Wahlkampf in Österreich:Jeden Tag ein Aufreger

NR-WAHL: Ö1-KLARTEXT: STRACHE / KERN

Strache und Kern im Duell: Noch einer der harmloseren Aufreger in diesem Wahlkampf.

(Foto: dpa)

Wer die Spannung im deutschen Wahlkampf vermisst, dem sei ein Blick nach Österreich empfohlen. Ein Überblick über Pannen, Populisten und Peinlichkeiten.

Von Leila Al-Serori und Oliver Das Gupta, Wien

Jetzt ist schon wieder was passiert. Und bevor wir zu anderen Geschehnissen kommen, muss deshalb das Aktuelle berichtet werden. In Wien gab es mal wieder ein Kandidaten-Duell: Mal wieder, weil auf österreichischen Sendern gefühlt jeden Tag irgendwelche Kandidaten sich irgendetwas vorwerfen.

Diesmal konnte man zwei Männern im Radio zuhören, die nach der Parlamentswahl am 15. Oktober im Kanzleramt sitzen wollen. Sozialdemokrat Christian Kern residiert dort derzeit, Heinz-Christian Strache von der radikal rechten FPÖ drängt seit Jahren hinein. Kern und Strache attackierten einander, verbal watschten die beiden auch den abwesenden dritten Kanzleraspiranten Sebastian Kurz ab. Der Außenminister und Chef der konservativen ÖVP hatte seine ursprüngliche Teilnahme für den Termin abgesagt, weshalb Strache nun den Eindruck bekam, Kurz sei "der teuerste Flüchtling Österreichs". So und noch raubeiniger wird es weitergehen, bis gewählt wird.

Da wirkt die deutsche Kanzlerkandidaten-Debatte von Angela Merkel und Martin Schulz einmal mehr wie ein Ausbund an Mäßigung, Respekt und Inhaltsträchtigkeit. Wem deutsche Verhältnisse zu langweilig sind, sollte also nach Österreich schauen. Dort kann man sehen, was passiert, wenn Rechtspopulisten das innenpolitische Klima über Jahre hysterisieren. Kampagnen gingen im Nachbarland in den letzten Jahren stets einher mit Aufregung aller Art, Tendenz steigend. Das Rennen um die Präsidentschaft zog sich 2016 durch das ganze Jahr und brachte mehrere Höhe- und Tiefpunkte (hier mehr dazu).

Der nun anlaufende Wahlkampf könnte das nochmal toppen: Kaum ein Tag vergeht ohne geräuschvolles Polittamtam, oder mindestens kleinere Pannen und Peinlichkeiten. Das Land ist im Dauererregungszustand, dabei fanden die offiziellen Kampagnenauftakte noch gar nicht alle statt. Ein Überblick in sechs Kapiteln.

1. Das Aufplustern

Nach dem Rücktritt des konservativen Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner im Frühjahr wurden Neuwahlen ausgerufen, Außenminister "Wunderwuzzi" Sebastian Kurz übernahm die ÖVP und wurde trotz seiner nur 31 Jahre Kanzlerkandidat. Seither liegt er konstant in allen Umfragen vorne. Dass der Hype um seine Person bis zur Wahl hält, ist zwar noch nicht ausgemacht, aber bisher macht Kurz vieles richtig. Regelmäßig hat er neue Kandidaten für seine Wahlliste präsentiert, mit Vorliebe Quereinsteiger. Inhalte wurden hingegen sehr sparsam eingesetzt.

Dazu kam eine Fassadenänderung: Die Farbe der politisch "Schwarzen" ist nun Türkis, der Name nicht mehr ÖVP, sondern Liste "Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei". Was in etwa so ist, als ob die CSU sich als politische Newcomerin präsentieren würde.

Zur Aufplusterung des Sebastian Kurz gehört auch seine mediale Präsenz und die ist beeindruckend, auch mit vermeintlich unwichtigen Geschichten. Schon in den ersten Tagen des Wahlkampfes "überraschte" der Außenminister etwa einen bekannten Regisseur an dessen 87. Geburtstag im Eigenheim. Kurz brachte Torte und Blumen mit - sowie die Reporterin der auflagenstärksten Boulevard-Zeitung und einen Fotografen. Da können deutsche Wahlkämpfer noch etwas lernen.

