Monte Baldo am Gardasee:Der Garten Italiens

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Wildblumenwiese mit Aussicht am Monte Baldo, Gardasee (Foto: SusaZoom/Fotolia)

Die Blumenvielfalt des Monte Baldo breitet sich vom Tal bis in hochalpine Lagen aus. Doch auch am Gardasee zeigt sich der Klimawandel.

Von Helmut Luther

Die Fleecemütze tief über ihre Stirn gezogen und in eine Daunenjacke gepackt, sitzt Giannina Salvetti auf einem Traktor. Die Bäuerin lenkt das Fahrzeug zwischen zwei wie gestriegelt aussehenden Rebzeilen hindurch. Hinten auf dem Anhänger türmt sich ein Haufen getrockneter Kuhmist. Dort steht auch Gianninas Ehemann Enrico.

Mit einer Schaufel wirft er den Mist vor die in akkuratem Abstand gepflanzten Rebstöcke. Dann rumpelt Giannina mit dem Fahrzeug einige Meter weiter und fädelt in die nächste Rebzeile ein.

Ihren Weinacker oberhalb von Besagno bewirtschaften die Salvettis nach Biorichtlinien, sie verzichten also auf Kunstdünger, Herbizide und Pestizide. Im Gegensatz zu Giannina, die nur manchmal mithilft, ist Enrico immer draußen. Obwohl an diesem Märzmorgen die Sonne hinter Schleierwolken wenig Kraft hat, ist Salvettis Gesicht braun gebrannt.

Im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt sei die Vegetation auch dieses Frühjahr wieder weit fortgeschritten, erklärt der Bauer. Er zeigt auf zwei Bäume, die am Ackerrand an einer Trockenmauer stehen. Ein Mandelbaum hat schon zartgrüne Triebe, der Marillenbaum ist bereits in voller Blüte. Seine rosa Blüten darf jetzt kein Frost mehr erwischen. Dann, so Enrico Salvetti, trage der Baum im Spätsommer viele Früchte.

Hochalpine Flora auf dem Monte Baldo (Foto: mauritius images)

Das kleine Besagno bildet die östliche Pforte zur Brentonico-Hochebene sowie zum Monte Baldo, der den Gardasee vom Etschtal trennt. Die etwa 30 Kilometer lange und bis rund 2200 Meter hohe Bergkette ist im Frühjahr Ziel von Botanikern und Blumenliebhabern. Über dem Talboden mit submediterranem Klima, wo Palmen und Olivenbäume wachsen, staffeln sich mehrere Vegetationszonen.

Der letzten Eiszeit sind viele der botanischen Raritäten zu verdanken

Kastanienhaine und Buchenwälder überziehen die mit Dörfern betupften Terrassen, die der Eiszeitgletscher geformt hat. Weiter oben dehnen sich Almen aus, ganz oben dann die Gipfelregion mit ihrer hochalpinen Flora. Weil die höchsten Spitzen des Baldomassivs während der letzten Eiszeit die kompakte Eisdecke überragten, gedeihen dort seltene Pflanzenarten, etwa die Dolomiten-Teufelskralle oder das Monte-Baldo-Windröschen.

Schon in wenigen Wochen werden die Wiesen und Hänge im Naturpark Monte Baldo von schier unzähligen mehr oder weniger seltenen bunten Blumen übersät sein. Doch noch sind die höher gelegenen Hänge von einem borstigen Braun bedeckt. Michele Zandonati hat deshalb als Treffpunkt einen Parkplatz an der Straße von Besagno nach Castione und eine Tour auf den Monte Giovo vorgeschlagen, mit 643 Metern nicht wirklich ein Berg.

Der 50-jährige Bergführer mit grau meliertem Stoppelbart stapft gemächlich voran. Schon nach wenigen Gehminuten bleibt er kurz stehen, um die Funktionsjacke auszuziehen. Die Kälte sei ihm weit lieber als die Wärme, erklärt der Bergführer. "Ich denke langsam ans Auswandern, Grönland und Alaska stehen ganz oben auf meiner Wunschliste." Im vergangenen Winter habe es im Trentino lange keinen Schnee gegeben, sagt Michele Zandonati. "Für Skitouren sind wir zum Alpenhauptkamm nach Südtirol gefahren."

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Vorbei an einem Ape-Roller, auf dessen Ladefläche ein älterer Mann zersägte Baumstämme wuchtet, windet sich ein gepflasterter Pfad zwischen terrassierten Hängen bergan. Der Weg ist von Trockenmauern aus Kalkstein eingerahmt. Halb verdeckt von wucherndem Grün klaffen höhlenartige Löcher im Fels: Dort wurde der Giallo Castione abgebaut, ein gelber Marmor, den schon die Römer schätzten, erklärt Zandonati.

