Schwerin:Studie zeigt zunehmende soziale Entmischung in Wohngebieten

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Der Schriftzug „Schöner Wohnen“ ist an einem Plattenbau-Wohnblock zu sehen. (Foto: Jens Büttner/zb/Archiv)

Die soziale Entmischung in Wohngebieten hat sich in Städten Mecklenburg-Vorpommerns nach 1990 stärker vollzogen als in den meisten anderen ostdeutschen...

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Schwerin (dpa/mv) - Die soziale Entmischung in Wohngebieten hat sich in Städten Mecklenburg-Vorpommerns nach 1990 stärker vollzogen als in den meisten anderen ostdeutschen Regionen. Das geht aus einer am Dienstag in Schwerin vorgestellten Studie hervor. Demnach wurden vor allem in Städten wie Rostock, Schwerin und Greifswald Geringverdiener und Hartz-IV-Bezieher immer mehr aus den heute teuren Innenstadtbereichen verdrängt und zogen auch nicht in lukrative Wohnviertel in Strandnähe.

Innerhalb der vergangenen 15 Jahre ging etwa in Rostock der ohnehin geringe Anteil der von Sozialleistungen abhängigen Bewohner in Nicht-Plattenbaugebieten noch einmal um die Hälfte zurück. Andererseits sei der Anteil sozial bedürftiger Menschen in den Plattenbausiedlungen trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs weiterhin hoch, durch die Zuwanderung zum Teil noch gestiegen, konstatierte der Leiter der Studie, Professor Marcel Helbig, vom Wissenschaftszentrum Berlin. In Stralsund oder in Wismar hingegen seien die sozialen Unterschiede zwischen Platten- und Nicht-Plattenbaugebieten vergleichsweise gering.

Zu DDR-Zeiten waren Wohnungen in Plattenbauviertel sehr begehrt, bei Ärzten wie bei Schichtarbeitern. Doch verloren diese meist kleinen Einheitswohnungen nach der Wende ihre Anziehungskraft und wer konnte, zog in modernisierte Altbauwohnungen im Zentrum oder ins Eigenheim im Speckgürtel. Menschen mit geringen Einkommen blieben in der „Platte“.

Die Studie zeige, dass weitere Anstrengungen für eine Stadtbaupolitik „hin zu bunt durchmischten Wohnungsquartieren“ nötig seien, betonte Infrastrukturminister Christian Pegel (SPD). Ziel der Landesregierung sei es, durch geänderte Förderrichtlinien den Entmischungstendenzen entgegenzuwirken. So solle in vier Modellregionen getestet werden, wie durch gezielte Förderung Wohnraum für unterschiedliche Einkommensschichten in einem Quartier geschaffen werden kann. Greifswald habe bereits ein Konzept vorgelegt und in Schwerin liefen die Planungen. Weitere Projekte solle es in Rostock und möglicherweise in der Tourismusregion Usedom geben, wo Mitarbeiter aus der Gastronomie kaum noch bezahlbaren Wohnraum fänden.

Helbig verwies darauf, dass die soziale Entmischung der Wohngebiete eine Reihe von Folgeerscheinungen mit sich bringe, die die Spaltung vertiefen. Dazu gehöre die Entwicklung der Schulstruktur. Während sich öffentliche Schulen in Plattenbausiedlungen oft zu Problemschulen mit eher abschreckender Wirkung entwickelt hätten, seien in wohlsituierten Vierteln Privatschulen aus dem Boden geschossen. „Der Ausbau der Privatschulen war die Antwort der Eltern auf eine nicht akzeptierte Schulreform“, sagte Helbig.

Die Landesregierung habe das Problem erkannt, sagte Pegel. Bau-, Bildungs- und Sozialministerium würden daher gemeinsam nach Lösungen suchen. „Dort, wo sich Kinder aus unterschiedlichen Schichten täglich in der Schule begegnen, gehen sie auch später vorurteilsfrei miteinander um“, zeigte sich Pegel überzeugt.

Nach Ansicht der Linke-Landtagsabgeordneten Eva-Maria Kröger sind für eine stärkere soziale Durchmischung der Wohngebiete viele Maßnahmen notwendig. „Nur nebeneinander zu wohnen, hilft dabei wenig, denn miteinander zu leben, braucht Begegnungen. Besonders wichtig ist, die Stadtteile aufzuwerten. Supermärkte, Cafés, Ärzte und alternative Wohnformen für Jung und Alt gehören genauso dazu wie eine gute Anbindung durch den Nahverkehr“, hob sie hervor. Starke staatliche Schulen seien ein zentraler Weg, damit alle Kinder, egal wie viel die Eltern verdienen, gemeinsam lernen und Zeit miteinander verbringen.

Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), forderte die Landesregierung auf, auch die Reform der Grundsteuer zu nutzen, um die weitere Entmischung von Quartieren zu verhindern. „So muss die Berechnung der Grundsteuer auf Grundlage der Fläche erfolgen. Das wäre unbürokratisch und gerecht, da die Grundsteuer die Grundlage für die Infrastruktur einer Kommune ist.“ Wer die Grundsteuer zu einer verkappten Vermögenssteuer umwandeln wolle, sorge dafür, dass sich künftig noch mehr Haushalte mit mittlerem und geringem Einkommen die besonders nachgefragten Quartiere nicht mehr leisten können.

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