2. Die rechte Schallplatte

Zu einer Besonderheit in diesem Wahlkampf gehört, dass der längstdienende Parteichef ein Rechtspopulist ist. Strache ist seit mehr als 12 Jahren FPÖ-Obmann, Beobachter hören ihn die immer gleiche "Schallplatte" seit Jahren abspielen: Österreich gehe vor die Hunde wegen lauter Ausländern, die EU sei böse, "Daham statt Islam".

So betrieb Strache seine Politik, seine FPÖ wuchs von Wahl zu Wahl. Doch bei diesem Wahlkampf funktioniert die Formel nicht mehr so gut: Mit Kurz und Kern gibt es nun zwei Nebenbuhler, sportliche Macher-Typen, die recht neu in der Spitzenpolitik sind. Vor allem der jüngere Kurz macht dem FPÖ-Veteran etwas vor. Im ORF kommentierte ein Journalist bereits: "Rechts neben Sebastian Kurz ist kein Platz mehr."

Denn inhaltlich setzt dieser schon seit 2015 auf dieselben Schwerpunkte wie der FPÖ-Chef. Er klingt bei den Themen Asyl, Flüchtlingsrouten und dem Islam ähnlich wie Strache - "nur ist Kurz ideologisch unverdächtig und deshalb für viel mehr Menschen wählbar", sagt ein langjähriger FPÖ-Politiker zur SZ, der nun in der Wirtschaft tätig ist.

Aber selbst wenn der Außenminister dem Wahlkampf der FPÖ einiges an Zunder nimmt, klar ist: Strache wird bei der Wahl minimal auf Platz drei landen. Wenn es nicht noch einmal zu einer großen Koalition kommt, stehen Straches Chancen gut, bald als Vizekanzler am Kabinettstisch zu sitzen.

3. Die Peinlichkeiten

Obwohl sie derzeit den Kanzler stellen, mühte sich die SPÖ beim Wahlkampfauftakt am Donnerstag in Graz, Mut und Zuversicht zu verströmen. Denn keine österreichische Partei hat derzeit unter so vielen Pannen zu leiden. Im Frühsommer wurde publik, dass zwei Strategen im Streit handgreiflich wurden. Die Yellow Press ergötzte sich - und druckte dazu ein Bild, auf dem ein Männchen ein anderes Männchen umwarf. Auch das Engagement des Kampagnengurus Tal Silberstein erwies sich als wenig hilfreich: Silberstein wurde wegen Korruptionsverdacht in Israel festgenommen. Parteiintern schwelt derweil der Konflikt um die Frage, wie man es mit der FPÖ hält.

Für einen Teil der SPÖ - vor allem in Wien - wäre eine Koalition auf Bundesebene Verrat an sozialdemokratischen Idealen. Wenig Gefallen fanden in der Partei auch Kerns Besuche am Stammtisch: In der Steiermark polemisierte eine Frau gegen die Muslime allgemein - der Kanzler blieb in seiner Erwiderung zahm. "Beschissen" fanden das einige Genossen.

Kern hat inzwischen angekündigt, im Falle einer Niederlage in die Opposition gehen zu wollen. Ob die SPÖ da so mitzieht, ist allerdings eine andere Frage.

4. Die Schmutzkübeleien

Gleich zum Beginn des Wahlkampfes hatte ÖVP-Chef Kurz ganz sanft geklungen. Man werde sich nicht daran beteiligen, Mitbewerber "anzupatzen", sagte er im Juni mit Blick auf die austriakische Tradition, den politischen Gegner mitunter brachial anzugreifen. Inzwischen ist klar: Es bleibt auch in der neuen Kurz-ÖVP alles beim Alten.

Efgani Dömnez, früher bei den Grünen, nun "Kurzist" mit Listenplatz 5, hat sich auf SPÖ-Spitzenkandidat Kern eingeschossen. Der Vorwurf: Fernsehmoderator Tarek Leitner, der im ORF auch Sendungen mit dem Kanzler moderiert, sei mit ihm im Urlaub gewesen. Das waren beide Familien tatsächlich - allerdings zu einer Zeit, als Kern Bahn-Manager war und kein Kanzler.

