Zwangsabgabe für Kinderlose:Es krankt am System

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Junge Abgeordnete der Union fordern eine Zwangsabgabe für Kinderlose: Dem unsinnigen Vorschlag liegt die Annahme zugrunde, dass Eltern benachteiligt, Kinderlose bevorzugt würden. Eltern wäre jedoch mit einem leicht zugänglichen System der Familienförderung weit mehr geholfen, dazu gehört auch eine Änderung des Ehegattensplitting - hin zum Familiensplitting.

Robert Roßmann

Die Geschichte der Familienpolitik hat schon so manche Blüte hervorgebracht. In der DDR konnten Paare ihre Wohnung "abkindern", mit jedem zusätzlichen Kind sank die noch fällige Kreditsumme. Im Dritten Reich gab es das Mutterkreuz.

Versucht derzeit, die exakte Höhe der Leistungen an Eltern zu ermitteln: Familienministerin Kristina Schröder. (Foto: dapd)

Kinderlosigkeit war den Regierungen schon immer ein Graus. Jetzt verlangen junge Unionsabgeordnete eine Zwangsabgabe für Kinderlose. Wer mit 25 noch keine zwei Kinder hat, soll bis zu einem Prozent seines Einkommens zahlen. Wie absurd der Vorschlag ist, machen schon wenige Fragen klar: Sollen Studenten bestraft werden, die ihre Ausbildung abschließen wollen, bevor sie die ersten Kinder bekommen? Sollen ungewollt kinderlose Paare, die Abertausende Euro in künstliche Befruchtungen investiert haben, doppelt bezahlen? Und was ist mit Homosexuellen oder mit Menschen, die sich sehnlichst Kinder wünschen, aber keinen Partner finden?

Dass der offenkundig unsinnige Vorschlag trotzdem gewaltige Wellen schlägt, liegt an der Annahme, die ihm zugrunde liegt: Eltern würden benachteiligt, Kinderlose bevorzugt. Das betrifft naturgemäß jeden, es geht um Lebensentwürfe und nicht zuletzt um Geld, sehr viel Geld.

Werden Eltern in Deutschland also gerecht behandelt? Und was ist in diesem Zusammenhang überhaupt gerecht? Viele Familienpolitiker addieren einfach die Kosten, die Kinder im Laufe des Lebens verursachen - und beklagen, dass der Staat diese bei weitem nicht ausgleiche. Das stimmt, aber dafür ist der Staat auch nicht da: Eltern entscheiden sich im Zeitalter der Verhütungsmittel freiwillig für Kinder. Sie tun das in Kenntnis der Belastungen, Familiengründung ist kein Anlagemodell, Kinder werden nicht bei der Lektüre von Renditetabellen gezeugt.

Außerdem müsste man ja dann all das Glück, die Liebe, Fürsorge und Geborgenheit, die Kinder ins Leben bringen, gegenrechnen. Gerechtigkeit gegenüber Eltern bedeutet deshalb etwas anderes: Der Staat muss dafür sorgen, dass jedes Kind dieselben - und zwar gute - Chancen hat. Er muss dafür sorgen, dass Familien auch wirtschaftlich stabile Einheiten sind, nur in einem sicheren Raum können sich Kinder entfalten. Und er muss dafür sorgen, dass Familie und Beruf vereinbar sind.

Auf diesem Weg hat Deutschland viel erreicht. In der Bundesrepublik gibt es mittlerweile 150 familienpolitische Leistungen. Eltern-, Kinder- und Mutterschaftsgeld, beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse, BAföG, Erziehungsrenten, Familienzuschläge, Jugendhilfe, Bauförderung, Kinderfreibeträge und vieles mehr entlasten die Eltern. 170 Milliarden Euro lässt sich der Staat die Leistungen jedes Jahr kosten - übrigens zu einem guten Teil bezahlt von Kinderlosen. Bezogen auf das Sozialprodukt, gibt Deutschland damit fast 30 Prozent mehr für Eltern aus als der Schnitt aller anderen OECD-Staaten.

Das eigentliche Problem in Deutschland ist also nicht die Höhe der Leistungen für Eltern - 170 Milliarden Euro, das sind 11.400 Euro jährlich pro Minderjährigem. In der Bundesrepublik krankt es am System der Leistungen. Selbst das Familienministerium hat über deren Zahl und Höhe keinen vollständigen Überblick mehr. Ursula von der Leyen hatte deshalb schon vor Jahren die Überprüfung aller Leistungen zugesagt, getan hat sie nichts. Erst ihre Nachfolgerin im Amt, Kristina Schröder, erteilte 2009 den Arbeitsauftrag an die Forschungsinstitute, Ergebnisse werden frühestens im kommenden Jahr vorliegen.

Die Verzögerung ist nicht nur angesichts der Summen, um die es geht, ein Skandal. Solange die Experten ihre "Gesamtevaluation" nicht abgeschlossen haben, bleibt es bei den Widersprüchen im jetzigen System: Im Steuerrecht ist das Kind eines Reichen mehr wert als das Kind eines Niedrigverdieners. In der Pflegeversicherung werden die Eltern eines Kindes genauso behandelt wie die einer halben Fußballmannschaft - trotz der unterschiedlichen Kosten. Und vom Elterngeld profitieren Gutverdiener mehr als andere.

Gerechtigkeit gegenüber Eltern hieße, all das abzuschaffen. Familienpolitik ist auch Verteilungspolitik, bisher wird falsch verteilt. Dutzende Behörden sind mit ebenso vielen Instrumenten involviert: Es gibt Freibeträge, Zulagen, Vorschüsse, Darlehen, Anrechnungen bei Beitragszeiten und vieles mehr. Manches überschneidet sich, manches widerspricht sich. Dass das Förderungswirrwarr jetzt auch noch um ein Betreuungsgeld ergänzt werden soll, ist absurd.

Mit einem leicht zugänglichen System der Familienförderung wäre Eltern mehr geholfen als mit einer neuen Zwangsabgabe für Kinderlose. Zu einem neuen System der Familienförderung müsste dann auch eine Änderung des Ehegattensplittings gehören. 19 Milliarden kostet den Staat diese Subvention jährlich. Von dem Geld profitieren auch kinderlose Paare. Unverheiratete Eltern oder Alleinerziehende gehen dagegen leer aus.

Der seit Jahren diskutierte Umbau des Ehegatten- zum Familiensplitting ist überfällig. Es bedarf keiner neuen Lasten für Kinderlose, es bedarf aber auch keiner alten Privilegien. Eine Änderung des Splittings würde ähnlich viel Geld bringen wie die Zwangsabgabe der jungen Unionisten - und mehr Gerechtigkeit.

© SZ vom 16.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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