Berliner Wohnungsmarkt:Dann kaufen wir unsere Häuser eben selbst

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Demonstration für das Vorkaufsrecht der Mieter vor dem roten Rathaus in Berlin. (Foto: imago images)

Bedroht von der Übernahme durch Investment-Firmen gründen Berliner Mieter eine Genossenschaft und erwerben ihren Wohnkomplex. Das klingt nach Revolution - und löst heftige politische Attacken aus.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Armin Beber ist ein kräftiger, großer Mann mit einem kleinen Wunsch: "Für unser Haus wäre es das Beste, wenn wir jetzt einmal zwei, drei Jahre Ruhe hätten, um eine echte Genossenschaft zu werden." Beber, 42, dunkles Haar, beschäftigt als Projektleiter, wohnt im Berliner Innenstadtbezirk Schöneberg. In einem von drei Häusern, deren Bewohner eine Revolution auf dem Berliner Wohnungsmarkt angezettelt haben. Seit Jahren lebt Beber in dem Altbaukomplex, der durch einen großen Hof verbunden ist und trotzdem kannte man sich unter den fast 80 Mietern hier meist nur vom Sehen. "Das ist eine absolut heterogene Mischung von Menschen", sagt Beber. "Sozial schwache genauso wie absolut reiche. Von Linken bis zu Konservativen." Vor einem Jahr sollten die Häuser an ein großes Wohnungsunternehmen verkauft werden. "Dann ist etwas Wunderbares passiert", erzählt Beber. "Ganz viele Mieter kamen zusammen, sie haben gemeinsam demonstriert und Plakate in ihre Fenster geklebt."

Bebers Haus gehört zu insgesamt sechs Komplexen der Genossenschaft "Diese eG". Als die ursprünglichen Besitzer der Wohnungen, zumeist Einzelpersonen, die Anlagen verkaufen wollten, sollten sie an Firmen wie die Fortis Real Estate Investment AG gehen, deren einer Slogan lautet: "Herrschaftliches Wohngefühl im Art-Nouveau-Stil". Oder an die Tangelwood SARL Euro Reinvestment LP mit Sitz in Houston, Texas. Der Berliner Wohnungsmarkt gilt nach wie vor als Shopping-Paradies für Großunternehmen, die in Immobilien investieren wollen. Daran konnte selbst der Senat aus SPD, Linken und Grünen nicht wirklich etwas ändern. Gerade ist der norwegische Milliardär Ivar Tollefsen dabei, knapp 4000 Wohnungen in der Stadt zu erwerben. Der Mechanismus, der dann in Gang kommt, ist regelmäßig derselbe: Auf so genannte Modernisierungen folgen erhebliche Mietsteigerungen. In keiner anderen deutschen Metropole sind die Preise fürs Wohnen in den vergangenen Jahren so drastisch gestiegen wie in Berlin.

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Kniff im Baurecht

Die Diese eG konnte einen Kniff im Baurecht nutzen. Denn in bestimmten geschützten Stadtgebieten hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, wenn ein Haus den Besitzer wechseln soll. Der Bezirk sucht sich dann einen geeigneten Träger, in diesem Fall war es der grüne Baustadtrat Florian Schmidt, der die "Diese eG" einsetzte. Es war das erste Mal in Berlin und vermutlich auch in Deutschland, dass sich Mieter in einer Genossenschaft zusammenschlossen - nur, um von diesem Recht Gebrauch zu machen. 140 Wohnungen mit fast 220 Mietern in Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Schöneberg gelangten so nicht an einen globalen Investor, sondern in die Hände ihrer Bewohner. Die Gesamtkosten beliefen sich auf etwa 41,6 Millionen Euro. "Der große Nenner war, dass wir uns glücklich schätzen konnten, hier zu leben", beschreibt Armin Beber den Grund für den plötzlichen Zusammenhalt. Es klingt zu gut, um wahr zu sein.

Und genau so ist es auch.

Seitdem die Diese eG im Frühjahr 2019 mit dem Vorkauf der Häuser begonnen hat, wird sie attackiert. Die Opposition aus CDU und FDP machte sie regelmäßig zum Thema in den Bezirksparlamenten und im Abgeordnetenhaus; der Vorstand der Genossenschaft wurde wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung angezeigt - von einer Anwältin, die lange Zeit selbst in der FDP aktiv war. Auf Twitter wurden Fotos einer Vorständin aus den Ferien gepostet. "Die Diese eG ... sollte übrigens gut erholt ins neue Jahr starten können", hieß es daraufhin im Tagesspiegel. "Ein Teil des Vorstands weihnachtsurlaubte auf Sri Lanka." Auch der Berliner Rechnungshof beschäftigte sich mit der Diese eG, sein Bericht erscheint am kommenden Montag.