Die Optik, wahrlich, ist keine gute. Denn klar ist, dass Leitner und Kern sich über deren Kinder privat kennen - und dass Leitner Kern trotzdem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen interviewen darf. Doch wie Dönmez beide attackierte, ging vor allem vielen Journalisten gegen den Strich: Sie sahen die Kampagne als gezielte Einschüchterung eines kritischen Kollegens, als richtige Schmutzkübelkampagne, wie man in Österreich sagt.

Dass die Kurz-ÖVP in ihren Angriffen auf die Kanzlerpartei SPÖ ein wenig übers Ziel hinausschießt, zeigt eine zweite Angelegenheit, die inzwischen sogar die Gerichte beschäftigt. ÖVP-Mann Kurz hatte behauptet, ein reicher Industrieller habe über "irgendwelche Briefkastenvereine und Vereinskonstruktionen" 100 000 Euro an die SPÖ gespendet. Inzwischen verklagen die Sozialdemokraten ihren Noch-Koalitionspartner - ein einmaliger Vorgang.

5. Das Parteizerbröseln

Zu dieser Wahl treten 16 Parteien an - so viele wie noch nie. Das liegt auch an nicht wenigen Spaltungen: Nach dem Rauswurf der Spitzenfunktionäre der Salzburger FPÖ gründeten diese die Freie Liste Österreich, kurz FLÖ. Die neue Partei liegt ideologisch fast auf einer Linie mit der FPÖ und könnte ihr Stimmen abluchsen.

In der Hofburg amtiert zwar als Bundespräsident Alexander Van der Bellen, aber dessen frühere Partei zerlegt sich: Die Grünen hatten bei der Listenaufstellung mit Peter Pilz einen ihrer profiliertesten Veteranen durchfallen lassen. Pilz, der schon vor Jahren in Hintergrundgesprächen seinen Zorn auf die Parteiführung kaum verborgen hat, machte kurzerhand seine eigene Wahlliste auf. Er setzt auf eine Melange von Stammtisch, Parteienverdrossenheit und der Marke Pilz.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek lässt sich derweil auf dem geschwundenen Dachstein-Gletscher ablichten und setzt auf Wahlplakate, auf denen Wortspiele mit den Namen "Kern" und "Kurz" gedruckt sind. Momentan liegen sowohl die Pilz-Liste als auch die Grünen nur knapp über der Vier-Prozent-Hürde. Im für sie schlechtesten Fall kommen beide nicht in den Nationalrat. Und auch die liberalen NEOS sind in ihrer parlamentarischen Existenz gefährdet, weil Shootingstar Kurz sie Stimmen kosten dürfte.

6. Das Grausige

Schon 2016 waren auf Wahlplakaten des nunmehrigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen Sprüche wie "baltischer Jud" gekritzelt. Und auch in diesem Wahlkampf gibt es antisemitische Auffälligkeiten.

Der FPÖ-Abgeordnete Johannes Hübner verzichtete auf eine neue Kandidatur, nachdem antisemitische Bemerkungen publik geworden waren. Seine Äußerungen fielen 2016 bei einem rechtsextremen Kongress in Thüringen, bei der der Österreicher als Redner eingeladen war.

Einen weiteren Aufreger gab es in der bis dahin einigermaßen spaßigen Mini-Partei GILT, ein Projekt des Kabarettisten Roland Düringer. Deren Spitzenkandidat, ein Esoteriker mit Miraculix-Bart namens Günther Lassi, präsentierte auf seiner Homepage einen Link zum antisemitischen Pamphlet "Protokolle der Weisen von Zion". Lassi zog sich von der Kandidatur zurück, doch es war zu spät: Er bleibt Frontmann auf der Wahlliste und kann erst nach dem Urnengang ein mögliches Mandat zurückgeben.

Das alles passierte zum Beginn des Wahlkampfes in Österreich. Die heiße Phase startet erst jetzt.

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