Wahl: Katzenjammer bei der SPD:Müntefering - reif für den Rücktritt

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Kaum vorstellbar, dass das Wahldesaster der SPD ohne Konsequenzen bleibt. Parteichef Müntefering hat im Wahlkampf enttäuscht.

Hans-Jürgen Jakobs

Es hat nichts genutzt. Der verbissene Einsatz in den Schlusswochen des Wahlkampfs, die positiven Kritiken nach dem "TV-Duell" vor zwei Wochen. Da soll Frank-Walter Steinmeier ja angeblich Kanzlerin Angela Merkel um Längen geschlagen haben, so der Tenor in der Presse.

Enttäuscht: Franz Müntefering (Foto: Foto: dpa)

Der Wähler aber sah es anders. Er hält sich nun mal wenig an die Sichtweise von Kommentatoren. Das Votum des Bürgers kann man überhaupt nicht missverstehen: Steinmeier und seine SPD sollen raus aus der Regierung. Die Botschaft: Elf Jahre sind genug. 1998 hatten die Sozialdemokraten nach 16 langen, zum Schluss quälenden Helmut-Kohl-Jahren zusammen mit den Grünen die Bundesregierung übernommen. Jetzt steht der SPD die Regeneration, das große Kräfte-Auftanken in der Opposition bevor.

Alter Haudegen der Sozialdemokratie

Der Mann, der stets so schön verkündet hat, dass Opposition "Mist" sei, steht dabei zur Disposition: SPD-Chef Franz Müntefering. Mit ihm, dem alten Haudegen der Sozialdemokratie, hatten sich im Spätsommer 2008 schönste Hoffnungen verbunden: Damals löste er in einer eher rustikalen Intrige Kurt Beck an der Parteispitze ab. Müntefering durfte noch einmal ein Comeback erleben, in memoriam seiner vergangenen Kampagnenkunst.

Einen geradezu magischen Klang hat in der Ohren vieler Genossen das Wort "Kampa" - es erinnert an 1998, als Müntefering in der Bonner Wahlkampfzentrale die Aktionen für den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und den Parteichef Oskar Lafontaine orchestrierte. Those were the days.

Die Hoffnung, dass da jemand nach einem zwischenzeitlichen Abschied aus dem politischen Leben einfach von jetzt auf gleich der Alte sein könne, war trügerisch. 2009 erreichte die SPD nicht nur das schlechteste Bundestagswahlergebnis, sie machte auch den schlechtesten Wahlkampf seit Bestehen der Republik.

Große Wirrnis

In Form eines Geländespiels suchte die Partei nach zündenden Themen. Ein "Deutschland-Plan" musste her, dessen Hauptaussage, vier Millionen mehr Jobs seien möglich, so verkrampft erklärt werden musste, dass man die Job-These bloß nicht als Versprechen verstand.

Dann kam das großartige Schattenkabinett mit einer jungen blonden Familienministerin und einem eher dubiosen Unternehmer als Wirtschaftsexperten - und das große Feindbild "Schwarz-Gelb". Schließlich wurde die Börsenumsatzsteuer sowie der Plan einer Finanzmarkttransaktionsteuer durch die Agenda gejagt. Bei allem sollte der Wähler verstehen, dass jene Partei, die Hartz IV erfand, garantiert den Sozialstaat erhält.

So viel Wirrnis war nie. Müntefering und das Willy-Brandt-Haus haben gefehlt. Wenn das Wort "Verantwortung" noch etwas gilt, dann muss der 69-Jährige zum zweiten Mal als SPD-Chef abtreten. Bisher haben nur die rheinland-pfälzischen Jusos und die jungen "Netzwerker" in der Partei diesen ketzerischen Gedanken geäußert. Die Lage in der SPD erinnert an die Stille nach dem Schuss bei der CSU, als sie die Landtagswahl 2008 grandios vergeigte.

Dass sich "Münte" der Aufgabe weiter stellen und nicht davonlaufen will, wenn es schwierig wird, ändert wenig an den Notwendigkeiten. Die Spekulation ist nicht abwegig, dass die SPD unter Kurt Beck auf keinen Fall weniger Wählerstimmen geholt hätte - eher mehr.

Gespenstisch war der Wahlabend im Willy-Brandt-Haus. Müntefering und Steinmeier wirkten im Jubel der Claqueure wie Besiegte, die es noch immer nicht ganz glauben wollen. Wie auch? Ihr Mager-Ergebnis von 23 Prozent liegt so weit unter dem bisherigen Minusrekord von 28,8 Prozent in 1953, dass diese Katastrophe fast irreale Züge hat. Ein Albtraum.

Absurde Anmaßung

Vergeblich hatte Parteichef Müntefering im Wahlkampf damit geworben, dass Jahre mit einer SPD-Bundesregierung gute Jahre für die Republik gewesen seien. Steinmeier ließ sich gegen Ende des Wahlkampfs sogar in musealem Ambiente vor einer Bildergalerie mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zeigen. Das wirkt im Nachhinein wie eine absurde Anmaßung.

Jetzt geht es für die SPD vor allem darum, das Verhältnis zur Linken zu klären. Das ist Therapieschritt Nummer eins. Tatsächlich hat sich die alte SPD längst aufgeteilt: in eine "grüne SPD", die in der Zeit Helmut Schmidts entstand, und in eine "dunkelrote SPD" aus der Ära Schröders.

Es blieb noch ein machtpolitisch orientierter Kern der einstigen "Volkspartei" SPD. Wenn sie eine effektive Opposition sein und jemals wieder im Bund regieren will, dann muss diese Truppe sich links von der Mitte einigen. Das ist jetzt, für die nächsten Jahre im Bund, die einzige Machtoption.

Deshalb müsste es, bei allen Eitelkeiten und historischen Verletzungen, der SPD aktuell in Thüringen und im Saarland gelingen, die Regierung zu stellen - mit den Linken.

"Fleisch vom Fleische"

Nach dem Sonntags-Schock wird die Zeit aktiver Krisenbewältigung kommen. Der Abschied von Müntefering gehört dazu. Ob Frank-Walter Steinmeier, der Architekt der "Agenda 2010", auf Dauer Oppositionsführer sein kann oder zunächst einmal nur den Schein wahrt, das ist eine der offenen Fragen. Die mittlerweile von Oskar Lafontaine geführten Linke sei "Fleisch vom Fleische" der SPD, hat Steinmeier einmal im Wahlkampf erklärt.

Der Noch-Außenminister hat sich vorgenommen, die SPD abzusichern und gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen dem rechten "Seeheimer Kreis" und der "Parlamenatrischen Linken" der SPD zu minimieren. Gleichwohl neigt die Partei traditionell zur Selbstzerfleischung.

Offensichtlich hat das linke, auch das links-liberale Klientel, bei dieser Wahl auf Rache gesonnen. Viele blieben einfach zu Hause. Viele wollten es nicht mehr hinnehmen, dass sich führende Sozialdemokraten in Wahlkampfwochen zu einer "linken Politik" bekennen und Sozialpolitik wie ein Maskottchen herzeigen - dann aber in Regierungstagen lieber Realpolitik mit Sozialkürzungen und konzernfreundlichen Gesetzen machen. Dass Rot-Grün und Schwarz-Rot während all der Jahre seit 1998 den Finanzinvestoren Tür und Tor geöffnet haben, fiel in der Analyse der akuten Kapitalismuskrise dem ein oder anderen auch noch auf.

Politische Therapie

Rückbesinnung auf Sozialdemokratisches in der Opposition, Selbstfindung auf harten Bänken, Beginn einer politischen Therapie nach großem Denkzettel - das sind die Folgerungen aus diesem desaströsen Ergebnis. Den alten Status der "Volkspartei" wird sie sich mühsam zurückarbeiten müssen.

Der Fall SPD ist tragisch. Die Partei droht, zwischen den Kämpfen der Flügel zerrissen zu werden. Sie hat in beängstigendem Ausmaß Vorsitzende verschlissen. Für junge Wähler ist sie eine Partei von gestern.

Der Schrecken ist groß nach diesem Debakel. Aber er ist auch eine Chance auf einen neuen Stil, auf neue Glaubwürdigkeit. Eine Fortsetzung der großen Koalition unter Angela Merkel hätte der SPD langfristig vermutlich mehr geschadet als die Wiederaufrichtung in der Opposition.

"Mist" - das wird eines Tages auch Franz Müntefering verstehen.

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