Wahlen in Tunesien:Islamist mit dem Dauerlächeln

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Verehrter Moslem und das politische Böse schlechthin: Rachid Ghanouchi polarisiert. Seine umstrittene Partei En-Nahda dürfte als Siegerin aus den ersten freien Wahlen in Tunesien hervorgehen. Ghanouchi ist Mann des Augenblicks. Seine Ideen einer Verschränkung von Islam und Demokratie stehen vor dem Durchbruch.

Sonja Zekri, Tunis

Die jungen Hauptstädter machen sich lustig über ihn, sein gedehntes Arabisch, die umständlichen Sätze. Für die Säkularen ist er das politische Böse schlechthin: verschlagen, islamistisch und schwer zu besiegen. In den ärmeren Vierteln von Tunis nämlich wird Rachid Ghanouchi (gesprochen Raschid Ranuschi) verehrt. Hier sieht man ihn als Wegbereiter für eine gelungene Verbindung von Islam und Moderne, vor allem aber: von Islam und Wirtschaftsboom - so wie ihn die Türkei genießt.

Die ersten Auszählungen der Stimmen in Tunesien deuten auf ein Wahlergebnis, das von vielen erwartet wurde: Ghanouchis Partei En-Nahda dürfte als Siegerin hervorgehen. Seine Islamisten würden so die verfassungsgebende Versammlung dominieren, ein gewichtiges Wort bei der Besetzung von Parlament, Premier und Präsident für den Übergang mitreden, kurz: das neue Tunesien nach dem Sturz der Diktatur entscheidend prägen.

Es ist ein Moment, auf den Ghanouchi Jahrzehnte hingearbeitet hat, wenn auch lange Zeit nicht in seiner Heimat. Er hat in Syrien und Ägypten studiert, anfangs inspiriert vom Panarabismus des ägyptischen Volkstribuns Gamal Abdel Nasser. Aber auch die ägyptischen Muslimbrüder haben ihn geprägt. Ihn treibt ebenso antikolonialer Furor an wie der Hass auf jenen säkularen Polizeistaat, der mit dem Sturz Ben Alis Mitte Februar endete. Habib Bourguiba, Tunesiens erster demonstrativ islamferner Präsident, verurteilte Ghanouchi zu Haft, Zwangsarbeit, sogar zum Tode.

Zwanzig Jahre lebte der Islamist mit dem Dauerlächeln im Asyl in London. Ende Januar, zwei Wochen nach dem Sturz Ben Alis, kehrte er nach Tunesien zurück. Gefeiert von seinen Anhängern, gefürchtet von seinen Gegnern, die einen tunesischen Chomeini erblickten und seitdem nicht müde werden, vor einer Iranisierung Tunesiens, einer maghrebinischen Theokratie, zu warnen.

Ghanouchi will Frauenrechte stärken, Alkohol erlauben und aufbauen

Seit Monaten bemüht sich Ghanouchi, diese Sorge zu zerstreuen. Er will Frauenrechte stärken, Alkohol erlauben, wenn die Tunesier das wünschen. Er propagiert in seinem Programm Gewaltenteilung, Reformen von Justiz und Polizei - in den Jahren Ben Alis waren dort die Folterknechte der Islamisten zu Hause. Den säkularen Parteien wirft er Hetze und Obstruktion vor. "Zerstörung ist etwas für Verlierer, wir wollen aufbauen", sagte er beim Wahlkampf in Tunis.

Für die liberalen Tunesier sind das Verschleierungsversuche. Gewiss, er hat der Gewalt Anfang der Achtziger abgeschworen, aber hatten seine Anhänger nicht Anfang der Neunziger Bomben in Hotels gezündet und Säureanschläge auf Politiker verübt? Und hat er nicht die Selbstmordattentäter der Hamas gelobt? Die Scharia über die Demokratie gestellt? Und wie steht er zu den ultrakonservativen und manchmal gewalttätigen Salafisten?

Rachid Ghanouchi ist jetzt 70 Jahre alt, seine Ideen einer Verschränkung eines Islam mit der Demokratie stehen vor dem Durchbruch, ein politisches Amt hat er dennoch für sich ausgeschlossen. Bald, so heißt es in Tunis, könnte er sich aus der Spitze seiner Partei zurückziehen. Die möglichen Nachfolger gelten als beinharte Islamisten. Zumindest lächeln sie deutlich weniger.

© SZ vom 25.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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