Die ständigen Angriffe setzten den jungen Genossenschaftern kräftig zu, sagt Cindy Lautenbach aus einem der Häuser in Friedrichshain-Kreuzberg. "Da werden immer wieder Ängste geschürt. Es werden auch Tatsachen verdreht. Was dann in der Öffentlichkeit hängen bleibt, ist: Da stimmt etwas nicht." Das Ziel sei, einen Präzedenzfall wie die Diese eG auf dem Immobilienmarkt zu verhindern.

Die Diese eG als Modell?

Tatsächlich ist der Genossenschaft etwas gelungen, was ihr eigentlich kaum gelingen konnte. Das Vorkaufsrecht der Bezirke war in den vergangenen Jahren vor allem genutzt worden, um den Käufern eine so genannte Abwendungserklärung abzuringen: Wenn sie den Schutz der Mieter garantierten -, zum Beispiel keine Aufteilung der Häuser in Eigentumswohnungen - bekamen sie den Zuschlag. In anderen Fällen wurde das Vorkaufsrecht tatsächlich ausgeübt - meist von landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Doch in Zeiten, in denen Häuser über dem Marktwert, teils zum 45-Fachen der Nettokaltmiete, gehandelt wurden, konnten diese Unternehmen den Kauf nicht mehr finanzieren. Wenn aber keiner mehr das Vorkaufsrecht nutzen kann, funktioniert auch die Drohung damit nicht mehr. Die Bezirke wären gegenüber den Konzernen machtlos.

Die Diese eG sollte zum Modellfall dafür werden, dass sich Bezirke und Mieter trotzdem wehren können: Kein teurer Verwaltungsapparat, von den Bewohnern getragen, über 30, 40 Jahre finanziert, dazu noch Zuschüsse vom Senat. Initiativen in Leipzig, Stuttgart, Düsseldorf und anderen deutschen Städten haben die Mitglieder der Diese eG seitdem eingeladen. Um zu erfahren, wie das funktionieren kann. "Es hat einen Anstoß für ältere Genossenschaften gegeben, da auch rein zu gehen", sagt Elena Poeschl, 27. Sie gehört zum Vorstand der Diese eG, es ist das zweite Mal, dass sie solch einen Vorkauf mitorganisiert hat. Doch so wie in den vergangenen Monaten habe sie noch nie unter Druck gestanden. "Ein Bundestagsabgeordneter hat mir gesagt: 'Wenn das hier schiefgeht, dann versaut Ihr es für die anderen für die nächsten 20 Jahre'."

Der Druck war auch aus einem anderen Grund enorm: Die Finanzierung der Diese eG stand mehrfach auf der Kippe. Vor allem, weil sie mit staatlichen Zuschüssen gerechnet war, die dann nicht kamen. Außerdem wurden Kreditanträge bei der Investitionsbank Berlin wochenlang nicht beantwortet. Die Genossenschaft drohte daraufhin, insolvent zu werden. Mit Überbrückungsgeldern und durch den Einsatz des Berliner Finanzsenators gelang es schließlich, die nötigen Mittel zusammenzubekommen.

CDU und FDP gegen den Grünen Baustadtrat

Das andere Problem der Genossenschaft heißt Florian Schmidt. Das ist insofern kurios, weil der grüne Baustadtrat im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die Diese eG maßgeblich angeschoben hat. Er hat den Vorkauf der sechs Hauskomplexe gegen alle Widerstände durchgesetzt. Doch weil dies nicht sein einziges Husarenstück war, ist Schmidt einer der umstrittensten Bezirkspolitiker der Stadt. Er selbst beschreibt sich mehr als Aktivisten denn als Politiker, konservativen Berlinern gilt er als Bürgerschreck; Michael Müller, der Regierende Bürgermeister vom Koalitionspartner SPD, nannte ihn leicht verächtlich den "Mini-Robin-Hood".

In einem Jahr wird in der Stadt gewählt, Schmidt bis dahin zu stürzen, wäre im Wahlkampf eine große Trophäe für CDU und FDP. Auch so manche Sozialdemokraten sähen den Baustadtrat gerne scheitern, seitdem die Grünen in Umfragen sehr solide vor der SPD liegen. Die Diese eG mit ihren 218 Mietern scheint da ein Mittel zum Zweck zu sein.

Was dabei rauskomme, sei paradox, meint Armin Beber. Er und andere Mieter aus der neuen Hausgemeinschaft in Schöneberg besuchen seit dem Kauf regelmäßig das Bezirksparlament. Immer dann, wenn wieder einmal die Diese eG auf der Agenda steht. "FDP und CDU begründen dort ihre Attacken gegen uns damit, dass sie den Mietern helfen wollten", berichtet Beber. "Das ist doch vollkommen absurd: Wir sind doch die Mieter."

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