Zehn Jahre Irak-Krieg:Der verdrängte Krieg

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Der Republikaner George W. Bush gab vor zehn Jahren den Befehl zum Angriff auf Bagdad. Die Begründung fußte auf einer Lüge. Irak versank in Chaos, mehr als hunderttausend irakische Zivilisten starben. Bushs neokonservative Vordenker sind abgetaucht. Heute will seine Partei am liebsten gar nicht mehr vom Krieg reden.

Von Nicolas Richter, Washington

Der Krieg im Irak? Craig Stevens muss nachdenken. Ach ja, auch schon wieder zehn Jahre her. Stevens, ein Aktivist der Tea Party, hat gerade andere Sorgen. Glaubt man den Flugblättern, die er verteilt, kapituliert Präsident Barack Obama gerade - mal wieder - vor dem Islam, zurzeit allerdings nicht im Irak, sondern in Brunei, Malaysia und Vietnam.

Ein paar Stichworte: Irak, die US-Invasion im März 2003, die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, die später nie gefunden wurden. Die vielen Toten, die enormen Kosten. Es klingt, als wäre es länger her als bloß ein Jahrzehnt. Stevens sagt, der letzte sinnvolle Krieg der USA habe 1945 geendet. Alles andere: Abenteuer. Er ist nicht gegen das Militär, er trägt Abzeichen der Air Force an seiner Jacke, zu Ehren seines Bruders und Vaters, die beide gedient haben. "Aber wir haben nicht das Geld, unsere Leute auf dem ganzen Planeten zu verteilen".

War der Republikaner George W. Bush, der Oberbefehlshaber damals, ein guter Präsident? Stevens sagt: "Wissen Sie, ich rede lieber über Ronald Reagan."

Vor wenigen Tagen haben sich Hunderte Konservative zur "Conservative Political Action Conference" (CPAC) am Flussufer des Potomac nahe Washington getroffen. Es hätte ein Anlass sein können, über den Irak-Krieg nachzudenken, das umstrittenste Projekt der Bush-Jahre. Aber die Namen "Irak" und "George W. Bush" fallen hier so selten, als hätte man sie vergessen.

Die Republikaner sehen sich als Garanten der außenpolitischen Stärke und spulen das Band der Geschichte auch durchaus gerne zurück, um daraus zu lernen. Aber sie überspulen beim jüngsten Treffen den 19. März 2003, als die ersten US-Bomben in Bagdad einschlugen, und halten das Band eher am 11. Januar 1989 an: Es war der Tag, als Präsident Ronald Reagan seine Abschiedsrede hielt und die USA - aus konservativer Sicht - so stark und glaubwürdig waren wie seitdem nie wieder, ganz anders als heute unter Barack Obama.

"Krieg kann Gutes hervorbringen"

Der holt die Soldaten aus Afghanistan zurück, aus dem Irak sind sie schon heimgekehrt, und Obama sagt oft, jetzt gehe ein kriegerisches Jahrzehnt zu Ende. Die Republikaner widersprechen: Krieg habe nicht ausgedient. "Krieg kann Gutes hervorbringen - die Unabhängigkeit der USA, das Ende der Sklaverei oder die Befreiung der Philippinen", sagt der Abgeordnete Steve King. "Können wir uns Kriege leisten? Ja, wir müssen sie uns leisten, wir haben das Geld und die Leute", sagt Tom Cotton, ein rechter Abgeordneter, der selbst in Afghanistan gekämpft hat. "Die Frage ist nur, haben wir auch den Willen?"

Die Konferenz der Konservativen ist oft schrill, aber in einer kleinen Debatte am Rande mit dem Titel "Führt Amerika zu viele Kriege?" erinnern Experten durchaus auch daran, dass es nicht so optimal gelaufen ist im Irak. "Unsere Führer sind zu oft in den Krieg gezogen ohne zu wissen, was sie erreichen wollten; ohne Idee, wie man die Sache beendet", sagt Angelo Codevilla, ein Professor für internationale Beziehungen. "Im Irak haben wir Saddam Hussein gestürzt, aber dann haben wir alles verdorben, indem wir das Land besetzt haben. Niemand hat uns mehr gefürchtet."

Die USA sind gut darin, Armeen zu schlagen, aber nicht so gut, wenn sie gegen Guerillas kämpfen. Deswegen werben viele Konservative jetzt dafür, kleinere Militärziele zu definieren. "Leider haben wir oft die Idee verschmäht, allein die Staatschefs zu beseitigen", sagt Louie Gohmert, ein Abgeordneter aus Texas. "Statt Krieg zu führen gegen Länder, die uns mögen, sollten wir nur ein Spezialkommando hinschicken, die Feinde herausholen und alle anderen dort in Ruhe lassen." Auch Craig Stevens, der Tea-Party-Aktivist, findet kleine, billige Kriege reizvoll: Amerika solle nur die "bad guys" aus der Welt schaffen, statt ganze Länder zu besetzen. Wie die Operation gegen Osama bin Laden.

