Wahlrecht:Kinder an die Urnen!

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Ein Junge wirft im bayerischen Ustersbach bei der U18-Version der Bundestagswahl im September 2017 seinen Stimmzettel in die Urne. (Foto: picture alliance / Stefan Puchne)

Die U18-Landtagswahlen in Bayern stoßen auf unerwartet großes Interesse. Es gibt seit Jahren Forderungen, Kindern und Jugendlichen das offizielle Wahlrecht zu verleihen. Sonst drohe die Herrschaft der Alten.

Von Thomas Hummel

Regina Renner kann angesichts des Ansturms nur die Schultern heben. "Das ist wirklich ein neuer Rekord." Renner organisiert beim Bayerischen Jugendring (BJR) die am Freitag stattfindende Landtagswahl für unter 18-Jährige. Mehr als 450 Institutionen wie Schulen oder Jugendzentren in Bayern haben dafür ein Wahllokal angemeldet. Das sind weit mehr als doppelt so viele als bei bisherigen Wahlen Minderjähriger. Woher dieser Andrang kommt, kann Renner nur vermuten: "Durch die politische Polarisierung machen sich junge Leute vielleicht auch mehr Gedanken darüber, wie sie Gesellschaft gestalten wollen."

Damit werden vermutlich so viele bayerische Kinder und Jugendliche wie nie ihre Stimme abgeben und ihren politischen Willen kundtun. Für die U18-Wahl gelten die gleichen Regeln wie für die offizielle, es stehen die selben Parteien zur Abstimmung. Der BJR will noch am Abend die Ergebnisse veröffentlichen. Praktische Auswirkungen hat das Resultat nicht, denn Menschen unter 18 Jahren haben bei einer bayerischen Landtagswahl kein Wahlrecht. Die seit einiger Zeit durchgeführten U18-Wahlen haben symbolische Wirkung. Für Regina Renner sind sie Jugendarbeit "at its best", politische Bildung für junge Menschen und Heranführung an gelebte Demokratie.

Dabei steht das Wahlalter immer wieder in der Debatte. Kürzlich klagte die AfD in Thüringen gegen die Absenkung auf 16 Jahren bei Kommunalwahlen, der Verfassungsgerichtshof in Weimar wies die Klage ab. Der Richter erklärte aber, dass sich ein "Vorhandensein politischer Einsichtsfähigkeit und ein Verständnis für die Bedeutung von Wahlen" bei 16- und 17-Jährigen nicht offenkundig verneinen ließen.

34,8 Prozent der Wahlberechtigten in Bayern sind 60 oder älter

Den Befürwortern einer Absenkung des Wahlalters liefert das weitere Argumente. Die Tendenz spricht ohnehin für sie: 16-Jährige dürfen inzwischen in neun Bundesländern bei Kommunalwahlen wählen, zudem in vier Bundesländern bei Landtagswahlen. Österreich hat das generelle Wahlalter auf 16 gesenkt. Doch einigen reicht das längst nicht. Im Bundestag gab es 2003 und 2008 Anträge für ein Wahlrecht von Geburt an, das sogenannte Familienwahlrecht, in dem die Eltern die Stimme ihrer Kinder treuhänderisch abgeben. 46 Abgeordnete aus allen Parteien beteiligten sich beim zweiten Anlauf an der Initiative, die Anträge wurden aber abgelehnt. Zuletzt sprachen sich die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für ein Familienwahlrecht aus.

Das Thema gewinnt an Brisanz, weil die Bevölkerung in Deutschland aufgrund des demografischen Wandels immer älter wird. Kritiker warnen vor einer Gerontokratie, einer Herrschaft der Alten. Bei der kommenden Landtagswahl in Bayern sind nach Auskunft des Statistischen Landesamts 34,8 Prozent der Wahlberechtigten 60 Jahre oder älter. Tendenz steigend. Auf der anderen Seite sind mehr als zwei Millionen Menschen von der Wahl ausgeschlossen, weil sie jünger als 18 Jahre alt sind. "Politik orientiert sich an den Interessen der Senioren", beklagt Sebastian Heimann, Geschäftsführer des Deutschen Familienverbands, "wahlentscheidend ist schon heute das Thema Rente." Minister Spahn gab einmal zu, dass Politiker die Neigung hätten, auf die zu schauen, die Stimmen bringen. Um diese Entwicklung halbwegs auszugleichen, müssten auch Kinder und Jugendliche ein Wahlrecht erhalten.

