Wahlkreis-Atlas:So rot, so schwarz

Lesezeit: 8 min

Windräder im Abendlicht

Hinter vielen Windrädern geht in Niedersachsen die Sonne unter.

(Foto: dpa)

Nur wenige Kilometer trennen die niedersächsischen Wahlkreise 32 und 24. Doch in Cloppenburg-Vechta liegt seit 1949 die CDU haushoch vorne, in Aurich-Emden gewinnt immer die SPD. Ein Besuch im "Güllegürtel" und in der Arbeiterhochburg zeigt, dass längst nicht alle Deutschen zu Wechselwählern geworden sind.

Eine Reportage von Oliver Das Gupta

Die erste Meinung zum Wahlkreis 32 stammt vom Straßenrand. "Warum wollen Sie denn ausgerechnet nach Friesoythe?", fragt die Anhalterin ein paar Kilometer hinter Oldenburg. Sie schüttelt ihre blonden Haare und steigt ein. "In Friesoythe leben nur seltsame Leute. Ich muss auf jeden Fall vorher raus", sagt sie. Dann holpert der Wagen über die schlecht geteerte Landstraße gen Westen, wohin das Dunkel das letzte Abendlicht drückt.

In Friesoythe sei die Doppelmoral "ganz schlimm", behauptet die Mitfahrerin. Deren Bewohner würden in Oldenburg in die Bordelle gehen. "Zu Hause fromm tun, aber anderswo sündigen." Woher sie das so genau wisse? Kann sie nicht sagen. Vielleicht will sie es auch nicht. Sie sei evangelisch und "die da" jenseits des Küstenkanals erzkatholisch, sagt die Frau, bevor sie vor der Brücke aussteigt.

Auf der anderen Seite beginnt das Zentrum des Oldenburger Münsterlandes, die Landkreise Cloppenburg und Vechta - eine Region mit Besonderheiten. Nirgendwo in der älter werdenden Republik kommen so viele Kinder zur Welt. Politisch verläuft hier vieles ebenfalls anders. In einer Zeit, in der traditionelle Milieus vom Breisgau bis ins Ruhrgebiet erodieren und die Zahl der Wechselwähler steigt, ändert sich hier so gut wie nichts: Seit Gründung der Bundesrepublik gewinnt die CDU den jetzigen Bundestagswahlkreis 32 haushoch.

Kurios mutet der Umstand an, dass nicht einmal 45 Auto-Minuten in Richtung Norden entfernt die politischen Verhältnisse ebenso felsenfest sind, nur seitenverkehrt: Aurich-Emden, der Wahlkreis 24, ist seit 1949 rot. Die Ostfriesen schicken stets den SPD-Kandidaten direkt in den Bundestag - und machen die Sozialdemokraten zur stärksten Partei. Am 22. September dürfte in beiden Wahlkreisen die Tradition fortgesetzt werden. Warum tickt der Nordwesten Niedersachsens so verschieden?

So rot, so schwarz: In den meisten kommunalen Volksvertretungen im Ostfriesland und im Oldenburger Münsterland sind die Mehrheitsverhältnisse - abgesehen von Ausnahmen - ähnlich betoniert. Bei der letzten Stadtratswahl in Friesoythe bekam die CDU mehr als 68 Prozent der Stimmen. Friesoythe ist typisch für die tiefgreifenden Veränderungen in der Region. Die Stadt wuchs auf 20.000 Einwohner, auch weil viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion hierherzogen. Alte Häuser stehen kaum in Friesoythe, kanadische Truppen zerstörten die meisten im Zweiten Weltkrieg.

Beiname "Güllegürtel"

Eine Metzgerei gibt es längst nicht mehr, auch kein deutsches Gasthaus. Die Erinnerung an die einheimische Küche pflegt ein italienisches Lokal mit der "Friesoyther Pfanne", die "drei verschiedene Sorten Fleischwurst" enthält. Die Massentierhaltung bescherte den strukturschwachen Kreisen Cloppenburg und Vechta eine Menge neuer Jobs - und den Friesoyhtern täglichen Gestank, der Ortsfremden den Magen umdreht. Nirgends in Deutschland werden so viele Schweine gemästet, inzwischen trägt die Region den Beinamen "Güllegürtel".

CDU Merkel Wahlkreis Cloppenburg Vechta Friesoythe

CDU-Plakat mit Kanzlerin Angela Merkel vor der Kirche in Friesoythe.

(Foto: Oliver Das Gupta)

Doch all diese Umwälzungen änderten nichts an den politischen Machtverhältnissen, die tief in der Vergangenheit wurzeln. 400 Jahre herrschten die Bischöfe von Münster über den Landstrich. Als der Klerus im Jahre 1803 die weltliche Macht über das Oldenburger Münsterland verlor, hatte der Katholizismus längst die ansässige Gesellschaft durchwirkt.

Noch heute ist der Einfluss der Kirche unübersehbar. Die Caritas ist der wichtigste Arbeitgeber. Im größten Café hängt ein Kreuz an der Wand, daneben verkündet eine gerahmte Urkunde, dass das Lokal unter den "Segen Gottes gestellt" wurde.

Vor der Kirche hängen Plakate von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Familienpartei. Andere Parteien sind optisch nicht im Ortskern präsent. Völlig überzeugt von der CDU sind die Menschen in Friesoythe an diesem Montagmorgen nicht. Eine Mutter etwa erzählt, wie sehr es sie nervt, dass bei nahezu allen sozialen Einrichtungen wie Kitas die Kirche die Fäden zieht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema