Warschau:Bidens Beruhigungsreise

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Mehr Sicherheit für Osteuropa: US-Vizepräsident Biden stellt in Warschau die Pläne für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem vor.

T. Urban

US-Vizepräsident Joseph Biden soll an diesem Mittwoch der polnischen Führung in Warschau die neuen amerikanischen Pläne für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem vorstellen. Biden kommt nach Angaben seines Beraters Tony Blinken mit der Absicht, das Misstrauen der Polen und auch ihrer tschechischen Nachbarn gegen die Europa-Politik von Präsident Barack Obama zu zerstreuen.

Obama hatte erst im September die Pläne seines Vorgängers George W. Bush, in Polen und Tschechien ein System zur Abwehr von Interkontinentalraketen aufzubauen, zu den Akten gelegt. In beiden Ländern war diese Entscheidung gegen den Raketenschild als "Einknicken vor Moskau" kritisiert worden. Biden reist nach einem Abstecher in die rumänische Hauptstadt Bukarest am Freitag auch nach Prag.

US-Verteidigungsminister Robert Gates hatte bereits in der vergangenen Woche erklärt, Washington werde Warschau statt des gestrichenen Raketenschildes die Stationierung des mobilen Systems SM-3 anbieten. Das bereits erfolgreich getestete System, mit dem neben der amerikanischen auch die japanischen Marine ausgerüstet ist, zielt auf die Abwehr von Kurz- und Mittelstreckenraketen ab.

Zur Begründung für den Verzicht auf den Raketenschild führte das US-Verteidigungsministerium an, dass Iran in der Entwicklung von Interkontinentalraketen noch nicht so weit fortgeschritten sei wie ursprünglich angenommen. Die Entscheidung Obamas wurde in Moskau gelobt. Vor allem in Polen wurde dieses Lob allerdings als Beleg dafür angesehen, dass die ehemaligen Ostblockstaaten in Mittelosteuropa für Obama keine Rolle mehr spielen.

An der Weichsel empörte man sich vor allem deshalb, weil die Entscheidung ausgerechnet am 17. September bekanntgegeben wurde, dem 70. Jahrestag des Einmarsches der Sowjettruppen in das damalige Ostpolen.

"Ende der amerikanisch-polnischen Allianz"

Der stellvertretende polnische Verteidigungsminister Stanislaw Komorowski hatte am Wochenende mitgeteilt, dass Washington dem Wunsch Warschaus entsprechen werde, in Polen amerikanische Patriot-Raketen zu stationieren. Sie sollten in die polnische Landesverteidigung integriert werden.

Außenminister Radoslaw Sikorski hat immer wieder diese Patriots gefordert, die der Abwehr von Mittelstreckenraketen, Marschflugkörpern und Flugzeugen dienen. Sikorski und auch der liberalkonservative Regierungschef Donald Tusk hielten sich in den vergangenen Wochen mit Kritik an der Streichung des Raketenschildes auffallend zurück.

Beide hatten zu Amtszeiten Bushs ganz offensichtlich versucht, die Unterzeichnung des Abkommens über den Raketenschild hinauszuzögern. In Polen war stets eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung gegen die Stationierung des Systems im Lande gewesen.

Polen könnte so selbst Ziel von Angriffen werden, so lautete das am häufigsten vorgebrachte Argument. Doch nach dem sowjetischen Einmarsch in Georgien im August 2008 hatte sich die Stimmung zugunsten des Projekts gedreht, sodass Tusk schließlich dem Drängen der Bush-Administration nachgab. Den Verzicht auf den Raketenschild beklagten nun vor allem Politiker und Publizisten, die Präsident Lech Kaczynski nahestehen, als "Ende der amerikanisch-polnischen Allianz".

Die Titelseite der nationalpopulistischen Boulevardzeitung Fakt, herausgegeben vom Axel-Springer-Verlag, war am 18. September mit der Balkenüberschrift erschienen: "Verrat! Die USA haben uns den Russen verkauft und uns den Dolch in den Rücken gestoßen." Der amerikanische Vizepräsident erklärte am Vorabend seiner Europa-Reise, dass das Weiße Haus sich weiter in der Pflicht sehe, für die Sicherheit Polens und Tschechiens zu garantieren.

Die Prager Presse spekulierte, dass Washington in Tschechien das logistische Zentrum für das mobile Abwehrsystem einrichten wolle. In Kommentaren der polnischen Presse aber herrschte weiterhin Skepsis vor. Die neuen Pläne bedeuteten für Polen keineswegs ein Mehr an Sicherheit, da das mobile System nicht die Einrichtung fester US-Basen in Polen erfordere.

Das Weiße Haus müsse einen konkreten Zeitplan vorstellen und auch genau darlegen, wie die polnischen Streitkräfte an dem Projekt beteiligt seien, forderte die linksliberale Gazeta Wyborcza. Sie appellierte an Tusk, dafür Sorge zu tragen, dass das neue Projekt von der ganzen Nato mitgetragen werde.

Andere Blätter erinnerten auch daran, dass Washington immer noch nicht die demütigenden Visapflicht für die polnischen Verbündeten aufgehoben habe. Dabei hätten die Polen nicht zuletzt dank ihrer Teilnahme an den Militäraktionen im Irak und in Afghanistan nie Anlass zu Zweifeln an ihrem Willen gegeben, gute Partner der Amerikaner zu sein.

In diesem Sinne erklärte denn auch Biden-Barater Blinken: "Die US-Regierung sucht eine enge Beziehung mit Russland, aber nicht auf Kosten unserer Verbündeten."

© SZ vom 21.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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