In den vergangenen Jahrhunderten seien in ganz Europa Paläste und Kirchen mit dem Giallo Castione errichtet und dekoriert worden. "Der Marmor eignet sich für Böden, Stufen und Portale, 19 verschiedene Verwendungszwecke hat man gezählt, bevor die letzte Firma 1984 ihren Betrieb einstellen musste", sagt Zandonati.

Es geht an Erlen mit gelbgrünen Blüten vorbei. Aus modrig riechendem Laub unter Weidenstämmen spitzt das himmelblaue Märzveilchen. Zwischen dürrem Gras recken Waldprimeln ihre zartgelben, trichterförmigen Köpfe empor. Hummeln umschwirren die goldfarbenen Blüten der Kornelkirsche.

Von der Gipfelkuppe des Monte Giovo geht der Blick über die dunstige Etschebene. Der Fels des Monte Giovo ist von Schützengräben aus dem Ersten Weltkrieg durchlöchert. Zandonati wendet sich nach Norden und zeigt auf das gegenüberliegende Grestatal: In einem Dorf dort drüben lebe seine Familie seit Generationen. Im Ersten Weltkrieg hätten sich die Österreicher im Grestatal verschanzt. "Hier auf dem Monte Giovo lagen die Italiener."

Wenn Schulklassen, die er gelegentlich herauf begleite, wissen wollten, ob er sich eher als Österreicher oder als Italiener fühle, erklärt er ihnen, dass sie überhaupt nichts verstanden hätten, sagt Zandonati: "Krieg bedeutet für die Bevölkerung immer eine Tragödie, egal welcher Nation sie angehört."

Wer statt von den Schrecken des Krieges mehr über die Blumen des Monte-Baldo-Gebietes erfahren möchte, fährt weiter nach Brentonico. Der Weg dorthin führt über den Passo San Valentino und dann durch schmale, in die Felsen gesprengte Tunnel zur Bocca del Creer, wo eine ehemalige Militärstraße im Zickzack zum 2079 Meter hohen Monte Altissimo hinaufführt. Bei Schönwetter kann man von dort bis zum Südufer des Gardasees sehen.

Nach Brentonico kommt, wem die Bergblumen des Monte Baldo zu weit weg sind

In Brentonico gibt es südlich der zentralen Piazza mit der Pfarrkirche einen Prachtbau, der für Naturinteressierte Überraschungen bereithält: der mit Fresken bemalte Palazzo Eccheli Baisi.

Der ehemalige Adelssitz beherbergt eine Fossiliensammlung und einen botanischen Garten. Christian Perenzoni, Bürgermeister des Städtchens, führt durch die Räume. "Das waren noch Zeiten, als ich mich ganz meinem erlernten Beruf als Architekt widmen konnte!", sagt Perenzoni, nachdem er sein ständig klingelndes Telefonino stumm geschaltet hat. Vorbei an der Fossilienausstellung mit mehr als tausend Exponaten - zumeist versteinerte Krebstiere und Schnecken aus dem südlichen Monte-Baldo-Gebiet - lotst Perenzoni den Besucher über eine Freitreppe in den südexponierten Garten hinaus.

Mit seinen symmetrisch angeordneten Wegen, Treppen und von Buchsbaumhecken flankierten Grünflächen ist der Orto Botanico der Nachbau eines Renaissancegartens. Dort finden sich Heilkräuter, Gewürz-, Gift- und Nutzpflanzen. Im Steingarten, der sich über einen Hang erstreckt, gedeihen etliche der knapp 2000 Wildpflanzenarten, die im Monte-Baldo-Gebiet verbreitet sind. Hier finden Besucher, die nicht so gut zu Fuß sind, auf kleiner Fläche viele der Blumen, die auf dem Monte Baldo weit verstreut und zuweilen gut versteckt sind.

Im Dachgeschoss des Palazzos verbirgt sich eine weitere Sehenswürdigkeit: eine hundertjährige Apotheke. Die dunklen Holzregale und Schubladen scheinen mit dem Kräuterduft aus Hunderten mit schwarzer Tinte beschrifteten Gläsern getränkt zu sein. Gelehrte hätten den Monte Baldo bereits im 16. Jahrhundert als "Hortus Italiae", Italiens Garten, gerühmt, erzählt Perenzoni. "Kaum irgendwo sonst wurden seit der Renaissance so viele Studien über Pflanzen und Heilkräuter verfasst."

© SZ vom 21.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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