- und Oberstadt. Aber es gibt auch zahlreiche Treppen und Straßen für die Sportlichen.

Sportlich bin ich lieber woanders - nämlich direkt am Ufer des großen Flusses. Dort ist ganz neu gebaut die Promenade de Champlain, benannt nach unserem Stadtgründer Samuel de Champlain. Er hatte am 3. Juli 1608 am heutigen Place Royale die damalige Hauptstadt der französischen Kolonie Kanada gegründet. Die Promenade ist ein 2,5 Kilometer Weg, prima geeignet zum Laufen, Radfahren, Inlineskaten oder einfach nur um im Grünen zu sitzen und den anderen zuzuschauen, die vorbeiflanieren oder ebenfalls den herrlichen Ausblick genießen. Besonders schön ist, dass wir jetzt endlich einen Zugang zum Fluss auf einer großen Länge haben. Früher gab es kaum die Möglichkeit, an den Sankt-Lorenz-Strom zu gehen, es sei denn, man ging an den Hafen.

Ansonsten ist Québec einfach so europäisch, dass ich gar nicht weiß, wo ich mit dem Schwärmen anfangen soll. Die alten Gemäuer, die Atmosphäre und der Flair der verwinkelten Gassen in der Stadt, die überwiegend sehr netten Leute, die sich kennen und grüßen, die Straßencafés, das Essen - das alles hat sehr wenig mit dem Rest Kanadas oder gar Nordamerikas zu tun. Es ist tatsächlich so, als lebte man in einer französischen Enklave.

Ein farbenfroher Winter

Auch wenn es immer wieder Initiativen zur Abspaltung vom englischsprechenden Teil gibt: Die meisten sind mit ihrem Leben so zufrieden, wie es ist. Und: die meisten sprechen, auch in Québec, recht gut Englisch - auch wenn sie sich gern ein bisschen bitten lassen.

Eine Besonderheit haben wir noch und zwar mitten in der ungemütlichsten Jahreszeit: Zwar mag ich den Winter nicht besonders, doch wenn der Bonhomme Carnaval, ein großer, dicker Schneemann mit roter Zipfelmütze, über die Stadt herrscht, dann muss man einfach rausgehen und bei den Festlichkeiten mitmachen. An den Tagen vor Aschermittwoch feiern wir, wie andere katholische Länder auch, Karneval, aber eben auf unsere Weise. Mit dem Bonhomme wird die alte Stadt zu einer kleinen Wunderwelt, die nicht nur die Kinderaugen strahlen lässt. Eisskulpturen stehen in dieser Zeit an jeder Straßenecke und in vielen Vorgärten. Beim Parlament wird ein Schloss aus Schnee und Eis gebaut, in dem der Bonhomme während der Festivitäten lebt.

Es gibt viele leckere Spezialitäten aus allen Teilen der Provinz zu probieren und einen ganz besonderen Wettbewerb mit historischen Wurzeln: das Kanurennen zum anderen Ufer des halb zugefrorenen Sankt-Lorenz-Stroms. Früher mussten die Inselbewohner Waren aus der Stadt in Booten über den fast einen Kilometer breiten Fluss transportieren, denn es gab weder Brücken noch Fährverbindungen. Heute ist es das Kanurennen einer der beliebtesten Wettbewerbe während des Carnavals, dem Massen von Zuschauern sicher sind."

Informationen:

Canadian Tourism Commission, c/o Lange Touristik-Dienst, Eichenheege 1-5, 63447 Maintal

Anreise:

Flüge nach Kanada bieten alle großen Fluggesellschaften von verschiedenen deutschen Flughäfen aus. Air Canada fliegt täglich von Frankfurt nach Vancouver und Montréal sowie mehrmals am Tag nach Toronto. Die kanadische Fluggesellschaft bietet zudem die meisten Inlandsflüge an. Für einen Aufenthalt von bis zu maximal drei Monaten benötigt man zur Einreise einen mindestens sechs Monate gültigen Reisepass.

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