Vor Prozessbeginn:Demjanjuk wehrt sich

Lesezeit: 2 min

Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Demjanjuk hofft, den Prozess noch in letzter Minute zu verhindern. Sein Anwalt will Verfassungsbeschwerde erhebn.

Der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk will seinen Strafprozess in letzter Minute vor dem Bundesverfassungsgericht zum Scheitern bringen. Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch will an diesem Freitag Verfassungsbeschwerde gegen die Ende November geplante Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München erheben. Das sagte Busch dem Berliner Tagesspiegel (Freitag).

Die Staatsanwaltschaft München wirft dem 89-jährigen Demjanjuk (hier auf einem Archivbild aus dem Jahr 2006) vor, bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden geholfen zu haben. (Foto: Foto: AP)

Per Eilverfahren will der Anwalt außerdem erreichen, dass Demjanjuk auf freien Fuß gesetzt wird. "Mein Mandant hat in Israel über sieben Jahre Haft verbüßt. Eine höhere Strafe ist jetzt nicht zu erwarten. Weil die israelische Haft angerechnet werden muss, entfällt der staatliche Strafanspruch", sagte er der Zeitung.

Zudem habe sein Mandant kaum eine Chance, das Ende des Prozesses zu erleben. Eine Bestätigung des angekündigten Gangs nach Karlsruhe war am Donnerstag von Busch nicht mehr zu bekommen.

Demjanjuk muss sich vom 30. November an wegen Beihilfe zum Mord in tausenden von Fällen vor dem Münchner Landgericht verantworten. Für den Prozess sind vorerst 35 Tage - bis 6. Mai 2010 - angesetzt, wie das zuständige Gericht mitteilte.

Die Staatsanwaltschaft München wirft Demjanjuk vor, als Wachmann 1943 im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden in den Gaskammern geholfen zu haben. Der 89-Jährige sitzt seit seiner Abschiebung aus den USA im Mai in München-Stadelheim in Untersuchungshaft.

SS-Dienstausweis Nummer 1393

Hauptbeweismittel der Ankläger ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393. Zudem geht aus einer Verlegungsliste von März 1943 hervor, dass der gebürtige Ukrainer damals nach Sobibor verlegt wurde.

Ein ärztliches Sachverständigengutachten attestierte Demjanjuk Anfang Juli Verhandlungsfähigkeit. Es schränkte jedoch ein, dass gegen ihn je Prozesstag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden dürfe - insgesamt also nicht länger als drei Stunden pro Verhandlungstag.

Demjanjuk hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert, so dass ein langwieriger Indizienprozess zu erwarten ist. Außerdem muss möglicherweise gedolmetscht werden, da Demjanjuk nur wenig Deutsch spricht.

Vom Gefangenen zum mutmaßlichen SS-Schergen

Demjanjuk war als Rotarmist 1942 in deutsche Gefangenschaft geraten und im SS-Ausbildungslager Trawniki zum Wachmann ausgebildet worden. Er war offenbar zuerst auf einem landwirtschaftlichen Gut, dann in Sobibor und anschließend im KZ Flossenbürg eingesetzt worden.

Nach dem Krieg meldete er sich als sogenannte "Displaced Person" - diese Verwaltungskategorie führten die Westalliierten nach 1945 für Personen ein, die sich aufgrund von Kriegsfolgen nicht in ihrem Heimatland aufhalten konnten. Als vermeintliches Nazi-Opfer und ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener konnte er 1952 in die USA ausreisen.

Später Verdacht

Jahrzehnte später kam der Verdacht auf, Demjanjuk könnte "Iwan der Schreckliche" von Treblinka sein. 1988 wurde er in Israel wegen der Beihilfe zum Mord an mehr als 800.000 Juden zum Tode verurteilt. Demjanjuk bestritt jedoch stets, KZ-Wächter gewesen zu sein.

Als Beweise auftauchten, die den Zweifel an seiner vermeintlichen Identität als "Iwan der Schreckliche" bestätigen, hob das Oberste Gericht Israels 1993 das Todesurteil auf. Demjanjuk kehrte in die USA zurück und lebte zuletzt in der Nähe von Cleveland im Staat Ohio.

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg sammelte jedoch erneut Beweise gegen Demjanjuk und übergab diese im November 2008 an die Staatsanwaltschaft München. Im Dezember desselben Jahres übertrug der Bundesgerichtshof (BGH) dem Landgericht München II die Zuständigkeit für das Verfahren. Um Demjanjuk den Prozess machen zu können, erklärte sich Deutschland zur Aufnahme des Staatenlosen bereit. Im Mai wurde Demjanjuk nach wochenlangem juristischem Tauziehen nach Deutschland abgeschoben.

© dpa/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: