sueddeutsche.de: Südafrika, Indien, Irland: Herr Naidoo, Ihre Ahnen kommen aus der ganzen Welt, Sie sehen sich vor allem als Mannheimer Bürger. Wie kam es dazu?
Xavier Naidoo: Meine Familie geht wohl als ein Beispiel gelungener Integration durch. Ich bin ja in Mannheim geboren und in einem Vorort namens Wallstadt aufgewachsen. Meine Mutter hat dafür gesorgt, dass unsere Familie keine Außenseiterrolle spielte. Bei uns lief viel über die Kirche: Meine Eltern sind beide katholische Südafrikaner, meine Mutter engagierte sich im Kirchenchor, mein Vater ging zum Männergesangsverein, dem ich dann mit 14 auch beigetreten bin - und schon war man mittendrin statt nur dabei. (lacht)
sueddeutsche.de: Sie betonen immer wieder, ein Schwarzer zu sein - warum?
Naidoo: Solange es diese Unterteilungen gibt, solange sich Weiße Weiße nennen, nenn ich mich Schwarzer. Schon als Kind habe ich bei Besuchen in Südafrika gemerkt, wie deutlich zwischen Hautfarben unterschieden wird.
sueddeutsche.de: Wurden Sie in Deutschland diskriminiert?
Naidoo: Bis zu einer gewissen Zeit habe ich einiges ertragen müssen. Als Kind war das manchmal schon schlimm.
sueddeutsche.de: Können Sie ein Beispiel nennen?
Naidoo: Na, da gab es die Bezeichnung LENOR, eigentlich der Name eines Waschmittels, in meinem Fall aber die Abkürzung für "LeibEigener Neger Ohne Rechte". Manchmal musste ich zu den Großen kommen, die haben mir dann in die Hand oder auf den Kopf gespuckt.
sueddeutsche.de: Haben Sie sich gewehrt?
Naidoo: Später schon, aber erstmal nicht, vieles habe ich geschluckt. Auf dem Heimweg habe ich 'ne Träne verdrückt. Ich hatte da kein Mittel dagegen, bei meiner Mutter wollte ich nicht petzen. Sie hätte sich nur aufgeregt und wäre dann zu den Leuten hin - für mich war das eine sehr unangenehme Vorstellung.
sueddeutsche.de: Heute sind Sie ein Star. Wie ist es, wenn Sie den Leuten begegnen, die Sie damals schikanierten?
Naidoo: Ich habe einen Mann wiedergesehen, der früher abfällig mit mir geredet hatte. Das kam sofort wieder hoch: Der Typ hat eine Tochter, die so alt ist wie du, und nannte dich "Bimbo", vor allen anderen Kindern! Aber dann bemerkte ich, wie gebrechlich und krank er ist, er hat ein Alkoholproblem. Da muss man sich dann auch nicht mehr rächen.
sueddeutsche.de: Nach ähnlichen Erfahrungen wenden sich viele Menschen mit Migrationshintergrund von Deutschland ab - bei Ihnen ist das anders: Sie sind Mannheimer Lokalpatriot und singen auf Ihrem neuen Album: "Deutschland ist ein Land der Ehre." Wie entstanden bei Ihnen solch starke Gefühle?
Naidoo: Für mich war die Sprache der Schlüssel. Deutsch begeistert mich: Diese Tiefe, dieser Reichtum, diese Deutlichkeit. Bildlich gesprochen: Ich knie nieder vor dieser Sprache. Sie ist ein Geschenk. Und das dazugehörige Land kann ja so schlecht nicht sein, im Gegenteil: Deutschland ist schön. Ich habe es lieben und schätzen gelernt. Sehen Sie sich andere Länder an: Da liegt einiges mehr im Argen.
sueddeutsche.de: Doch in keinem anderen Land hat der extreme Nationalismus, haben Rassismus und Menschenhass solch furchtbare Folgen gehabt wie hier.
Naidoo: Das bestreitet ja auch niemand. Aber Deutschland hat seine schlimmen Zeiten hinter sich. Es ist falsch, wenn andere mit dem Finger auf unser Land zeigen und von den "bösen Deutschen" sprechen. Was den Umgang mit Menschen angeht, die ihre Wurzeln im Ausland haben, ist unsere Gesellschaft inzwischen weitgehend offen. Länder wie Großbritannien, Südafrika und die USA habe ich teilweise wesentlich rassistischer, viel verschlossener und ghettoisierter erlebt. Die Diskriminierung, die ich als Kind erfahren habe, war im Vergleich dazu weit weniger schlimm.
sueddeutsche.de: Waren es diese Erfahrungen, die Sie zu einem politischen Menschen gemacht haben?
Naidoo: Nicht nur das. Seitdem ich denken kann, interessiere ich mich für Politik, ich bin da durch meine Eltern geprägt. Zuhause guckten wir immer das "Auslands-Journal", die "Tagesthemen" und andere politische Sendungen. Jeden Abend saß ich vor den Fernsehnachrichten und ich habe sie gerne gesehen. Eigentlich hatten wir immer die Hoffnung, etwas über Südafrika zu erfahren, doch auf diese Weise bekam ich auch von allen möglichen anderen politischen Themen was mit.
sueddeutsche.de: Dann wissen Sie sicherlich auch noch, wo Sie am Abend des 9. November 1989 waren, als die Mauer fiel.
Naidoo: Ehrlich gesagt: Das kann ich nicht mehr genau sagen. Allerdings bin ich mit meiner Clique ein paar Tage später schon rüber gefahren, in die DDR.
sueddeutsche.de: Mit einem bestimmten Ziel?
Naidoo: Nach Chemnitz, damals noch Karl-Marx-Stadt. Dort bin ich mit meinem neuen Führerschein und meinem alten Polo gleich in ein Schlagloch gefahren. Ich war fassungslos: Mitten in Chemnitz befand sich ein Loch von der Größe eines Autos und es war nicht abgesperrt. (lacht) Gemeinsam mit Chemnitzer Freunden haben wir dann Partys veranstaltet - wir haben die Wiedervereinigung schon etwas vorgezogen.
sueddeutsche.de: Inzwischen grassiert gerade in Ostdeutschland der Rechtsextremismus.
Naidoo: Alle wissen, dass es der Frust ist, der den Rechten Zulauf beschert. 20 Jahre nach der Wende überzeugen Worte allein nicht mehr, da ziehen nur Taten. Es reicht eben nicht, Autobahnen zu bauen und von blühenden Landschaften zu reden, es müssen auch Menschen gefördert werden. Wer kümmert sich denn um die frustrierten Jugendlichen im Osten? Fast nur rechte Vereinigungen. Viele Ostdeutsche fühlen sich verlassen und vergessen. Da muss man sich nicht wundern, dass die Leute radikal werden und wählen.
sueddeutsche.de: Vor allem die NPD hat Erfolg. Die Partei sitzt inzwischen in zwei ostdeutschen Landtagen. Sollte die Partei verboten werden?
Naidoo: Ich glaube nicht, dass das Sinn machen würde. Was haben die denn bislang politisch schon geschafft, außer sich gegenseitig zu zerfleischen? Man macht rechte Parteien nur stärker, indem man sie verbieten lassen will.
sueddeutsche.de: Sie engagieren sich mit der Gruppe "Brothers Keepers" gegen Rassismus und Fremdenhass. Planen Sie weitere Engagements?
Naidoo: Wir versuchen im Kleinen etwas zu bewirken und in Städten zu spielen, die durch rechtsextremistische Ausbrüche in der Vergangenheit besonders verschrien sind wie Hoyerswerda. Wir wollen damit den guten Leuten Mut machen. Die Rechten sind in der Minderheit.
sueddeutsche.de: Aber die Extremisten prägen das Bild...
Naidoo: ...was auch an euch Medienleuten liegt. Journalisten zeigen den Krawall und nicht diejenigen, die friedlich leben wollen. Und die Auslandsmedien berichten lieber über ein Deutschland mit rechten Parolen. Wann sieht oder liest man denn schon mal von den couragierten Bürgermeistern, die ihre Orte von rechten Tendenzen frei halten? Der wahre Osten kommt kaum in den Medien vor.
sueddeutsche.de: Immerhin sitzt eine Ostdeutsche im Bundeskanzleramt. Das müsste Sie doch eigentlich freuen, oder?
Naidoo: Frau und aus dem Osten - das mag einerseits erfreulich klingen. Aber andererseits hat Angela Merkel das Treiben der Männer um sie herum nicht durchschaut. Ihre weibliche Intuition hat sie nicht dazu gebracht, den Typen in den Landesbanken, den Wirtschaftsbossen und Bankenmanagern auf die Finger zu hauen. Wenn Frau Merkel das alles wirklich nicht gesehen hat, dann ist sie offenbar nicht fähig, ihren Job zu machen. Sie regiert seit 2005 unser Land, da war Zeit genug, etwas zu tun. Ich bin maßlos enttäuscht von der Frau.
sueddeutsche.de: Das hört man Ihrem aktuellen Album an. Da nennen Sie die CDU "korrupt", Sie singen davon, dass Merkel und "Unfriede" Springer "Wahlkampfdinger" drehten. Was haben Sie gegen die Kanzlerin und die Union?
Naidoo: Der Korruptionsvorwurf bezieht sich vor allem auf die Ära Kohl, da war Merkel immerhin schon Ministerin, Schäuble war Strippenzieher in der Partei. Was mich an der Union besonders stört, ist die Tatsache, dass gerade eine Partei, die sich christlich nennt, die Zockerei an den Finanzmärkten gefördert hat. Deshalb sollte die CDU ihr C aus dem Namen streichen. Sie macht ebenso wenig christliche Politik wie George W. Bush.
sueddeutsche.de: Das freie Spiel der Finanzkräfte haben auch andere Parteien gefördert.
Naidoo: Meine Kritik richtet sich an alle Politiker, die in Bund und Ländern Regierungsverantwortung tragen. Sie haben diese Krise und die Auswirkungen auf unser Land mit möglich gemacht. Aus Gier haben sie den Landesbankchefs freie Fahrt gelassen. Alle wussten, dass das ein Spiel mit dem Feuer ist. Man kann doch nicht mit dem Geld des Staates ins Casino gehen, um seine Finanzen aufzubessern. Sie hatten alle Dollarzeichen in den Augen. Deutsche Banker dachten, sie könnten in Amerika den Rahm abschöpfen - dabei sind sie den Hütchenspielern aufgesessen.
sueddeutsche.de: In einem Lied singen Sie "Barack Obama hat ausgedient" - der hat doch gerade erst angefangen, also wie kommen Sie darauf?
Naidoo: Es ist naiv, zu glauben, dass sich Amerika völlig gewandelt hat, weil ein dunkelhäutiger Mann Präsident wurde.
sueddeutsche.de: Obama versucht in vielen Bereichen, eine andere Politik als sein Vorgänger George W. Bush zu machen. Ist das für Sie kein Wandel?
Naidoo: Wissen wir das wirklich? Was ist denn, abgesehen von Absichtserklärungen, bislang passiert? Tatsache ist: Seine Berater und sein Personal setzen sich aus mehr Wall Street und Kapital zusammen als jemals zuvor. Obama ist für mich Goldman Sachs. Und Goldman Sachs ist für den Finanzcrash mitverantwortlich - und darf sich darüber freuen, dass auf Initiative von Obama Hunderte Milliarden Steuerdollar an die Wall Street fließen. Für mich ist Obama bislang vor allem ein verlängerter Arm der Wall Street.
sueddeutsche.de: Sie spekulieren auch über eine Verwicklung der CIA in die Anschläge vom 11. September. Was wollen Sie mit solchen Songtexten bewirken?
