Präsidentenwahl in Taiwan:Der Neue, der alles beim Alten lässt

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Vizepräsident Lai Ching-te von der Regierungspartei DPP liegt in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl vor den Kandidaten der Opposition. (Foto: Alastair Pike/AFP)

Sehr zum Ärger Chinas hat Taiwans bisheriger Vizepräsident beste Chancen, selbst Chef zu werden.

Von Lea Sahay, Taipeh

Vollbesetzte Flugzeuge zwischen der Volksrepublik China und Taiwan sind selten geworden. Beide Staaten haben angesichts wachsender Spannungen den Reiseverkehr eingeschränkt. Doch kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf Taiwan sind die Maschinen aus China ausgebucht, die Preise ungewöhnlich hoch. Weil Taiwan keine Briefwahl erlaubt, lösen die Wahlen alle vier Jahre eine kleine Völkerwanderung aus. Die Taiwaner, von denen allein 163 000 in Festlandchina leben, müssen in der Regel an ihren Geburtsort reisen, um ihre Stimme abzugeben.

Die Wahl am Samstag gilt als eine der wichtigsten in Asien dieses Jahr. Spitzenkandidat der Regierungspartei, der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), ist Vizepräsident Lai Ching-te, ein ausgesprochener China-Kritiker. Zu Gesprächen mit Peking ist der 64-Jährige bereit, zu einer Vereinigung nicht. Das höchste Amt ist auf zwei Legislaturperioden beschränkt, weshalb die aktuelle Präsidentin Tsai Ing-wen, ebenfalls von der DPP, nicht mehr antritt. Kandidatin für den Posten als Lais Stellvertreterin ist die außenpolitisch erfahrene Hsiao Bi-khim, sie war bis vor ein paar Wochen die Gesandte Taiwans in den USA. Beide Ämter werden gemeinsam gewählt. Erste Wahlergebnisse werden am Samstagabend lokaler Zeit erwartet.

Die größte Oppositionspartei Kuomintang (KMT), die Taiwan bis 2016 regierte, wird angeführt vom Bürgermeister Neu-Taipehs, Hou Yu-ih, und seinem Stellvertreter Chao Shao-kang. Hou setzt auf Dialog mit Peking, die aktuelle DPP-Politik bezeichnet er als Sicherheitsrisiko für Taiwan. Chao gilt als Fürsprecher für eine Vereinigung mit dem Festland.

Eine Allianz der Oppositionsparteien kam nicht zustande

Dritter einflussreicher Kandidat ist Ko Wen-je von der 2019 gegründeten Taiwanischen Volkspartei (TPP); er war lange Jahre Bürgermeister Taipehs. Seine Nummer zwei ist Cynthia Wu Hsin-ying, die aus einer reichen Unternehmerfamilie stammt. Er wirbt vor allem um Wähler, für die soziale Fragen wie die hohen Lebenshaltungs- und Wohnungskosten wichtig sind - Themen, die wegen der Spannungen mit China häufig aus dem Wahlkampf verdrängt werden.

Vor einigen Wochen noch hatten die beiden Oppositionsparteien über ein Bündnis verhandelt. Die Allianz hätte Lai in Bedrängnis bringen können, doch beide Seiten hatten sich nicht einigen können, wer den Spitzenkandidaten stellen darf. In den jüngsten Umfragen liegt Lai vor seinen Kontrahenten, Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen.

Unter Führung der DPP ist Taiwan in den vergangenen Jahren auf größere Distanz zu Peking gegangen. Seit 2016 reden beide Staaten faktisch nicht mehr miteinander. Obwohl Taiwan nie ein Teil der 1949 gegründeten Volksrepublik war, erhebt die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Anspruch auf die Insel vor seiner Küste.

Die Forderungen nach einer "Wiedervereinigung", wie Peking seine Übernahmefantasien nennt, machen die Wahlen in Taiwan meist zu einer Abstimmung über den Umgang mit dem übermächtigen Nachbarn. Nach Einschätzungen von Experten könnte Chinas Militär bald stark genug sein, die Insel einzunehmen. 2019 schloss Xi Jinping Gewalt nicht mehr aus. Chinas Staatschef wirkt ungeduldiger als seine Vorgänger, er sieht in der Vereinigung eine Bedingung für den Wiederaufstieg Chinas zu einer Weltmacht.

Die taiwanischen Oppositionskandidaten Hou und Ko haben angekündigt, bei einem Wahlsieg die Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit China wieder aufzunehmen, das 2014 im Schnellverfahren verabschiedet werden sollte. Die Pläne waren an Massenprotesten gescheitert. DPP-Kandidat Lai hat sich gegen eine Wiederaufnahme ausgesprochen. Er glaubt, dass eine noch größere wirtschaftliche Nähe zu China die Sicherheit Taiwans gefährdet.

Obwohl viele Menschen in dem Land eine familiäre Verbindung nach Festlandchina haben, identifizieren sich gerade die Jüngeren meist nur noch als Taiwaner, nicht mehr als Chinesen. Seit Jahren arbeitet die Demokratie die gewaltsame Geschichte des Landes während der Diktatur auf, die bis Ende der 1980er-Jahre währte. Indigene, die immer schon auf Taiwan lebten, erhalten eine bessere politische Vertretung. Pekings Angebot, die 24 Millionen Menschen mithilfe eines ähnlichen Modells wie in Hongkong einzubinden, ist spätestens seit der Niederschlagung der dortigen Demokratiebewegung keine Option mehr für viele Taiwaner.

Neben der Präsidentschaftswahl entscheiden die Taiwaner am Samstag auch über ein neues Parlament. Dort dürfte die DPP laut allen Umfragen ihre Mehrheit verlieren. Viele Reformen sind ohne die Zustimmung der Legislative in Taiwan nicht umsetzbar.

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