Deutsche Bahn:Ist da jemand?

Lesezeit: 2 min

Manchmal funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Kunden und der Bahn. Manchmal müssen Bahnfahrende jedoch Geduld aufbringen. (Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP)

Eine dringende Frage an die Bahn - und eine Antwort nach vier Monaten. Was sich daraus über das Leben lernen lässt.

Glosse von Jochen Temsch

Ich habe eine E-Mail von der Bahn erhalten - und kann mein Glück kaum fassen. Eine Antwort! Auf eine Frage, per Onlineformular abgeschickt im Aboportal der DB unter der Rubrik "Kontakt aufnehmen". Diese Option klingt ja von vornherein nach Scheitern. Ein bisschen so, als würde man sich nachts auf einen Hügel stellen und mit dem leuchtenden Handydisplay in die Sterne winken, um nach der Aufmerksamkeit Außerirdischer zu heischen. Aber von wegen - die Kontaktaufnahme hat geklappt. Statt eines Ufos kam diese Mitteilung aus dem Bahnuniversum zu mir herab. Und das schon nach nur vier Monaten Wartezeit!

Dass es nicht immer so schnell geht, mit den Zügen wie mit den Auskünften, versteht man als Vielfahrer: Verkehrsminister, die ihre Milliarden jahrzehntelang lieber unter Autobahnen und imaginären Mauthäuschen vergraben haben, als das marode Schienennetz zu renovieren. Mitarbeiter, die sich in einer Gewerkschaft organisieren, die im Tarifstreit um eine Stunde mehr oder weniger Arbeitszeit den ganzen Laden lahmlegt. Und dann noch nervige Kunden, die wissen wollen, warum ihr Deutschlandticket wochenlang korrekt auf dem Handy erscheint, um dann plötzlich und ohne erkennbaren Grund zu verschwinden wie der EC 89 von München nach Verona von der Zuganzeige am Bahnsteig.

Insgesamt läuft die Kontaktaufnahme ohnehin viel besser als früher. Inzwischen gibt es sogar Durchsagen für Pendler, deren Regionalexpress heute ausnahmsweise auf Gleis 5 abfährt, nein, doch auf Gleis 2 - von dem aus man noch verschwitzt vom Herdentrieb die Rücklichter sieht. Auch wer im Zug sitzt, wird ganz unmissverständlich per Lautsprecher von der Schaffnerin darüber informiert, was jeweils Sache ist. Etwa, dass das Deutschlandticket auf dem Handy zum Herumtatschen der Kontrolleurin bereitgehalten werden muss und nicht per Ausdruck oder Screenshot vorgezeigt werden darf: "Das ist nicht verhandelbar!"

Verhandeln musste ich dann doch jeden Tag, so Weselskyhaft waren die Reaktionen der Bahnmitarbeiter auf den digitalen Ticketschwund. Umso schöner, dass jetzt nach mehr als einem Vierteljahr diese Antwort kam: "Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass Ihre Anfrage bereits erledigt ist und wir Ihnen mittlerweile auf anderen Wegen helfen konnten."

Da gehen einem doch die Augen auf: Zeit ist nicht nur das, was den Bahnkunden vom Leben weggeknabbert wird, während sie auf ihre Züge warten. Zeit ist auch der weiche Mullverband, der sich Tag um Tag, Schicht um Schicht um Wut und Wunden legt, bis alles verheilt ist - eine geradezu geniale Firmenphilosophie, eine Weisheit von kosmischer Tragweite.

Die Bahn ähnelt in diesem Punkt der katholischen Kirche: Sie denkt nicht in Monaten, sondern in Äonen. Beide Organisationen antworten bei Störungen des Betriebsablaufs (Kundenbeschwerden oder Mitglieder, die etwa mehr Rechte für Frauen fordern) mit der Zeile eines Klassikers der Mainzer Fastnacht: "In 100 Jahren ist alles vorbei."

Davon können auch andere Branchen lernen. Ein Amtstermin für neue Kinderreisepässe? Gerne im Mai, reicht doch, dann sind die Osterferien eh vorbei. Wärmepumpe bestellen? In zwei Jahren wieder möglich, bis dahin muss man in den milden Wintern vielleicht gar nicht mehr heizen. Termin für die Herz-OP? 2026. Wir gehen davon aus, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt Ihre Anfrage bereits erledigt hat.

Angesichts dieses Blicks in die Ewigkeit und die Nichtigkeit der eigenen Existenz - wer wird sich da noch über die Bahn ärgern?

Der Autor genießt das Leben auch in vollen Zügen, mag aber keine Mitfahrer, die ihr Gepäck auf freie Plätze stellen. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUrlaub in Europa
:Unsere Reiseziele für 2024

Südtirol, Mallorca, Provence - zweifellos wunderschön. Aber Europa hat auch unbekanntere Ecken, die faszinieren. 14 Tipps, die garantiert noch nicht alle kennen.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: