Wahl in Norwegen:Die Petroholics gehen zur Wahl

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Norwegens Regierungschefin Erna Solberg führt derzeit eine Minderheitsregierung aus Konservativen und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei. (Foto: AP)
  • Bei der Präsidentschaftswahl an diesem Montag in Norwegen deutet vieles darauf hin, dass die konservative Regierung von Erna Solberg weiterregieren kann.
  • Solberg hatte zum ersten Mal die rechtspopulistische Fortschrittspartei in die Regierung geholt.
  • Die wohl einzige Chance der Sozialdemokraten: Ein Bündnis mit den Grünen.

Von Silke Bigalke, Oslo

Wenige Tage vor der Wahl sitzt Harald Nesvik, Fraktionschef der Fortschrittspartei, gelassen in seinem Parlamentsbüro, die Espressomaschine brummt und er sagt: "Worüber soll Norwegen denn debattieren?" Klar, die Regierung habe in der Ölpreiskrise etwas mehr Geld aus dem Ölfonds genommen. Vor vier Jahren, als die Rechtspopulisten mit in die Regierung kamen, da hätten die Leute noch Angst gehabt, dass sie den "Fonds leeren" und "alles den Bach heruntergeht", sagt Nesvik. Stattdessen habe seine Partei Norwegen durch die schlimmste Krise gebracht. Das ist etwas übertrieben, aber es ist Wahlkampf in Norwegen. Und derzeit sieht es so aus als könne die konservative Regierung von Premierministerin Erna Solberg weiterregieren. Sie hatte die Rechtspopulisten als Partner ihrer Partei Høyre zum ersten Mal in die Regierung geholt.

Solbergs sozialdemokratischem Herausforderer, Jonas Gahr Støre, ist es bisher kaum gelungen, sie anzugreifen. Er will Steuern erhöhen, die Konservativen wollen sie weiter senken. Dahinter steckt, wie bei vielem in Norwegen, die Erdöl-Politik. Der Preissturz hatte das Land 50 000 Jobs gekostet. Jonas Gahr Støre wollte Solberg schlechtes Krisenmanagement vorwerfen. Doch der Wirtschaft geht es wieder ganz gut, der Ölpreis hat sich stabilisiert, die Arbeitslosenquote ist auf 4,3 Prozent zurückgegangen. Jonas Gahr Støre ist in den Umfragen abstürzt. Jetzt ist es fraglich, ob er am Montag die 30 Prozent erreichen kann, die er bei der letzten Wahl hatte.

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Kommentar von Silke Bigalke

Mit dem Öl-Fonds, der eigentlich Pensionsfonds heißt, sorgen die Norweger für eine Zeit vor, in der ihre Felder leergepumpt sind. Deswegen war es ein kleines politisches Erdbeben, als es 2015 hieß, die Regierung werde zum ersten Mal mehr Geld aus dem Fonds nehmen als hineinfloss. Große Auswirkungen hatte das aber nicht: Weil der Fonds derzeit 825 Milliarden Euro wert ist, war die Rendite immer noch höher als die Ausgaben. Mit dem Geld konnte die Regierung gleichzeitig Steuern senken und Straßen und Bahnstrecken bauen, um Jobs zu schaffen.

Eirik Moen von der konservativen Høyre-Partei sitzt in der Zentrale unter der Galerie früherer Anführer. Der Wert des Pensionsfonds sei seit Antritt der Regierung um 70 Prozent gewachsen, sagt er. Das liegt zwar vor allem an Wechsel- und Aktienkursen. Trotzdem: Die Wirtschaftspolitik seiner Partei habe funktioniert, behauptet er. Deswegen haben es die Sozialdemokraten schwer. Anniken Huitfeldt, einst Kabinettsmitglied des sozialdemokratischen Regierungschefs Jens Stoltenberg, sitzt vor dem Osloer Literaturhaus unter einem Regenschirm und spricht so leise, dass man sie kaum versteht. Sie sagt, dass viele junge Menschen unabhängig von der Ölpreiskrise ohne Arbeit seien, und dass die Steuersenkungen der Regierung nichts genutzt hätten. Durch Erhöhungen will die Arbeiterpartei den Ölfonds schonen, und trotzdem mehr Lehrer, Krankenhäuser und Seniorenheime finanzieren. Ansonsten unterscheiden sich die Antworten der Sozialdemokratin Anniken Huitfeldt kaum von denen der Konservativen. Asylpolitik zum Beispiel? Da würde sich mit der Arbeiterpartei nicht viel ändern.

Deswegen konnten sie nicht mal aus einem peinlichen Auftritt der rechtspopulistischen Integrationsministerin Sylvi Listhaug Kapital schlagen. Listhaug ist bekannt für provokative Sprüche und dafür, dass sie Ausländer eher nach Hause schicken als integrieren möchte. Vergangene Woche verlegte sie den norwegischen Wahlkampf für einen Tag ins Nachbarland, in den Stockholmer Vorort Rinkeby: Dort sprach sie von einem "Bildungsausflug" in eine von Schwedens "No-Go-Zonen". Sie meinte damit jene sozial schwachen Viertel, die durch Gewalttaten auffallen. Die Ministerin wollte zeigen, was passiert, wenn man großzügig Leute ins Land lässt, wie die Schweden das getan haben. Die schwedische Integrationsministerin fand das nicht witzig und weigerte sich, Listhaug nach ihrem Auftritt zu treffen.

Nur die Grünen wollen aus der Ölförderung aussteigen

Auch beim Erdöl unterscheiden sich die Positionen kaum. Weder die Konservativen noch die Sozialdemokraten wollen die Suche nach neuem Öl und Gas ausschließen, nicht mal in sensiblen Gebieten wie den Lofoten oder der Arktis. Die Grünen sehen das anders. Zum ersten Mal haben sie Chancen, die Regierungsbildung zu beeinflussen. Bisher stellen sie einen Abgeordneten, künftig könnten es nach Umfragen sieben oder acht sein. Einer der Kandidaten ist der Psychologe und Ökonom Per Espen Stoknes. Wenn man ihn auf die anderen Parteien anspricht, wird er wütend. Die wollten die Grünen als "naiv, unrealistisch und wirtschaftlich verrückt" darstellen. Dabei sei es völlig rational, sich vom Öl zu trennen, die Nachfrage sinke dank Klimaschutz und alternativen Energien. Aber Norwegen sei eine Nation von "Petroholics", von Erdöl-Abhängigen.

Die Grünen wollen keine Regierung stützen, die neue Ölfelder öffnet. Sie sagen, dass sie die Erdölindustrie bis 2032 "auslaufen" lassen wollen. Die Arbeiterpartei hat eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen. Doch nun sieht es so aus, als würde es ohne ihre Hilfe nie für eine sozialdemokratische Regierung reichen. Am Ende könnte es darauf ankommen, welche der kleinen Parteien die Vier-Prozent-Hürde schafft.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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