Wikileaks-Gründer Julian Assange:Die Welt jagt ein Phantom

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Es klingt wie das Drehbuch zu einem Thriller. Doch für Julian Assange ist es bitterer Ernst: Der Wikileaks-Chef wird nun international gesucht. Die US-Politikerin Sarah Palin will ihn gar wie einen Al-Qaida-Terroristen jagen lassen.

Sarina Pfauth

Dieser Mann hat hehre Ziele. Jedenfalls behauptet er das. "Wikileaks ist dazu da, mehr Freiheit und Ethik in den Kapitalismus zu bringen", beschrieb Julian Assange seine Absichten in einem in dieser Woche veröffentlichten Interview mit dem Magazin Forbes.

Gejagt: Wikileaks-Gründer Julian Assange wird in 188 Ländern gesucht. Assange vermutet hinter den Vorwürfen gegen ihn ein Komplott. (Foto: dapd)

Doch die Versuche, auf seine Weise die Welt zu verbessern, werden ihm im Moment ganz schön schwergemacht: Der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks wird international gesucht, seit Dienstagabend steht er auf der Fahndungsliste von Interpol. Damit sind nun 188 Staaten aufgefordert, Schweden bei der Suche nach einer beschuldigten Person "mit Blick auf ihre Festnahme und Auslieferung" zu unterstützen.

Assange selbst vermutet hinter der Jagd auf ihn ein Komplott von Geheimdiensten, die ihn zu Fall bringen wollen. Er ist untergetaucht, meldet sich aber von Zeit zu Zeit von unbekannten Orten aus bei Journalisten und seinen Anwälten.

Der Fall Assange klingt wie ein Drehbuch zu einem Thriller, doch wenn stimmt, was zwei Frauen in Schweden behaupten, dann geht es hier nicht um spannende Unterhaltung, sondern um die sehr ernste Verfolgung eines Straftäters. Ein Gericht in Stockholm hatte kürzlich einen Haftbefehl gegen den 39-Jährigen ausgestellt - wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung. Assange selbst hat die Vorwürfe stets bestritten, er spricht von einer Schmutzkampagne gegen ihn und Wikileaks.

Was in jedem Fall stimmt, ist, dass sich der Wikileaks-Chef mit den Veröffentlichungen geheimer Dokumente bei sehr einflussreichen Leuten extrem unbeliebt gemacht hat. Auf der ganzen Welt, vor allem aber in den Vereinigten Staaten, haben die Wikileaks-Enthüllungen für große Unruhe gesorgt.

US-Außenministerin Hillary Clinton zeigte sich über die Veröffentlichungen schockiert und bezeichnete sie als "illegal"; Sarah Palin, die republikanische Politikerin, die offenbar gern US-Präsidentin werden würde, ruft gar dazu auf, Assange wie einen Al-Qaida-Terroristen oder Taliban-Kämpfer zu jagen. "Blut klebt an seinen Händen", schreibt Palin auf ihrer Facebook-Seite über den Wikileaks-Chef.

Vier Tage nach der Veröffentlichung von Hunderttausenden vertraulicher oder geheimer Dossiers von US-Diplomaten hat sich der Untergetauchte nun wieder gemeldet: Über den Kommunikationsdienst Skype sprach er mit dem Time Magazine, das erste Audio-Ausschnitte aus dem Interview bereits veröffentlicht hat. Darin fordert Assange Hillary Clintons Rücktritt, falls sie US-Diplomaten im Ausland zur Spionage angestiftet habe.

Kurz zuvor war das Interview mit dem Wirtschaftsblatt Forbes veröffentlicht worden, in dem Assange weitere spektakuläre Enthüllungen für Januar ankündigt. Er behauptet in dem Gespräch, dass Wikileaks Anfang Januar 2011 Zehntausende Dokumente einer großen US-Bank bekanntmachen werde, es gehe um ungeheuerliche Verstöße und unethische Praktiken. "Ich glaube, sie könnten ein oder zwei Banken zu Fall bringen", sagte Assange dem Blatt.

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Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange aus Schweden waren erstmals im August laut geworden. Zwei Frauen hatten sich bei der Polizei gemeldet und ihn beschuldigt, sie zum ungeschützten Sex gezwungen zu haben. Daraufhin beantragte am 20. August ein Staatsanwalt Haftbefehl gegen Assange, zog den Antrag aber nur wenige Stunden später zurück.

