Europäische Union:Die Kompromisskandidatin

Lesezeit: 3 min

Die bestmögliche EU-Kommissionspräsidentin - (Foto: AP)

Es dürfte als politisches Wunder durchgehen, dass die Verteidigungsministerin EU-Kommissionspräsidentin werden soll. Doch der Vorwurf des Hinterzimmer-Gemauschels ist falsch - der Kompromiss ist die Königsdisziplin der EU.

Kommentar von Stefan Kornelius

Viele Kardinäle sind ins Konklave gezogen, Ursula von der Leyen war nicht dabei. Nicht mal als Ministrantin wurde sie gesichtet. Dass sie nun Präsidentin der Europäischen Kommission werden könnte, dürfte glatt als politisches Wunder durchgehen.

In der Europäischen Union geschehen tatsächlich Wunder, aber nur, wenn die Bedingungen dafür stimmen. Jedenfalls wurden auf der Suche nach dem Spitzenpersonal so viele Wege verbaut, Hoffnungen zerstört und Bedingungen zementiert, dass am Ende nur eine alte Weisheit aus dem europäischen Geschäft gelten konnte: Selig sind all jene, deren Name nie genannt wird. Zu ihren Gunsten wirken Wunder.

Vorschlag der Staats- und Regierungschefs
:Von der Leyen soll die EU führen

Die EU-Staaten schlagen die deutsche Verteidigungsministerin als neue EU-Kommissionspräsidentin vor. Ratspräsident Tusk teilt zugleich mit, welche Politiker die anderen Spitzenjobs in der Europäischen Union besetzen sollen.

Nun ist dies weder der Moment, um über die Entscheidungsfindung in der EU zu spotten, noch um über Hinterzimmerdemokratien oder Mauscheleien einen populistischen Heldengesang anzustimmen. In der Europäischen Union müssen 28 nationale Bedürfnisse, die Interessen von sieben Parteienfamilien und 751 Abgeordneten sowie unzählige Partikularinteressen von der Budgetplanung bis hin zur Rübenquote in Einklang gebracht werden.

Ob Ursula von der Leyen der größtmögliche Nenner all dieser Interessensverwalter darstellt, wird sich erst bei der Abstimmung im Parlament zeigen. Was sicher gesagt werden kann: Sie ist eine Kompromisskandidatin. Sie befriedigt den EVP-Anspruch an den Spitzenjob und den deutschen Anspruch an einen Ersatz für den düpierten Manfred Weber. Sie funktioniert im Paket mit der möglichen Präsidentin der Zentralbank, Christine Lagarde, die von der Unterstützung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron lebt. Und sie stabilisiert die Brücke zwischen Ost und West, die in den letzten Tagen schwer ins Schwanken kam.

Kompromisse sind derzeit politisch verpönt

Größere Experten als von der Leyen hätte es sicher gegeben, ihren Zenit als verdientes Kabinettsmitglied hat sie auch überschritten - nicht ganz zufällig sah sie sich selbst bis kurz vor der Entscheidung nicht auf dem Brüssler Posten. Selbstzweifel werden aber schnell verfliegen.

Der Abwägungsprozess des Rats steht im Kern des Findungsverfahrens. Tatsächlich handelt es sich eher um die Mutter aller Machtkämpfe, die zur höchsten Anstrengung in der europäischen Königsdisziplin zwingt: den Kompromiss. Weil Kompromisse in diesen Zeiten politisch verpönt sind und nicht ins Weltbild der Populisten und Nationalisten passen, ist die Suche nach dem Führungspersonal auch ein Test für den Überlebenswillen Europas.

Viel Konsens war in den letzten Tagen jedenfalls nicht zu sehen, kleine Fehler haben große Zerstörung angerichtet. Den größten Fehler in diesem Findungsprozess hat die Europäische Volkspartei (EVP) selbst begangen, als sie im November Manfred Weber (CSU) zu ihrem Spitzenkandidaten wählte - wohl wissend, was die Verträge sagen: Abgemacht ist, dass die Staats- und Regierungschefs den Kandidaten vorschlagen. Das Parlament kann diesen dann immer noch ablehnen.

Nirgendwo in den Verträgen steht aber, dass die Parteienfamilien und vor allem ihre Parlamentsfraktionen dieses Vorschlagsrecht mit der Aufstellung eines Spitzenkandidaten kidnappen dürfen. Vor fünf Jahren konnte Jean-Claude Juncker dieses Verfahren zwar für sich nutzen, aber nur, weil er als Regierungschef quasi dem Brutkasten des Europäischen Rats entstiegen war.

Manfred Weber ist aus der Perspektive der Staats- und Regierungschefs hingegen ein politisches Leichtgewicht. Vom Zeitpunkt seiner Nominierung an war absehbar, dass er vom Rat nicht akzeptiert werden würde.

Die EVP hat zuletzt in parteilicher Engstirnigkeit die Sache nur verschlimmert. Erst stellte sie sich gegen den von Merkel angebotenen Kompromiss und verweigerte dem Sozialdemokraten Frans Timmermans die Unterstützung. Dessen Wahl hätte wenigstens die Spitzenkandidaten-Idee am Leben erhalten. Dann entzog sie auch noch ihrem Fraktionschef und Kandidaten Weber die Gefolgschaft und verkehrte ihre Prinzipien, die gerade noch als unumstößlich galten, ins Gegenteil.

Möglich ist in der EU, was gerade noch zum Kompromiss taugt

Den zweiten Fehler im Findungsverfahren beging Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Ohne Mehrheit im Parlament fungierte er gleich mehrfach als Rammbock: gegen die Spitzenkandidaten, gegen den Deutschen, gegen das Parlament. Ohne Macrons frühe Attacken wäre der Widerstand im Parlament gegen die Selbstherrlichkeit des Rats nicht so heftig ausgefallen. Macron ignorierte die andere Seite der Vertragswirklichkeit: Rat und Parlament müssen zusammenfinden.

Den dritten Fehler beging Angela Merkel, weil sie auf die Macht der Regierungschefs vertraute und die Wut der eigenen Partei unterschätzte. Mit dem Wunder von der Leyen könnte sie diese Aufregung in der EVP dämpfen.

Die Mitgliedsstaaten, so heißt es, suchen die bestmöglichen Kandidaten. Die Betonung liegt auf möglich. Möglich ist, was gerade noch zum Kompromiss taugt. Nicht mehr, nicht weniger. So verlangt es die DNA der Europäischen Union.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Leserdiskussion
:Wäre von der Leyen eine gute EU-Kommissionspräsidentin?

Die EU-Staaten haben die deutsche Bundesverteidigungsministerin offiziell als Präsidentin der Europäischen Kommission nominiert. Die Bundesregierung hat sich bei der Nominierung enthalten. Grund war der Widerstand der SPD, die am Prinzip der Spitzenkandidaten festhalten will.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: