Weißrussland:Rückfall in die Düsternis

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Die EU im Umgang mit Lukaschenko wenig falsch gemacht - und muss beharrlich bleiben. Sein Vorgehen empört, doch Weissrussland ist nicht Nordkorea: Eines Tages wird er zwischen Reformen und Stagnation wählen müssen.

Frank Nienhuysen

Der Wandel in Weißrussland hat viele Gesichter, und mindestens sieben von ihnen waren am Montag schon wieder verschwunden. Mitgenommen, festgesetzt, verhaftet. Neun Kandidaten hatten den weißrussischen Dauerherrscher in dessen Amt herausfordern dürfen. So viele wie nie zuvor in der 16-jährigen Epoche von Alexander Lukaschenko - die sichtbarste Geste, dass das Land zu mehr Pluralismus bereit ist. So war es zumindest bis zum Tag der Wahl.

Der schwierige Umgang mit Lukaschenko: Die EU hat in ihrer Politik vieles richtig gemacht - und muss diesen Weg beharrlich weiter gehen. (Foto: dpa)

Nun scheinen umso mehr Oppositionelle das Schicksal von Alexander Kosulin zu teilen, der vor Jahren gegen den Thron aufbegehrte und am Ende im Gefängnis landete. Von einem gewendeten Staatschef will nun kaum einer noch sprechen. Die Massenfestnahme von Kandidaten für das höchste Amt im Staate ist ein Rückschlag für alle, die Weißrussland schon weiter wähnten. Und alle fragen sich: Warum macht er das?

Gönnerhaft ließ Machthaber Lukaschenko das Großaufgebot an Gegnern zu - eigentlich ein kluger Zug. Machiavellis Ratschlag an den Fürsten Medici, "divide et impera", teile und herrsche - konnte nirgendwo besser fruchten als in einem zerfransten Bewerberfeld. Die Oppositionellen vereinte der Wunsch nach einem Ende der bisherigen Verhältnisse, nach einer Ablösung des Präsidenten, nach mehr Freiheit für Weißrussland. Doch darin liegt für Lukaschenko bereits der Keim der Revolution.

Lukaschenkos Angst

Lukaschenko überschlug sich mit Zugeständnisse und Gesten an die Europäische Union - offenbar nur in der Absicht, dass der Westen von Fortschritten sprechen musste. Das Herrschaftsgefüge in Minsk durfte dabei nicht gefährdet werden. Nach dem harten Zugriff der Polizei bleiben zwei Schlüsse übrig: Lukaschenkos wurde von der Angst übermannt, dass die liberalen Geistern, die er rief, mit dem Großprotest in der Hauptstadt plötzlich nicht mehr verschwinden würden. Und seine außenpolitischen Offerten sind plötzlich nicht mehr so wichtig.

Minsk suchte zuletzt die Nähe des Westens, das Regime kaufte Öl in Venezuela, knüpfte Bande mit China. Weißrussland zelebrierte dies als neue Souveränität, als die geopolitische Unabhängigkeit eines Landes, das viele Jahre isoliert und von Russland abhängig war. Der Druck vom großen Bruderland war auch übermächtig. Monat um Monat stritten sich die Nachbarn. Am Ende war es fast schon verwirrend, ob eine giftige Äußerung die Antwort auf eine vorangegangene war, oder ob eine neue Boshaftigkeit die nächste Konfrontation ankündigte.

Weißrussland schien Russland durch den Westen ersetzen zu wollen, den Rubel durch den Euro. Es tat sich ein Fenster auf, durch das Europa Weißrussland die Hand reichte. Doch kaum ist es geöffnet, schließt es sich wieder.

Weißrussland nach der Wahl
:Prügel gegen den Protest

Tausende Weißrussen gehen gegen den umstrittenen Wahlsieg von Präsident Alexander Lukaschenko auf die Straße. Die Polizei reagiert mit Härte. Sie verhaftet etwa 1000 Demonstranten - und mehrere Präsidentschaftskandidaten. In Bildern.

Im Schatten von Wikileaks, Euro-Rettungsschirm und Wintereinbruch sind sich Russland und Weißrussland plötzlich wieder näher gekommen, so nahe, dass Minsk nun glaubt, einen Kotau vor Europa nicht mehr nötig zu haben. Denn Moskau und Minsk haben sich geräuschlos im Streit um Öl und Gas geeinigt. Mit beruhigenden Folgen für Lukaschenko. Während der russische Präsident Dmitrij Medwedjew noch vor wenigen Wochen die Anerkennung der Wahl in Weißrussland erstmals offen ließ, kommentierte er die gewaltsamen Ausschreitungen nach der Wahl nun wurstig als "innere Angelegenheit". Plötzlich ist Russland wieder eine Option.

Die Europäische Union hat in ihrer Weißrussland-Politik wenig falsch gemacht und vieles richtig. Jetzt darf sie nicht den falschen Reflexen folgen. Die Festnahme fast aller Präsidentschaftskandidaten empört zu Recht den Westen und blockiert den Weg in eine neue Ära. So weit ist Weißrussland also doch noch nicht.

Es bleibt nur Beharrlichkeit

Finanzhilfe oder Visa-Erleichterungen muss Europa deswegen weiter an enge Bedingungen knüpfen, auch an politische Reformen, die es im Wahlkampf mit den Fernsehauftritten der Lukaschenko-Gegner zumindest in verkleinertem Format schon gab. Berlin oder Brüssel dürfen Minsk nicht arglos hofieren. Und trotzdem: Weißrussland ist auch nicht Nordkorea, sondern ein Land an der Nahtstelle Europas. Dessen Bevölkerung will Stabilität, und zugleich giert sie nach Freiheit, will Einschüchterung und Angst hinter sich lassen.

Mit Demokratie ist in Weißrussland so schnell nicht zu rechnen, das hat die Wahl belegt. Viele Menschen in Minsk, Grodno oder Brest würden jedoch vollends zermürbt, wenn der Westen sich nun enttäuscht abwendete. Also bleibt nur Beharrlichkeit: Auch ein Lukaschenko wird eines Tages wählen müssen zwischen Reformen und drohender Stagnation.

Die Kabale mit Russland hat den engen Spielraum von Europas letztem Diktator verdeutlicht. Nun hat er sich selber den schmalen Weg nach Westen versperrt und geht Abhängigkeiten ein, die er schon überwunden glaubte. Will Lukaschenko seine Propaganda wahr machen und Weißrussland in die Top 50 der Wirtschaftsnationen führen, bleibt ihm keine Wahl: Er muss das Land öffnen. Ohne den Westen wird er sein Ziel nicht erreichen. Weißrussland verschwindet sonst wieder vom Radarschirm Europas und bleibt der unbekannter Nachbar an der Nahtstelle der Welten.

© SZ vom 21.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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