Wenn die Republikaner in diesen Tagen etwas aufarbeiten, dann nicht so sehr den Irak-Krieg, sondern ihre jüngste Wahlniederlage gegen Obama. Am Montag haben sie eine selbstkritische Analyse veröffentlicht, wonach ihre Partei auf viele Wähler "gruselig" wirke.

Dagegen reden sie über den Krieg nicht mehr viel, auch ein Symptom der Kriegsmüdigkeit im Land. Längst haben die Entscheider von damals in ihren Autobiografien bestritten, die Kriegsgründe herbeigelogen zu haben. Die irakischen ABC-Waffen, die am Ende fehlten? Ein Irrtum der Geheimdienste. Diese Version der Geschichte freilich verkennt, dass Saddam Hussein schon lange vor dem 11. September 2001 die Agenda der Neokonservativen beherrschte. Amerika, verlangten sie schon in den Neunzigern, müsse wieder so gefürchtet sein wie unter Reagan.

Zu lang, zu teuer

Aber es ist auch offensichtlich, dass die Partei den Irak-Krieg nicht unter ihren größten Erfolgen verbucht. Er war zu lang, zu teuer, das Ergebnis zu wenig überzeugend. Der damalige Präsident George W. Bush hat aus Sicht der Rechten für Krieg und Bankenrettung zu viel Geld ausgegeben. Die Protestbewegung der Tea Party mit ihrem Traum vom ultraschlanken Staat ist auch ein Ergebnis der Ära Bush. Der Ex-Präsident selbst ist bei rechten Großereignissen unerwünscht.

Eher haben die Nicht-Interventionisten an Einfluss gewonnen. Diana Reimer von den "Tea Party Patriots" sagt, über Krieg und Frieden rede man in ihren Kreisen nicht. Das Thema sei spalterisch.

Die etablierten Außenpolitiker allerdings haben ihren alarmistischen Ton beibehalten, manchmal erinnert er an die Anfangszeit im "Krieg gegen den Terror". Als hätten die Amerikaner Obama nicht auch deshalb gewählt, weil er dem Ausland und besonders den Muslimen die Hand ausstrecken wollte und nicht nur die Faust.

"In der Geschichte unseres Landes hat es nie einen solch kritischen Augenblick gegeben wie jetzt", sagt der unbeirrbare Falke Lindsey Graham, ein Senator und Reservist. Er meint damit einerseits Iran, das der Atomwaffe immer näher komme. Aber Graham will eine noch größere Gefahr ausgemacht haben: Ein zauderndes Amerika. "Ich habe unsere Freunde nie so ängstlich und unsere Feinde nie so mutig gesehen", sagt er. Statt Diplomatie möchte er klare Ansagen für den nächsten Krieg: Sollte Israel die Atomanlagen Irans angreifen, müsse sich der Verbündete fest auf militärische und wirtschaftliche Hilfe aus Amerika verlassen können, verlangt er. Obama lehnt solche Versprechen ab.

Anders als der weitgehend verdrängte Irak-Krieg wirkt der 11. September noch immer nach unter Amerikas Rechten, nicht nur der Terror 2001, auch der Anschlag auf ein US-Konsulat in Libyen am 11. September 2012. Die Konservativen sehen darin den letzten Beweis dafür, dass Obama al-Qaida und Iran ermutige, indem er sich nur dem Rückzug widme.

Vielleicht ist deswegen die Sehnsucht nach Reagan so groß. Senator Graham ist nur einer unter vielen, wenn er dessen berühmten Satz über die richtige Politik gegenüber der Sowjetunion zitiert: "Wir gewinnen, die verlieren."

Der Abgeordnete Howard McKeon, ein Experte für Verteidigung im Parlament, erzählt davon, dass die Reagan-Bibliothek in seinem Wahlkreis liege. Neulich habe er dort einen Film darüber gesehen, wie der Präsidentenanfänger Reagan gegen das Vorurteil kämpfte, bloß ein Cowboy und Schauspieler zu sein. "Doch am Ende hat jeder gewusst: Wenn er etwas gesagt hat, dann hat er es auch getan."

Auf der CPAC-Konferenz bekennt immerhin ein Mann, dass die Invasion vor zehn Jahren schlicht ein Fehler war. Howard Wooldridge, ein früherer Polizeibeamter, sagt: "Wir hatten keinen Grund, im Irak einzumarschieren." Wooldridge kämpft eigentlich dafür, Cannabis zu legalisieren, und trägt, um Aufmerksamkeit zu erregen, einen Cowboy-Hut. Es wundert ihn nicht, dass Irak hier eher verdrängt wird. "Wir sehen uns selbst als die guten Kerle", sagt er, "und wir geben nicht gern zu, dass wir Fehler gemacht haben."

Aber wer ist "wir"? Die Rechten? "Ach", sagt er, "alle Amerikaner."

© SZ vom 19.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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