Die Webseite der Internationalen Polizeiorganisation Interpol. Die schwedische Staatsanwaltschaft hatte am 20. November die internationale Fahndung nach Assange beantragt. (Foto: AFP)

Am 1. September dann eröffnete die schwedische Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren gegen Assange. Die zuständige Staatsanwältin verzichtete zunächst auf einen Haftbefehl und gestattete es dem Australier, Schweden zu verlassen.

Mitte November wurde in Schweden schließlich Haftbefehl gegen den Wikileaks-Gründer erlassen. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Assange laut seinem britischen Anwalt Mark Stephens noch in London auf. Die Ermittlungsleiterin bei der schwedischen Staatsanwaltschaft, Marianne Ny, begründet ihren Fahndungs-Antrag bei Interpol, dem am 29. November stattgegeben wurde, nun damit, dass der Australier zu den Vorwürfen befragt werden müsse. Assanges Anwälte bestehen darauf, dass sich der Wikileaks-Chef über Monate hinweg zur Aussage bereiterklärt habe, die Behörden allerdings nicht darauf eingegangen seien.

Die Justiz muss Assange aber nicht nur in Schweden fürchten, dem Land, in dem er sich eigentlich niederlassen wollte. In den USA lauten die Vorwürfe zwar anders - doch auch dort wird ein Strafverfahren gegen ihn geprüft, wegen Geheimnisverrats. Schon seit Juni wird er von den US-Behörden gesucht.

Assanges Geburtsland Australien habe der US-Regierung zudem volle Unterstützung bei einer Strafverfolgung von Assange zugesichert, sagte der australische Justizminister Robert McClelland. "Die USA werden die führende Regierung in dieser Angelegenheit sein, aber sicherlich werden die australischen Behörden behilflich sein", fügte er hinzu.

Julian Assange, der eher unscheinbare blonde Mann, der gerne schmal geschnittene Anzüge trägt, hat es nun nicht leicht, einen für ihn sicheren Aufenthaltsort zu finden.

Am Montag hatte Ecuadors Vize-Außenminister Kintto Lucas erklärt: "Wir sind bereit, ihm ein Aufenthaltsrecht anzubieten, ohne Probleme und ohne Bedingungen." Umgehend stellte Staatschef Rafael Correra allerdings klar: "Es gibt kein formales Angebot für den Chef von Wikileaks." Die Erklärung Lucas' sei nur dessen persönliche Ansicht gewesen.

Das Reisen ist Julian Paul Assange eigentlich gewohnt: Der 39-Jährige, der Physik in Melbourne studiert hat, lebte schon in China, in Iran, in den USA und in Großbritannien. Doch nun gibt es kaum noch Orte auf der Welt, wo der Wikileaks-Chef sich problemlos aufhalten könnte.

Anfang November hatte Julian Assange gesagt, er könne nun nur noch in Island, auf Kuba und in der Schweiz ungehindert arbeiten und wolle sich möglicherweise auch in dem Alpenland niederlassen. Dort wurde der 1971 geborene Australier wohl auch zuletzt öffentlich gesehen: Am 4. November trat er in Genf vor rund 100 Journalisten auf, am gleichen Tag war er im Schweizer Fernsehsender TSR zu Gast, wo er über einen möglichen Asylantrag in der Schweiz und Umzugspläne für seine Webseite sprach.

Dass das Projekt Wikileaks seinem Gründer weiter nachfolgt, scheint unterdessen nicht mehr selbstverständlich zu sein: In den vergangenen Monaten kritisierten immer mehr Mitarbeiter des Netzwerks Assanges Führungsstil, inzwischen haben viele aus dem ehemals engsten Kreis um Assange das Netzwerk verlassen.

Mitte Dezember wollen Wikileaks-Aussteiger nun Berichten zufolge ein eigene Enthüllungsplattform eröffnen - das neue Projekt sei aber "kein persönlicher Angriff auf Julian Assange oder Wikileaks", versicherte der frühere Wikileaks-Mitarbeiter Herbert Snorrason.

Noch mehr Feinde kämen Julian Paul Assange im Moment aber auch wirklich ungelegen.

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