Amerika, der Länge nach (XII):Es gibt doch einen Gott

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Urknall hin oder her: Beim Blick über die grandiose Natur des Yosemite National Park kommt einem die Existenz einer höheren Ordnung ganz normal vor.

Robert Jacobi

Zwei Amerikaner sind in diesem Jahr schon vom Half Dome gefallen. Es handelt sich dabei um eine Felswand, die genau im rechten Winkel zwischen Himmel und Erde steht. Das Tal liegt ungefähr anderthalb Kilometer unter dem oberen Rand. Die beiden Amerikaner leben nicht mehr, und ich entscheide mich, den Felsklotz von der flacheren Seite zu besteigen. Das ist auch nicht ganz leicht.

(Foto: Grafik: Dreyssig)

Als ich oben ankomme, färbt sich der Himmel rötlich. Die letzten hundert Meter musste ich mich an Drahtseilen hochziehen. Davon bekomme ich Krämpfe in Oberarmen und Oberschenkeln. Der einzige andere Mensch oben ist Alvin, schon etwas älter. Wir fotografieren uns in der Mondlandschaft über dem Yosemite-Tal. Dann steigt Alvin ab, und als die Sonne untergeht, bin ich allein.

Wieder rühren sich jene Fragen, auf die ich keine Antwort finde. Wie kann die Welt so schön sein, wenn sie nicht mehr als das Ergebnis eines Urknalls ist? Und wie komme ich zu dem Privileg, diese Schönheit in aller Ruhe und ohne Sorgen zu betrachten? In Amerika ist die Theorie mit dem Urknall nicht sehr beliebt. Es handelt sich um das Land Gottes. Das kann ich in diesem Moment schlecht abstreiten kann.

Für diese Fragen braucht es allerdings keine weite Reise. Es ist genauso schön, vom Wallberg auf den Tegernsee zu schauen. Aber hier bin ich entspannt und entfernt genug, um wirklich nachzudenken. In Alaska habe ich das Skelett eines Adlers gesehen. Der Knochenbau ist einem menschlichen Säugling so ähnlich, dass man dieses Skelett jedem evolutionskritischen Republikaner vorlegen müsste.

Trotzdem entscheide ich, dass die Antwort für mich irgendwo zwischen den Extremen liegt. Ohne höhere Ordnung wäre diese Welt nicht möglich, woher diese Ordnung auch immer kommen mag. Das klingt unwissenschaftlich und ist auch Ergebnis meiner Jugend in einer oberbayerischen Kleinstadt, in der ich als Ministrant vom Altar aus meinen Biologielehrer Dr. Mulzer in der singenden Schar fand.

Die Tage vor der Wanderung hatte ich in Extremzivilisation zugebracht. In San Francisco sah ich im Kino am Embarcadero den Film "Factotum", eine angereicherte Biographie über Charles Bukowski, die in Amerika erst angelaufen ist. Danach beschließe ich, mich länger nicht zu rasieren und mich mit einem Glas Jack Daniels in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand an eine Theke zu setzen.

Bildstrecke
:Von San Francisco bis Yosemite

Kontrastprogramm: Nach Tagen in der "Extremzivilisation" von San Francisco folgt der Rückzug in die grandiose Natur des Yosemite National Park.

Am nächsten Morgen fahre ich mit überhöhter Geschwindigkeit über die Bay Bridge. Kurz vor der Reise habe ich in Boston die zehnminütige amerikanische Führerscheinprüfung bestanden. Endlich möchte ich die Plastikkarte einem Polizisten vorzeigen. Leider komme ich ohne Verkehrsstrafe in Berkeley an. Dort wandere ich über den Campus und freue mich, nicht mehr studieren zu müssen.

(Foto: N/A)

Abends parke ich vor dem Verladezentrum des United Parcel Service in einem Vorort von Sacramento. Seit zwei Wochen warten dort die Nummernschilder für mein Auto. Der Händler aus Seattle hat sie dorthin geschickt. Bisher war ich mit Pappscheibe im Heckfenster unterwegs. Die Abholstelle ist schon geschlossen. Ich fahre weiter und beziehe eines der zwölf Betten im Schlafraum der örtlichen Jugendherberge.

Die Schilder bekomme ich am nächsten Tag. Darauf steht das Motto des Bundesstaates Washington, "The Evergreen State". Das ist etwas komisch, weil die Silhouette von Mount Rainier auf die Blechplatte geprägt ist. Dieser Berg ist niemals grün, sondern immer schneeweiß und felsengrau. Der Farbton der Schilder passt bestens zu meinem aubergine- und beigelackierten Thunderbird.

Das "Schwarzenegger-Set" für Kinder

Den Nachmittag verbringe ich auf der California State Fair. Das ist eine Mischung aus Vergnügungspark, Zuchtschau und Musikfestival. Ich verspeise eine Truthahnhaxe und trinke Bier für sieben Dollar. In der Vitrine der "Hall of Heroes" gibt es ein "Schwarzenegger Set" mit "comic book, removable vest, uzi, pistole, leg holster and knife". Daneben steht ein zwei Meter großer Batman aus Lego.

Sacramento ist die Hauptstadt Kaliforniens. Ein Regierungsgebäude vor dem Kapitol trägt die göttliche Inschrift "Bring Me Men to Match My Mountains". Leider komme ich nicht dazu, das Hilton Hotel zu fotografieren, in dem der Gouverneur an Werktagen wohnt. Schuld ist mein Auto, das auch eine neue Batterie braucht.

Ernesto, Aushilfe in der Jugendherberge, leiht mir seine Mitgliedskarte für den Automobilclub. Ich rufe die Hotline an und bemühe mich, mit mexikanischem Akzent zu sprechen. Der Abschleppdienst kommt nach drei Stunden. Ich langweile mich und errechne, dass Kalifornien viermal so viele Einwohner hat wie Österreich und der Fläche nach mehr als fünfmal so groß ist.

Noch ein paar Stunden später fahre ich in einem bestens mit Spannung versorgten Wagen nach Yosemite. Die Nacht vor der Wanderung auf den Half Dome verbringe ich auf einem Parkplatz unter dem Sternenhimmel. Leider vergesse ich dort meine Tüte mit dem Müll von zwei Double Cheeseburger und einer Tüte Pommes. Auf der State Fair hatte ich den lieben Clown Ronald McDonald getroffen.

Allein im Dunkeln

Als ich im Dunkeln von Half Dome absteige, verliere ich trotz Stirnlampe und Taschenlampe den Weg. Nach einigem Stolpern finde ich mich wieder zurecht. Im Wald treffe ich Alvin wieder, der mit seinem Freund Fred auf einem Baumstamm eine Pause einlegt. Wir entscheiden uns, gemeinsam zu wandern. Alvin arbeitet als Gärtner für einen Schuldistrikt in Südkalifornien, Fred ist dort der Elektriker.

Auf halber Strecke springt ein Jugendlicher namens Mike aus einem Toilettenhäuschen. Mike hat seine Wandergruppe verloren und wollte auf der Schüssel übernachten. Am Wasserfall füllen wir unsere Flaschen auf und marschieren zu viert weiter. Als wir nach Mitternacht das Tal erreichen, kommt uns ein Polizeiwagen mit Suchscheinwerfer entgegen. Die Polizisten nehmen Mike mit.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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