Zerwürfnis zwischen Briten und Euro-Staaten:"London wird erkennen, dass unser Weg der beste ist"

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Nach der Gipfel-Eskalation zwischen London und den Euro-Ländern wogt eine Debatte über den Verbleib der Briten in der EU: Bundespräsident Wulff beschwört die EU-Mitglieder, am engen Verhältnis zu Großbritannien festzuhalten, FDP und CSU sprechen von einer "offenen Tür" für London, die CDU wettert gegen den "Casino-Kapitalismus". Und die britische Regierung? Sieht ihren Einfluss ungeschmälert.

Am Samstagmorgen dominierte die britische Presse ein Thema: Alle Zeitungen machten mit dem Ergebnis des Brüsseler Gipfels auf, der mit einem beispiellosen Zerwürfnis endete.

"Es wäre mir recht gewesen, Großbritannien hätte Ja gesagt", sagte Angela Merkel. (Foto: REUTERS)

"Britannien steht alleine", konnten die Bürger des Vereingten Königreichs bei der Times lesen, "Die EU verlässt Britannien", titelte der Independent in breiten Lettern. Manche euroskeptische Blätter lobten Premier David Cameron, andere Zeitungen wie der Guardian warfen dem Regierungschef vor, lediglich Euroskeptiker beschwichtigen zu wollen. Die Financial Times und der Economist warnten, der Finanzplatz London könne Anteile an Frankfurt und Paris verlieren.

Nun, da die 17 Staaten der Eurozone im Kampf gegen die Schuldenkrise einen Haushaltspakt schmieden, an dem sich voraussichtlich alle übrigen Nicht-Euro-Staaten außer Großbritannien beteiligen, steht die britische Regierung tatsächlich alleine da.

Die britische Regierung selbst befürchtet nach eigenem Bekunden angeblich keinen Einfluss-Verlust. Durch die Blockadehaltung in Brüssel habe Premierminister Cameron sichergestellt, dass die Krise des Euro Länder ohne die Einheitswährung nicht mitziehen könne, sagte Schatzkanzler George Osborne der BBC.

Cameron habe die Finanzdienstleistungsbranche geschützt und gleichzeitig dafür gesorgt, dass britische Firmen weiterhin ihre Produkte in Europa verkaufen könnten. Auf die Frage, ob Europaskeptiker in Großbritannien nun weitere Schritte für mehr Distanz zu Brüssel fordern würden, sagte Osborne: "Ich glaube, die Menschen sind einfach froh, dass ein britischer Premierminister genau das gemacht hat, was er versprochen hat." Cameron hatte in Brüssel auf weitreichenden Forderungen beharrt und damit eine EU-Vertragsreform blockiert.

Aber auch bei Camerons Tories regt sich Unmut: Der konservative Ex-Minister Michael Heseltine unterstützte zwar Camerons Entscheidung grundsätzlich, warnte aber davor, dass sich Großbritannien von Europa abwende. Er müsse eine Debatte über das Verhältnis der Londoner City zur Eurozone geben. Der Finanzplatz ist für Großbritannien von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Von Camerons Koalitionspartner, der liberaldemokratischen Partei, kamen kritische Töne wie aus der oppositionellen Labour-Party.

Namhafte deutsche Politiker warnten indes vor einer weiteren Isolation Großbritanniens. Bundespräsident Christian Wulff sagte als Reaktion auf das Zerwürfnis beim Brüsseler Euro-Gipfel: "Wir sollten wissen, was Europa bedeutet und nie darüber spekulieren, Europa zu verkleinern." Die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich seien "tragende Säulen in der EU", sagte Wulff während eines Besuches in der omanischen Hauptstadt Maskat.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird nach seinen Worten den Gesprächsfaden zu Cameron nicht abreißen lassen. Auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wandte sich gegen Spekulationen über ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU: "Großbritannien braucht Europa genau wie Europa Großbritannien braucht. Dort wird man über kurz oder lang erkennen, dass unser Weg in Richtung Stabilitätsunion der beste ist. Die Tür für London bleibt offen", sagte Rösler der Bild am Sonntag. Er lobte die Entscheidungen der übrigen EU-Staaten: "26 von 27 Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass sie bereit sind, die europäische Integration und den Euro zu verteidigen."

Dass Großbritannien im Kampf gegen die Schuldenkrise nicht mitmachen wolle, sei bedauerlich, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Aber eine Lockerung der Regeln für die Banken für eine Zustimmung zur neuen Stabilitätskultur zu fordern, habe abgelehnt werden müssen: "Auch die heutige Krise hat letztlich ihre Wurzeln im Casino-Kapitalismus, der 2008 zur Banken-und Wirtschaftskrise führte. Dieser Casino-Kapitalismus darf sich nicht wieder breitmachen", sagte Kauder der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

SPD-Europapolitiker Martin Schulz erklärte, Cameron isoliere sein Land "in dramatischer Weise". "Das finde ich traurig", fügte er hinzu. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU sei aber nicht wünschenswert. Allerdings hielt der designierte Präsident des EU-Parlaments auch ein Ausscheiden für möglich.

Steinmeier nennt EU-Gipfel "ein Fiakso"

CSU-Chef Horst Seehofer hält es nach eigenen Worten für möglich, dass Großbritannien doch noch dem neuen EU-Stabilitätsvertrag beitritt: "Die Tür bleibt für jeden offen, der vielleicht noch zögert", sagte Seehofer der Welt am Sonntag.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht in den Brüsseler Gipfel-Ergebnissen eine gute Basis zur Lösung der Schuldenkrise. Zugleich hob er im Focus die Europäische Union als Grundlage für den weiteren Einfluss Deutschlands und der anderen EU-Mitglieder in der Welt hervor: "Als einzeln auftretende Nationalstaaten könnten wir unseren relativen Bedeutungsverlust allenfalls etwas hinauszögern, verhindern würden wir ihn nicht. ... Leider kommt dieser überragende Aspekt - der Euro als Ausprägung der europäischen Integration - in den täglichen Diskussionen über Rettungsschirme, Renditen und Ratings oftmals zu kurz."

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Brüsseler Ergebnisse in der Welt dagegen mit scharfen Worten: "Dieser europäische Gipfel ist ein Fiasko." Die Taktik von Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sei nicht aufgegangen. "Automatische Sanktionen wurden nicht beschlossen, andere Vereinbarungen werden rechtlich bestritten."

Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin: "Markige Erklärungen vorab, windelweiche Beschlüsse als Ergebnis", sagte er der Rheinischen Post. Der EU-Gipfel sei ein reiner Schuldenbremsen-Gipfel gewesen: "Er hat erneut keine Antwort auf die Eurokrise gegeben. (...) Die Krise wird verlängert, ihre Beendigung wird vertagt."

Premier Cameron wurde die Rückkehr aus Brüssel übrigens leicht gemacht. Am Freitagabend empfingen ihn Parteifreunden freudig. Auf seinem Landsitz in der Nähe von London empfing er etwa 30 konservative Abgeordnete zu einem Abendessen.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/dapd/Reuters/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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