In der Politikwissenschaft herrscht hingegen Skepsis. Bettina Westle von der Uni Marburg nennt das Familien- oder Kinderwahlrecht "einen Blödsinn". Würden Eltern das Wahlrecht des Kindes stellvertretend ausführen, hätten diese faktisch zwei oder mehr Stimmen, was dem Gebot der gleichen und geheimen Wahl widerspreche. Der Grundsatz "one man, one vote" würde unterlaufen. Denn es sei keineswegs sicher, dass die Eltern mit ihrer Stimme den Willen des Kindes ausdrückten. Würde man in die Details der Umsetzung blicken, finde man eine Reihe von Problemen: Wer entscheide bei getrennten Eltern? Bei Kindern ohne Eltern? "Das Wahlrecht ist ein Individualrecht und kein Kollektivrecht", erklärt Westle.

Die Professorin verweist aber darauf, dass man auch in Altersheimen oft nicht wisse, wer da wirklich den Stimmzettel ausfülle. Und die Briefwahl sei in diesem Sinne "ein echtes Problem". Diese Schwächen bei der Durchführung demokratischer Wahlen würden aber nicht rechtfertigen, mit dem Kinderwahlrecht ein weiteres Problem zu schaffen.

Jugendring plädiert für Wahlalter 14

Der Jugendring plädiert ebenfalls dafür, dass die Menschen selbst ihren politischen Willen ausdrücken sollen. Allerdings glaubt der Verband, dass sie bereits wesentlich früher als mit 18 Jahren dazu fähig seien. "Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass ungefähr mit zwölf Jahren eine stabile intellektuelle Basis erreicht ist, mit der soziale und moralische Urteile gefällt werden können", sagt Regina Renner. Bereits in diesem Alter sei es grundsätzlich möglich, politische Urteile zu treffen. Deshalb fordert der Jugendring eine Absenkung des generellen Wahlalters auf 14 Jahre.

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Dafür wäre im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig, denn dazu muss das Grundgesetz geändert werden. In Artikel 38 steht: "Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat." Sebastian Heimann vom Familienverband glaubt, dass vor allem CDU und CSU Angst vor jungen Wählern haben und sich deshalb dagegen sperren. Tatsächlich haben die Unionsparteien etwa bei der U18-Bundestagswahl im vergangenen Jahr ein paar Prozentpunkte weniger erhalten als bei der offiziellen Wahl. Am stärksten litt allerdings die AfD, die mit 6,8 Prozent nur halb so viel Zustimmung erhielt wie bei den Erwachsenen. Gewinner bei U18-Wahlen sind meistens die Grünen. Vermutlich auch deshalb, weil verstärkt Bildungsbürger-Eltern in den Städten mit ihren Kindern zu den Urnen gehen und in dieser Gesellschaftsschicht die grüne Partei viel Zustimmung findet.

Für Sebastian Heimann vom Familienverband ist es nur eine Frage der Zeit, wann das Wahlalter mit 18 fällt. Es sei wie mit dem Wahlrecht für Frauen: Zunächst hätten alle die Nase gerümpft, aber am Ende setzte es sich zwangsläufig durch. Erst 1970 wurde das Wahlalter in Deutschland von 21 auf 18 gesenkt. Und irgendwann würde es noch weiter nach unten gehen. "Ob ich das Wahlrecht ab Geburt noch erlebe, weiß ich nicht", sagt Heimann. Doch er glaube fest daran, dass es kommen wird. "Bis dorthin ist es eben ein Marathonlauf." Die U18-Landtatgswahl mit ihrem überraschend großen Interesse ist da nur ein kleiner Schritt.

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