Es war ein Wallfahrtsort der Neonazis. Seit 1987 pilgerten sie fast jährlich zu einem evangelischen Friedhof im bayerischen Wunsiedel, auf dem Rudolf Heß begraben lag. Sie legten Kränze nieder für den Mann, den Adolf Hitler einst zu seinem Stellvertreter ernannt hatte. Sie hoben den Arm zum Hitlergruß für den Nationalsozialisten, der nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Suizid am 17. August 1987 im Berliner Kriegsverbrechergefängnis Spandau eingesessen hatte. Jedes Jahr zu Heß' Todestag demonstrierten sie ihre rechtsradikale Gesinnung vor dem Grabstein in Wunsiedel, auf dem der Spruch "Ich hab's gewagt" geschrieben stand.
In den letzten Jahren, seit 2005, konnte die Stadt Wunsiedel diese Aufmärsche bereits verbieten - eine Änderung des Versammlungsrechts machte das möglich. Doch nun ist das gar nicht mehr nötig: Der Wallfahrtsort existiert nicht mehr. In der Nacht zum Mittwoch, zwischen vier und sechs Uhr morgens, wurde das Grab von Rudolf Heß aufgelöst; seine Gebeine wurden exhumiert.
Dass den Neonazis damit eine Pilgerstätte entzogen wird, hat der Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde Wunsiedel durchgesetzt. Noch im Jahr 1987 hatte das Gremium einer Beisetzung von Heß auf dem Friedhof in Wunsiedel zugestimmt. Sein Leichnam sollte im Familiengrab seiner Eltern liegen dürfen, die in Wunsiedel ein Ferienhaus besessen hatten. In seinem Testament hatte Rudolf Heß den Wunsch formuliert, ebenfalls dort beerdigt zu werden.
Pachtvertrag gekündigt
Schon damals zögerte der Kirchenvorstand, weil man um den Rudolf-Heß-Kult in der rechten Szene wusste. Doch die Mitglieder stimmten schließlich zu: Sie wollten den letzten Willen des Verstorbenen nicht missachten - auch wenn es der Wille eines Mannes war, der zu den frühesten und glühendsten Anhängern Hitlers gehört hatte. Der "Stellvertreter des Führers" war tief in die Verbrechen des Regimes verstrickt. Nur weil er bereits 1941 nach seinem bizarren Alleinflug nach Schottland in Kriegsgefangenschaft geriet, wurde er in den Nürnberger Prozessen nicht zum Tode, sondern zu lebenslanger Haft verurteilt.
Als Wunsiedel und sein evangelischer Friedhof in den Jahren nach 1987 allerdings immer mehr Neonazis anzogen, änderte der Kirchenvorstand seine Haltung. Und als der Pachtvertrag für das Grab zur Verlängerung anstand, entschied die Gemeinde, den Konflikt einzugehen: Man teilte den Erben mit, dass die Gebeine von Rudolf Heß nur bis zum 5. Oktober 2011 in Wunsiedel bleiben könnten. Der Pachtvertrag war damit gekündigt.
Zunächst widersprachen die Erben. Eine Enkelin von Heß reichte Klage ein, weil sie die Exhumierung ihres Großvaters nicht hinnehmen wollte. Doch zu einem Gerichtsverfahren kam es nicht. Der Kirchenvorstand, darunter der langjährige Landrat des Kreises Wunsiedel, Peter Seißer, verhandelte diskret mit den Nachfahren und gab zu bedenken, dass der Wallfahrtsort der Rechten in der Stadt nicht erwünscht sei. Das war erfolgreich: Die Enkelin, die geklagt hatte, signalisierte schließlich, dass auch ihr nichts daran gelegen sei, dass das Grab ihrer Familie derart missbraucht würde. Sie stimmte der Auflösung zu.
Die Erben beschlossen, dass Heß' Gebeine zunächst verbrannt werden. Seine Asche soll danach in einer Seebestattung auf dem offenen Meer verstreut werden. Die Verherrlichung des Helden der Neonazis wird damit noch schwieriger werden.