Naidoo: Ich möchte vor allem, dass die Leute nachdenken. Dass Sie sich bestimmte Dinge noch mal angucken und hinterfragen. Gab es Fachleute, die den Finanzcrash vorausgesehen haben? Ist unsere Währung überhaupt gedeckt? Wie entsteht überhaupt Geld? Es gibt viele Antworten, die man leicht finden kann, wenn man offen ist.
sueddeutsche.de: Vor zehn Jahren sagten Sie in einem Interview: "Ich denke, dass uns viele Sachen wegbrechen werden: das Geld, Inflation, Börsencrash." Fühlen Sie sich als Prophet?
Naidoo: Nein, das hätten auch andere wissen können.
sueddeutsche.de: Große Hoffnungen setzen Sie offenbar auf Europa, dem Sie sogar einen eigenen Song widmen. Den Text kann man sowohl als Ode auf Europa verstehen, als auch als Vision eines Flüchtlings, der sich den Kontinent als gelobtes Land ausmalt. Können Sie das näher erklären?
Naidoo: Es ist beides. Ich habe als geborener Mannheimer sowohl die Innenperspektive, als Sohn meiner südafrikanischen Eltern habe ich aber auch den Blick von außen. Meine Mutter flüchtete Hals über Kopf vor dem Apartheidsregime, weil sie gewerkschaftlich tätig war und Repressalien bevorstanden. Sie ging nach England - das war Europa, der Kontinent, auf dem man frei sein kann.
sueddeutsche.de: Sie erzählten zu Beginn unseres Gesprächs, wie schnell Ihre Eltern in Deutschland Kontakt zu den Alteingesessenen suchten - und das in den siebziger Jahren, als Integrationspolitik so gut wie nicht stattfand.
Naidoo: Stimmt, das war sicherlich ungewöhnlich. Hätte man schon in den siebziger, achtziger Jahren damit begonnen, Bürger mit ausländischen Wurzeln besser zu integrieren, hätten wir heute viele Probleme nicht. Wir haben damals geschlafen, weil wir nur Trennendes gesehen haben, der Menschen-Reichtum wurde verkannt. Zum Glück ist das heute anders: Wenn man in Schulen und Kindergärten guckt, dann sind da viele Farben dabei. Es ist wunderbar, wenn die Kids alle Deutsch sprechen und lernen, hier etwas gemeinsam zu bewegen. Die Leute, die hierher gekommen sind, wollen eben in den meisten Fällen nicht etwas absaugen, sondern haben viel beizutragen. Die Kraft, die wir in Deutschland haben, ist unglaublich.
sueddeutsche.de: Jetzt klingen Sie richtig selig.
Naidoo: Das, was die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft haben, ist einzigartig. Sie haben - übrigens gemeinsam mit den so genannten Gastarbeitern - ein kaputtes Land wieder aufgebaut und zum Blühen gebracht. Die 68er haben die Aufarbeitung der NS-Zeit angestoßen und für eine gesunde Sensibilisierung gesorgt. Nun geht es darum, unsere Zukunft in Europa zu gestalten. Es darf nicht nur ein Wirtschaftsraum sein.
sueddeutsche.de: Vor allem die ökonomische Seite der EU funktioniert - auf anderen Feldern hapert es.
Naidoo: Sicher, es sind viele Chancen ausgelassen worden in den letzten Jahren, aber ich bin trotzdem optimistisch. Wenn die Bedingungen für Konzerne verbessert wurden, dann ist das okay. Aber wir sollten darauf dringen, dass es nicht dabei bleibt. Wir müssen die EU zu einem Europa der Menschen machen - und wir Deutschen haben die Kraft, da etwas zu bewegen. Gerade diejenigen Deutschen, die wie ich dunklere Haut haben und sich gleichzeitig mit der deutschen Kultur identifizieren, können sich da besonders wirksam und glaubwürdig einbringen.
sueddeutsche.de: Sind Sie stolz, Deutscher zu sein?
Naidoo: Der Satz kommt mir nicht über die Lippen, weil ich das Wort "stolz" aus meinem Wortschatz verbannt habe. Ich freue mich einfach. Deutschland macht mich froh.