Wahl in der Türkei:Schaler Sieg für Erdoğan

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Nicht alle Türken sind von Erdoğans Wahlsieg begeistert: Oppositionelle protestieren kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses (Foto: REUTERS)

Zum "Reinigungsbad" hat Recep Tayyip Erdoğan die Wahl in der Türkei erklärt. Einem religiösen Ritual gleich wollte der umstrittene Premier geläutert aus ihr hervorgehen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn die Türkei hat in den vergangenen Monaten massiv an Statur verloren.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer

Erneut kann der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan einen Wahlsieg feiern. Aber was hat Erdoğan gewonnen? Die Türkei wird sich von dieser Wahl, die eigentlich nur eine Entscheidung über Bürgermeister und Stadträte sein sollte, lange Zeit nicht erholen. Das Misstrauen in der tief gespaltenen Gesellschaft wird nicht wieder verschwinden. Erdoğans Kritiker trauen dem Premier mittlerweile fast jede Schandtat zu.

Seine Bewunderer dagegen verehren den seit mehr als einer Dekade amtierenden Ministerpräsidenten wie einen Erlöser. Gräben zwischen den konservativreligiösen und den säkular-liberalen Türken gab es immer. Aber so feindselig wie jetzt standen sich die Lager lange nicht gegenüber. Darauf kann niemand stolz sein.

Erdoğan hat die Wahl zu einem "Reinigungsbad" erklärt, aus dem er - wie bei einem religiösen Ritual - geläutert hervorgehen würde. Korruptionsvorwürfe ade - wenn eine Mehrheit des Volkes es so will. So einfach ist es aber nicht. Die Türkei hat in den vergangenen Monaten viel an Statur verloren. Ausländische Investoren finden es nicht besonders attraktiv, ihr Geld in ein Land zu tragen, in dem die Justiz als Verfügungsmasse der Macht gilt. Es macht sich auch nicht gut, für ein Land zu werben, in dem Journalisten über massive Behinderungen ihrer Arbeit klagen.

Die Wahl-Manipulationsvorwürfe der größten Oppositionspartei, der republikanischen CHP, müssen untersucht werden. Sonst bleibt ein übler Geschmack zurück. Dass in mehreren Abstimmungslokalen bei der Auszählung am Abend plötzlich der Strom weg blieb, klingt nach afrikanischen Zuständen. Es gibt jetzt schon genug frustrierte, gut ausgebildete, vor allem junge Türken, die ihrem Land am liebsten den Rücken kehren würden. Im Internet erleben seit der gewaltsamen Niederschlagung der Gezi-Proteste Seiten mit Auswanderer-Tipps regen Zulauf. Einen Exodus ihrer kreativen und kritischen Köpfe kann sich die Türkei jedoch nicht leisten. Sie hat das schon zu oft erlebt.

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Rote Karte gegen den Premier

Erdoğan müsste nun auf jenen Teil der Gesellschaft zugehen, der ihm die rote Karte gezeigt hat. Aber der Premier hat zuletzt so wenig Versöhnungs- und Kompromissbereitschaft bewiesen, dass dies kaum zu erwarten ist. In der Nacht hat er schon triumphiert. Er beschwor Gott und drohte seinen Gegnern mit Strafe. Sie würden "bezahlen", kündigte er an. Was auch immer das heißt, es bedeutet nichts Gutes für den inneren Frieden der Türkei.

Im Wahlkampf hat Erdoğan auch das konservative Lager gespalten und den eigenen Leuten Angst eingejagt. Er erklärte dem Prediger Fethullah Gülen, der auch in der AKP viele Freunde hat, praktisch einen Privatkrieg. Auf den Schultern der Gülen-Anhänger lud er alle Verantwortung für die Korruptionsvorwürfe ab. Das hat funktioniert. Erdoğan hat seine Kernwählerschaft gehalten, aber 50 Prozent wie noch bei der Parlamentswahl 2011 hat er mit diesem Kraftakt nicht mehr erreicht. Der AKP hat auch die Angst vieler Türken geholfen, ohne den starken Mann an der Spitze könnte es mit dem Land wirtschaftlich wieder bergab gehen. Dafür haben sie Augen und Ohren für jede Kritik am autoritären Gehabe des Premiers verschlossen. Viele ältere Türken können sich an Zeiten des Darbens gut erinnern. In der AKP-Dekade hat das Land ein beeindruckendes Wachstum erlebt. Zuletzt aber ist der Aufschwung schwächer geworden - und der Preis für die Politik der vergangenen Jahre sichtbar.

Schulden, umstrittene Bauprojekte und Leerstand

Viele Türken sind tief verschuldet. Die Banken waren extrem großzügig mit der Vergabe von Konsumentenkrediten. Erdoğans große Bauprojekte, mit denen die Konjunktur am Laufen gehalten werden soll, zerstören viel Natur und urbane Bausubstanz. Dieses Wachstum ist nicht nachhaltig. Nicht nur in Istanbul stehen bereits viele Neubauten leer.

Die Wahlbeteiligung war mit 87 Prozent beeindruckend hoch. Vor den Abstimmungslokalen gab es teils Schlangen, man konnte Menschen sehen, die ihre alten Eltern auf dem Rücken zur Wahl getragen haben. Während in vielen Ländern Europas die Bürger wahlmüde geworden sind, wollten die allermeisten Türken auf dieses demokratische Recht nicht verzichten. Das ist ein gutes Zeichen.

Im Südosten hat die kurdische Partei wie erwartet wieder ganze Landstriche für sich gewonnen. Hier hatte die republikanische CHP keine Chance. Damit sind beträchtliche Teile des Landes für die größte Oppositionspartei verloren. Auch in der Großstadt Istanbul nahm ein Kandidat der Kurdenpartei der CHP Stimmen weg. Die Kurden habe ihre eigene Agenda, und sie glauben, dass sie ihre Ziele eher mit Erdoğan erreichen als mit den Kemalisten. Diese Agenda heißt: so viel Autonomie wie möglich. Auch das dürfte nicht konfliktfrei zu erreichen sein.

© SZ vom 01.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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