Viele Kardinäle sind ins Konklave gezogen, Ursula von der Leyen war nicht dabei. Nicht mal als Ministrantin wurde sie gesichtet. Dass sie nun Präsidentin der Europäischen Kommission werden könnte, dürfte glatt als politisches Wunder durchgehen.
In der Europäischen Union geschehen tatsächlich Wunder, aber nur, wenn die Bedingungen dafür stimmen. Jedenfalls wurden auf der Suche nach dem Spitzenpersonal so viele Wege verbaut, Hoffnungen zerstört und Bedingungen zementiert, dass am Ende nur eine alte Weisheit aus dem europäischen Geschäft gelten konnte: Selig sind all jene, deren Name nie genannt wird. Zu ihren Gunsten wirken Wunder.
Nun ist dies weder der Moment, um über die Entscheidungsfindung in der EU zu spotten, noch um über Hinterzimmerdemokratien oder Mauscheleien einen populistischen Heldengesang anzustimmen. In der Europäischen Union müssen 28 nationale Bedürfnisse, die Interessen von sieben Parteienfamilien und 751 Abgeordneten sowie unzählige Partikularinteressen von der Budgetplanung bis hin zur Rübenquote in Einklang gebracht werden.
Ob Ursula von der Leyen der größtmögliche Nenner all dieser Interessensverwalter darstellt, wird sich erst bei der Abstimmung im Parlament zeigen. Was sicher gesagt werden kann: Sie ist eine Kompromisskandidatin. Sie befriedigt den EVP-Anspruch an den Spitzenjob und den deutschen Anspruch an einen Ersatz für den düpierten Manfred Weber. Sie funktioniert im Paket mit der möglichen Präsidentin der Zentralbank, Christine Lagarde, die von der Unterstützung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron lebt. Und sie stabilisiert die Brücke zwischen Ost und West, die in den letzten Tagen schwer ins Schwanken kam.
Kompromisse sind derzeit politisch verpönt
Größere Experten als von der Leyen hätte es sicher gegeben, ihren Zenit als verdientes Kabinettsmitglied hat sie auch überschritten - nicht ganz zufällig sah sie sich selbst bis kurz vor der Entscheidung nicht auf dem Brüssler Posten. Selbstzweifel werden aber schnell verfliegen.
Der Abwägungsprozess des Rats steht im Kern des Findungsverfahrens. Tatsächlich handelt es sich eher um die Mutter aller Machtkämpfe, die zur höchsten Anstrengung in der europäischen Königsdisziplin zwingt: den Kompromiss. Weil Kompromisse in diesen Zeiten politisch verpönt sind und nicht ins Weltbild der Populisten und Nationalisten passen, ist die Suche nach dem Führungspersonal auch ein Test für den Überlebenswillen Europas.