Wenn es jemals angebracht war, von einem schillernden Empfang zu sprechen, dann sicher heute. Im Deutschen Nationaltheater hat sich Deutschlands Staatsspitze versammelt, fünf Verfassungsorgane, Hunderte Gäste. Sie alle wollen die Geburt der Weimarer Republik feiern, mit einem gewaltigen Festakt. Wie vor 100 Jahren ist jeder Platz besetzt.
Das Deutsche Nationaltheater ist das Wahrzeichen Weimars - und ein Symbol für ganz Deutschland. Von Goethe und Schiller zu Weltruhm geführt, ist es immer wieder zur politischen Bühne geworden: Hier eröffnete Friedrich Ebert (SPD) die erste Sitzung der frisch gewählten Nationalversammlung, die sich anschickte, der jungen Republik eine neue Verfassung zu geben. Hier tagten die Nazis. Nach dem Krieg lag das Haus in Schutt und Asche wie das Land.
Am 6. Februar 1919 kamen 423 Abgeordnete in der kleinen thüringischen Stadt zusammen, für 197 Tage. Weimar war nicht nur wegen der Unruhen in Berlin als Tagungsort gewählt worden, sondern auch wegen der guten Verkehrsanbindung, und weil es in der Pensionärs- und Beamtenstadt ausreichend Hotels gab.
Der Russische Hof zählt heute zu den besten Häusern am Platz. Drinnen beugt sich Frank-Walter Steinmeier über einen Glaskasten, darin ein Modell des "Hauses der Weimarer Republik". Es soll gegenüber vom Deutschen Nationaltheater entstehen - Themeninseln, Begegnungscafé, Spielplatz. Nicht einfach ein weiteres Museum, sondern ein Ort, wo zur ersten deutschen parlamentarischen Demokratie geforscht und gebildet werden soll. In der anschließenden Kaffeerunde zeigt Steinmeier sich angetan von der Idee. Weimar sei "ein Wendepunkt der deutschen Geschichte" gewesen, sagt er. "Hier stand das erste Mal eine Frau hinter dem Rednerpult. Hier ist ein Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte gesetzt worden." Das 90. Jubiläum hingegen sei "an der Öffentlichkeit vorbeigerauscht". "Andere Zeiten", sagt der Bundespräsident - Stabilität war damals noch selbstverständlich.
Ein Selfie mit Friedrich Ebert
Gegenüber im Jugend- und Kulturzentrum Mon ami haben sie eine Fotobox aufgebaut, wo man sich in Frack und Zylinder neben einem Friedrich Ebert aus Pappe fotografieren lassen kann, ein Selfie mit dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Im "Gesprächscafé" kann man Eberts Urenkel treffen, der kein Politiker, aber immerhin Rechtsanwalt in Hamburg geworden ist. Der Stadtfeuerwehrverband schenkt Erbsensuppe aus.
Weimar ist an diesem Tag eine verkehrsberuhigte Zone, in jeder Gasse parkt ein Streifenwagen, Hunderte Polizisten sind im Einsatz. Bundestags- und Bundesratspräsident, die Kanzlerin, sie alle rotieren durch die Stadt, in der Reclamhefte die besten Reiseführer sind - vom Gottesdienst zu Demokratievereinen, nur noch schnell ein Gruppenfoto vor historischer Kulisse.
In der Weimarer Parkschule war 1919 das Telegraphenamt untergebracht, noch früher Kriegsheimkehrer. In der Aula liegt eine Schulordnung von 1920 aus: "Alle Schüler schauen dem Lehrer fest in die Augen". Und das tun sie dann auch, als der Bundespräsident und Elke Büdenbender gemeinsam mit ihnen im Stuhlkreis sitzen. Fast alle in der Runde sind 16 Jahre alt, bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr dürfen sie das erste Mal wählen. "Ihr geht doch wählen?", fragt Büdenbender mit gespielter Strenge. Sie bricht das Eis, ihr Mann ist fürs Nachhaken zuständig.
"Stört euch etwas?", fragt die Präsidentengattin und erntet erst mal Schweigen. Wenn es um das Thema Demokratie geht, könnte der Lehrplan etwas tiefgründiger sein, rücken sie schließlich heraus, lebenspraktischer auch. "Wir wollen nicht unsere Eltern fragen müssen, wenn wir etwas über Miete und Rente wissen wollen." Immerhin, erklärt eine Lehrerin, werde Mitbestimmung in der Parkschule längst gelebt. So dürfen Schüler hier selbst entscheiden, neben wem sie sitzen wollen.
Steinmeier fordert einen "demokratischen Patriotismus"
Im Deutschen Nationaltheater ist die Sitzordnung vorgegeben. Auch der Bundespräsident ruft in seiner Rede zu mehr Engagement auf, fordert einen "demokratischen Patriotismus". Das Grundgesetz werde oft als "die beste Verfassung, die wir jemals hatten", bezeichnet. Ein Grund sich zurückzulehnen sei das aber nicht. Solange Parlamente als "Quatschbuden" verunglimpft, politisch Engagierte mit Worten oder Gewalt angegriffen würden, solange Menschen den Glauben an den Wert der Demokratie verlören, verbiete sich das. Es sei historisch absurd, wenn heute die schwarz-rot-goldene Flagge von denen geschwungen werde, "die einen neuen nationalistischen Hass entfachen wollen", sagt der Bundespräsident.
Von Demokratiefeinden ist an diesem Tag allerdings nichts zu sehen: "Für Frau Merkel nehme ich den Umweg zum Bäcker gern in Kauf", sagt eine ältere Dame am Rande einer Straßensperre. Wenn die Politprominenz nach Berlin zurückgekehrt ist, wird Weimar wieder eine dieser Geisterstädte im Osten sein - ein Ort großer Geister nämlich.