Virtuelle Realität im Tourismus:Wow-Moment noch vor dem Kofferpacken

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Gerade noch war man im Hundeschlitten in den Wäldern Nordschwedens, schon liegt man am Strand: Virtuelle Realität macht's möglich. (Foto: Francois Nel/Getty Images)

Virtuelle Realität ist das Boom-Thema der Reiseindustrie. Der perfekt gefilmte Ort, erlebbar über Headset, soll zur Buchung animieren. Zwei Haken gibt es aber doch.

Von Irene Helmes

Plötzlich ist der Boden weg. Wo ein Teppich sein müsste, flimmern weit unten die Lichter von Las Vegas. Ein Blick über die Schulter: Am Horizont erstrecken sich Berge und Wüste Nevadas. Langsam fliegt der Helikopter den Strip entlang. Oder vielmehr, es fühlt sich so an.

Virtuelle Realität ist das Boom-Thema der Reiseindustrie. Bei der ITB standen an vielen Ständen Menschen mit taucherbrillenähnlichen Headsets und verrenkten den Kopf beim Entdecken von Umgebungen, die für Umstehende unsichtbar bleiben, in der Simulation aber zum Greifen nah wirken. Die Firma Interactive CMS etwa bietet mit "VTL 360 Virtual Travel Lounge" eine wachsende Datenbank von Ausflügen in alle Welt. Sie versetzt den Nutzer auf einen Hundeschlitten, der durch die verschneiten Wälder Nordschwedens gleitet, mitten in die Gletscherlandschaft Patagoniens oder an einen Strand Apuliens.

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Wie groß ist der Pool? Wo liegt das Kinderzimmer? Videoclips, gefilmt aus Helikoptern und Drohnen, zeigen Reisenden schon vorab alles.

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Die Möglichkeiten, von denen die Branche schwärmt, sind offensichtlich: Wer möchte keine Reise buchen, nachdem er an perfekt gefilmte Orte katapultiert wurde? Tui Cruises und Aida, Thomas Cook oder British Airways experimentieren seit einiger Zeit mit den Brillen, immer mehr Reisebüros springen auf. Hersteller wollen gerade Letztere überzeugen, dass Kataloge und Fotos überholt sind, dass hier eine bessere Chance wartet, Kunden zu begeistern. Für VTL 360 wurde extra eine Verknüpfung entwickelt, dank der Reiseberater auf einem zweiten Bildschirm beobachten können, was der Kunde über sein Headset erlebt. So soll der ideale Verkaufsdialog entstehen.

Andreas Weigel von Diginetmedia - die Firma produziert 360-Grad-Videos für Hotels und Reedereien - hat bei der ITB einen Vergleich mit der Gründerphase der Mobiltelefone gezogen, als alles mit Plastikknochen in den Händen einiger Technikfreaks und Millionäre begann. Folgt man dieser Analogie, wird die virtuelle Realität bald selbstverständlich sein. Allein die vergangenen Monate haben enorme Fortschritte gebracht, es werden Milliarden investiert. Neben der Unterhaltungsbranche mit Filmen und Games gilt der Tourismus als prädestiniert für die Umsetzung.

Allerdings: Nicht allen bekommt der Blick in die neue Welt, manchen wird schlicht schwindelig. Ein zweiter Haken könnte größere Folgen haben. Wer im Rundumblick die Sehenswürdigkeiten seines Ziels vorab besichtigen kann, minimiert zwar die Gefahr von Enttäuschungen, verliert womöglich aber die Wow-Momente während der Reise. Das Déjà-vu als Dauerzustand, auch darauf könnte diese faszinierende Technik im Tourismus hinauslaufen.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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