Frankfurt am Main:Feines Stöffche

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Wo, bitte schön, ist die Apfelweinkultur geblieben? In Frankfurts Apfelweinkneipen wird das umstrittene Getränk gerade aufgefrischt: ein Besuch in Alt-Sachsenhausen.

Von Susanne Höll

Gemütlich? Von wegen. Vom Himmel grieselt nasser Schnee, der Wind pfeift unangenehm. An vielen Ecken eine Shisha-Bar, die Türen verriegelt, jetzt, in der nassen Kälte des Januars, hält sich die Feierlaune in sehr engen Grenzen. Kneipen, in denen es Bier zum Meterpreis gibt, sind dunkel. Willkommen in Alt-Sachsenhausen, einem Teil Frankfurts mit, nun ja, widersprüchlichem Ruf.

Einst glaubten Leute, jedenfalls jene, die von Frankfurt wenig Ahnung hatten, die Gegend rund um die Klappergass' sei ein Hort der Apfelwein-Romantik, ein Quartier, in dem es so behaglich zugehe wie in der seinerzeit höchst beliebten Fernseh-Volksmusiksendung "Zum Blauen Bock". Inzwischen ist es bundesweit bekannt als Amüsierviertel, in dem man es im Sommer krachen lassen und Junggesellen-Partys in Häschen-Kostümen feiern kann. Wo, bitte schön, ist die Apfelwein-Kultur geblieben? Eine Spurensuche nach einem Getränk, das so umstritten ist wie das Quartier.

Frankfurt am Main: SZ-Karte

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Am Rondell mit dem schönen Namen Affentorplatz, direkt gegenüber der Caritas-Frauenberatungsstelle, liegt eine Schenke neben der nächsten. Urwüchsig? Nicht unbedingt. Die eine bietet neben dem traditionellen Schoppen einen "Ebberol-Spritz" an, eine Mischung aus Apfelwein - im heimischen Idiom Ebbelwoi genannt - und Aperol sowie Mineralwasser. Mode-Drink. Hätt' es früher niemals gegeben, sagen Einheimische. Die Konkurrenz nebenan hat die Speisekarte in zehn Sprachen ausgehängt, selbst an Japaner, Chinesen und Koreaner wurde gedacht. Massengeschäft? Im Sommer sicher. Reisegruppen machen oft einen Abstecher nach Sachsenhausen. Weiter durch den Wind.

Um ein paar Ecken herum in die Dreieichstraße. Ein Altbau, die Wirtschaft namens "Zu den 3 Steubern". Eine Sachsenhäuser Legende der besonderen Art. Ein vergleichsweise kleiner Gastraum, Holztische und Bänke, keinerlei Firlefanz, Gardinen mit altmodischen Mustern. Der Kellner, ein, wie sich alsbald herausstellen wird, Vertreter der traditionellen Frankfurter Zunft, weist einen Platz zu. Eine Begrüßung erspart er sich. Hinter der Theke steht der Besitzer Wolfgang Wagner, er geht auf die 90 zu. Bis vor ein paar Jahren hat er seinen Wein noch selbst gekeltert, inzwischen kauft er sein Stöffche, so sagt man, außer Haus.

Die Speisekarte ist überschaubar: Handkäse, der, wie die Tischnachbarn erzählen, in einer Schublade aufgehoben wird, ein paar Wurstsorten, Soleier gibt es an diesem Abend auch. Das Glas Apfelwein kostet 1,70 Euro, preiswerter geht es nicht. Man ordert ihn pur oder mit Mineralwasser versetzt. Wer sich blamieren möchte, verlangt Bier oder einen Süßgespritzten, Wein mit Limonade. Das gilt als barbarisches Memmengetränk. Der Kellner nimmt die Bestellung wortlos auf. "Der hat es auch nicht immer leicht", erklärt eine Banknachbarin das schroffe Verhalten. In Sachsenhäuser Puristen-Schenken geht es eben spartanisch zu. Keine Musik, kein Schunkeln, direktes Licht, kein Gedöns, kein "Blauer Bock". Gemütlich? Nein. Aber typisch. Hier lernt man ein Fremden verborgenes Stück Frankfurt kennen.

Am Tisch sitzen zwei Damen, fortgeschrittenes Alter, beide verwitwet. Gediegen schicke Kleidung, die Haare onduliert. Daheim fällt ihnen die Decke auf den Kopf, sie gehen gern aus, auf ein paar Gläser. Die zwei haben sich nicht verabredet, man kennt sich aus den Stammlokalen und trifft sich dort auch immer wieder. Für die zwei - und andere auch - ist der Schankraum ein zweites Wohnzimmer. Niemand fremdelt - mit Ausnahme des Kellners. Die Damen erzählen, vom Leben, vom Wein und von ihrer Sorge, dass die Wirtschaft zumacht, wenn der Wagner nicht mehr sein sollte.

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