Zoff in der Koalition:Schwarz-Gelb ringt um besseres Benehmen

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Diffamieren statt regieren: Seit zwei Jahren beharken sich die einstigen Traumpartner von CDU, CSU und FDP, der Koalitionsvertrag ist längst Makulatur und selbst der Koalitionsbruch gilt als möglich. Jetzt kommen die Probleme auf den Tisch: Eine "Kniggeklausur" vor der Sommerpause soll Schwarz und Gelb bessere Manieren lehren.

Thorsten Denkler, Berlin

FDP-Parteichef Philipp Rösler versucht nicht einmal die Lage schönzureden, als die Welt am Sonntag ihn fragt, ob er Vertrauen zu Kanzlerin Merkel habe. Rösler hätte jetzt sagen können, dass die Zusammenarbeit hervorragend sei, dass Merkel und er sich blendend verstehen würden, aber dass es natürlich etwas Zeit brauche, bis sich beide aufeinander eingespielt hätten.

Benimmtraining frei nach Knigge: Vor der Sommerpause will die schwarz-gelbe Bundesregierung ihr Binnenklima verbessern. (Foto: dpa, sueddeutsche.de)

Das alles sagt Rösler aber nicht.

Stattdessen sagt er: "Vertrauen ist wie ein Baum. Wenn man ihn einpflanzt, ist er klein und verletzlich, jeder Depp kann ihn kaputttreten. Aber mit der Zeit wird der Baum groß und kräftig, und niemand kann ihn mehr umreißen. So sehe ich das auch. Vertrauen muss wachsen."

Es darf nicht wundern, wenn Rösler das Vertrauen in Merkel und die Unionsseite der Bundesregierung fehlt. Und sollte es je vorhanden gewesen sein, haben ihm die Koalitionspartner von CDU und CSU allen Grund gegeben, es zu verlieren.

Da ist etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der in Rösler nur einen jungen Emporkömmling sieht und ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Narren hält. In der Bild am Sonntag plauderte Schäuble über ein vertrauliches Gespräch mit dem frischgebackenen Wirtschaftsminister, in dem Rösler angeblich Steuersenkungen zugunsten der Haushaltskonsolidierung abgeschworen haben soll. In der FDP kommt das einer Todsünde gleich.

Aus einem Koalitionstreffen wird kolportiert, Merkel habe Rösler abgemeiert, weil dieser in einer wichtigen Frage zur Energiewende einen Fachbeamten hinzuziehen wollte. "Hier tragen nur Minister vor", soll sie ihn geschulmeistert haben. Aussagekräftiger als der Vorgang an sich ist der Umstand, dass er an die Medien gelangte.

Dabei durfte Rösler von Merkel schon sehr angefressen sein, weil die Kanzlerin zuvor die FDP-Kernforderung nach einem zeitlichen Ausstiegskorridor für die Atomkraft dem Wohlwollen der Ministerpräsidenten geopfert hatte. Jetzt gibt es - gegen den erklärten Willen der FDP - für jeden Atommeiler konkrete Abschalttermine.

Die FDP steht in Sachen Energiewende blank da - kein Konzept und kaum Ideen. Und die wenigen Vorschläge, die von den Liberalen kamen, hat die Kanzlerin kassiert oder entschärft.

Jüngster Höhepunkt der gegenseitigen Missachtung: Die Vorbereitung der gemeinsamen Resolution zur Eurorettung Ende vergangener Woche. Am Mittwoch noch hatte Merkel in der FDP-Fraktion massiv für das schwarz-gelbe Bündnis geworben und versprochen, alles zu tun, damit nicht "von außen" ein Keil zwischen die Partner gerammt werde.

Keine 24 Stunden später beschließt die Unionsfraktion die Resolution, ohne eine abschließende Abstimmung des Papiers mit der FDP vorgenommen zu haben. Selbst hartgesottene Koalitionäre schließen da plötzlich einen Koalitionsbruch nicht mehr aus. Rösler und Fraktionschef Rainer Brüderle sollen die ganze Nacht zum Freitag damit verbracht haben, empörte Liberale wieder auf den Teppich zu holen. Sonst wäre womöglich die Kanzler-Mehrheit nicht erreicht worden.

Es geht munter da weiter, wo die Koalition mit Vizekanzler Westerwelle aufgehört hat. "Gurkentruppe" und "Wildsäue" sind Begriffe, die das Bild von der angeblich bürgerlichen Regierung geprägt haben. Da gönnt der eine dem anderen nicht die Butter auf dem Brot. Statt zu regieren wird geholzt, diffamiert und gepöbelt.

Mehr Anstand wollte der Anfang Mai in Rostock zum FDP-Chef gewählte Rösler in die Regierung bringen. Zu sehen ist davon bisher: nichts. Die Liberalen müssen fürchten, dass die Personalrochaden in Partei, Regierung und Fraktion sich für sie nicht auszahlen.

Deshalb hat Merkel auf Drängen von Rösler nun eine Regierungsklausur einberufen, die in der Welt am Sonntag schon als "Kniggeklausur" bezeichnet worden ist. Noch vor der Sommerpause soll aus der Truppe von Streithähnen ein geordneter Hühnerhof werden. Tag und Ort sind noch unbekannt.

Atomausstieg: Zitate einer einzigartigen Wende
:"Ich freue mich, weil es mein Vorschlag war!"

Zuerst eine Verlängerung der Atomlaufzeiten, nach der Katastrophe von Fukushima dann die Kehrtwende: Wie namhafte Vertreter von CDU, CSU und FDP zunächst gegen den Atomausstieg wetterten - und nun das schnelle Abschalten der deutschen Meiler preisen.

Klar ist aber das Vorhaben: In einer Art gruppentherapeutischer Sitzung soll alles auf den Tisch kommen, die Schmähungen, die Verletzungen und die Enttäuschungen. Außerdem soll ein Programm für die kommenden zwei Jahre definiert werden, so etwas wie ein Koalitionsvertrag 2.0. Der wäre bitter nötig. Den ersten Koalitionsvertrag von 2009 hat Schwarz-Gelb nämlich bereits in Grund und Boden regiert.

[] Steuern sollten "einfach, niedrig und gerecht" werden. Stattdessen hat die Regierung Hotelbesitzer bessergestellt, kann aber bis heute nicht sagen, ob es jemals zu erkennbaren Steuersenkungen für die Mittelschicht kommt.

[] Haushaltsdisziplin hatten die Wunschpartner versprochen. Im Inland aber wird nur halbherzig gespart - der Aufschwung macht es möglich. Gleichzeitig verschleudert die Regierung in den Augen vieler Anhänger von Union und FDP das Geld, um Pleitestaaten wie Griechenland unter die Arme zu greifen.

[] Die Atomkraft sollte noch über Jahrzehnte billigen Strom liefern. Stattdessen lässt Merkel die schon beschlossene Laufzeitverlängerung per Handstreich wieder rückgängig machen und überholt dabei noch den rot-grünen Ausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2000.

[] Schnell sollte das als Herdprämie verschriene Betreuungsgeld für Familien kommen, die ihre Kinder zu Hause statt in der Kita erziehen. Das war als Angebot an konservative Stammwählerschichten gedacht. Stattdessen zoffen sich die Koalitionäre um die Einführung, als hätte es eine solche Abmachung nie gegeben.

[] Bündnistreue mit dem Westen hatte die Koalition geschworen. Stattdessen stellt sich Merkels Deutschland lieber an die Seite von China, Russland und Brasilien und enthält sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über einen Einsatz in Libyen der Stimme.

[] Stabile Sozialversicherungsbeiträge hat die Koalition versprochen. Stattdessen müssen die gesetzlich Versicherten jetzt eine massive Erhöhung des Arbeitnehmerbeitrages zur Krankenversicherung stemmen.

Wenn das die kommenden zwei Jahre so weitergeht, dann bleibt am Ende nichts von dem über, was CDU, CSU und FDP einst zusammengeführt, was sie einander als Traumpaar hat erscheinen lassen.

Besserung aber ist nicht in Sicht. Viel fällt den angeblichen Wunschpartner nach wie vor nicht ein, was bis 2013 noch geschehen soll, damit diese Regierung nicht als sofort wieder abgewählte Chaos-Koalition in die Annalen eingeht.

Irgendwie die Energiewende umsetzen, den Euro stabilisieren, den Fachkräftemangel beseitigen und außerdem die Menschen "noch stärker" am Aufschwung teilhaben lassen, will Rösler. Gewiss, das sind alles keine leichten Aufgeben. Doch mit dem Gestaltungsanspruch einer bürgerlichen Regierung hat das dann doch wenig zu tun.

Wobei überdies gefragt werden darf, welcher Teil des Aufschwungs denn schon bei den Menschen angekommen sein soll? Und dass es diesen Aufschwung überhaupt gibt, ist wohl doch eher den milliardenschweren Konjunkturpaketen der schwarz-roten Vorgängerregierung zu verdanken als dem Zutun der FDP seit 2009.

Sie wird dennoch irgendwie weiterwurschteln, diese Koalition, sich irgendwie zur nächsten Bundestagswahl schleppen. Wenn bis dahin nicht noch Wunder geschehen, wird spätestens 2013 der Bürger den bürgerlichen Hühnerhaufen abwählen.

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