Wiesbaden (dpa/lhe) - Hessens Regierungsspitze hat zur Halbzeit der Legislaturperiode eine positive Bilanz der bisherigen Arbeit gezogen. Die schwarz-grüne Koalition habe sich auch unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie mehr als bewährt, sagten Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) am Donnerstag in Wiesbaden. „Das ist eine Regierung des Erfolgs und Vertrauens“, betonte Bouffier. „Die Bevölkerung in Hessen kann sich auf uns verlassen.“
Anspruch der Koalitionspartner sei nicht, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, erklärte Vize-Regierungschef Al-Wazir. Es gehe Christdemokraten und Grünen darum, nach vorne gerichtete, kreative Lösungen zusammen zu finden. Natürlich gebe es auch unterschiedliche Meinungen in dem Bündnis, erklärten die beiden Spitzenpolitiker. „Sie werden in Deutschland keine Regierung finden, die so vertrauensvoll, respektvoll und verlässlich arbeitet“, betonte aber Regierungschef Bouffier.
CDU und Grüne regieren in Hessen seit Anfang 2014. Nach der darauffolgenden Landtagswahl kam es zu einer Neuauflage des Bündnisses; allerdings nur mit einer Stimme Mehrheit. Am 18. Januar 2019 war Bouffier erneut ins Amt des Ministerpräsidenten gewählt worden. Die nächste Landtagswahl in Hessen ist voraussichtlich im Herbst 2023.
Auch mit Hilfe des Corona-Sondervermögens sei Hessen bislang gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Die Auswirkungen werden aber auch noch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode zu spüren sein, sagte der Ministerpräsident. Richtschnur des Handelns werde vor allem die Lage in den Kliniken und Krankenhäusern sein. In den Sommerferien sei auch noch ein großes Aktionsprogramm mit vielfältigen Vereinen, Verbänden und Organisationen geplant, in dem zum Impfen aufgerufen und zur Vorsicht gemahnt werde.
Bouffier und Al-Wazir betonten, dass die Landesregierung neben den vielfältigen Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie auch an den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag gearbeitet habe. Dabei nannten sie unter anderem den Hochschulpakt, die Einrichtung einer Meldestelle gegen Hass und Hetze im Internet sowie die Verbrechensbekämpfung.
Ziele für die zweite Hälfte der Legislaturperiode seien etwa der Ausbau des Schienennetzes und ein noch stärkeren Kinderschutz. Dazu werde weiter daran gearbeitet, gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land zu haben. Außerdem werde am Abbau der coronabedingten Verschuldung gearbeitet, erklärten die beiden Politiker. Bis zum Jahr 2024 will die Landesregierung wieder einen Haushalt ohne neue Schulden aufstellen.
Die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser kritisierte dagegen die Arbeit von Schwarz-Grün scharf. Die Koalition regiere das Land auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners. „Von Aufbruch keine Spur. Schwarz-Grün ist eine Koalition ohne Zukunft.“ Gerade in der Corona-Pandemie habe sich die Kraft- und Ideenlosigkeit der Landesregierung gezeigt.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Robert Lambrou sprach von „Selbstlob der Stagnation“. Lambrou kritisierte wie Faeser scharf das Corona-Sondervermögen des Landes. Derzeit verhandelt der hessische Staatsgerichtshof über Klagen aus den Reihen der Landtagsopposition darüber, ob die Regelung verfassungswidrig ist.
Zuvor hatten auch schon die Oppositionsfraktionen von FDP und Linken der schwarz-grünen Landesregierung zur Halbzeit der Legislaturperiode ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die Linke warf der Koalition große Versäumnisse in der Corona-Politik vor. Die Liberalen kritisierten, Schwarz-Grün habe weder Leuchtturmprojekte losgetreten, noch Antworten auf große Herausforderungen wie die Digitalisierung, den demografischen Wandel, die Integration oder beim Thema Nachhaltigkeit geliefert.
Der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) forderte mehr Impulse für die Unternehmen im Land. „Die schwarz-grüne Landesregierung sollte mehr Wirtschaft wagen“, erklärte HIHK-Präsident Eberhard Flammer. Die laufende Legislaturperiode sei von der Corona-Pandemie dominiert worden. Dabei habe die Koalition wichtige Hilfen auf den Weg gebracht. „Nun sollte sie mit Nachdruck daran arbeiten, den Wirtschaftsstandort Hessen attraktiver zu machen.“
Nach Einschätzung der Gießener Politik-Professorin Dorothée de Nève ist die größte Baustelle der hessischen Landesregierung die Bildungspolitik. „In Zeiten von Corona sind die Probleme hier schonungslos sichtbar geworden“, sagte die Expertin der Deutschen Presse-Agentur in Hessen. „Die Ausstattung der Schulen ist nicht mehr zeitgemäß. Es herrscht Personalmangel. Und das Krisenmanagement funktioniert nicht.“ Die zweite große Baustelle sei die Klima- und Umweltpolitik. „Hier wurden viele Erwartungen an eine grüne Regierungsbeteiligung enttäuscht.“
Insgesamt stehe Schwarz-Grün in Hessen zur Halbzeit der Legislatur „sehr gut“ da, sagte die Expertin. CDU und Grüne arbeiteten sehr geschmeidig zusammen. In Hessen funktioniere Schwarz-Grün geräuschlos. „Wiesbaden bietet sich deshalb trotz des aktuellen Wahlkampfgetöses in Berlin als Modell für die nächste Bundesregierung an.“ Das harmonische Miteinander in Hessen funktioniere jedoch auf kleinstem gemeinsamem Nenner. „Bis zum heutigen Tage hat Schwarz-Grün in Hessen keine großen Projekte in Angriff genommen.“
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