Ursula von der Leyen:In der Rolle des Jokers

Lesezeit: 3 min

  • Ursula von der Leyen wurde einst als Nato-Generalsekretärin gehandelt und galt einmal kurz als Favoritin, um erste Bundespräsidentin zu werden.
  • Jetzt bekommt sie womöglich den Top-Job in Europa - als Chefin der EU-Kommission.
  • In CDU und CSU gibt es kaum jemanden, der im öffentlichen Werben für eine starke EU dem französischen Präsidenten Macron so ähnlich wäre wie die Verteidigungsministerin.

Von Stefan Braun und Mike Szymanski, Berlin

Ob sie das geahnt hat? Vielleicht sogar damit geliebäugelt hat? Genau kann das nur sie selbst sagen. Überraschend aber kommt es schon, dass Ursula von der Leyen nun womöglich als Präsidentin der EU-Kommission nach Brüssel wechselt, ihre Geburtsstadt. Sie wurde schon mal als Nato-Generalsekretärin gehandelt; sie galt vor Jahren kurz als Favoritin, um erste Bundespräsidentin zu werden. Aber der Top-Job in Europa galt auch für sie lange als unerreichbar.

Sollte es dennoch so kommen, sollte also das Europäische Parlament den Vorschlag mittragen, dann trifft es keine Politikerin, die unvorbereitet wäre. Von der Leyen ist nicht nur genauso lange im Kabinett, wie Angela Merkel dieses als Kanzlerin anführt, seit 2005 also. Sie gilt als leidenschaftliche Europäerin, die mit Verve für mehr Zusammenhalt und mehr Selbstbewusstsein der EU eintritt. Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihre Berufung unterstützt, kann so gesehen kaum überraschen. In CDU und CSU gibt es kaum jemanden, der im öffentlichen Werben für eine starke EU Macron so ähnlich wäre wie die Verteidigungsministerin. Außerdem hat sie - ganz im Sinne des französischen Präsidenten - die deutsch-französische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich vorangetrieben.

Europa
:Italiener Sassoli wird EU-Parlamentspräsident

Der sozialdemokratische Abgeordnete erhält erst im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit. Von der Leyen wirbt in Straßburg für ihre Kandidatur - und setzt ihren allerersten Tweet ab.

Von Jana Anzlinger, Anna Ernst, Barbara Galaktionow, Magdalena Pulz und Philipp Saul

Dabei war Europa weit weg, als sie 2005 aus Niedersachsen nach Berlin kam. Damals galt die Tochter des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht als Talent vom Lande, forsch und selbstbewusst, aber unerfahren und möglicherweise nicht hart genug für die Hauptstadt. Das hatte sich bald erledigt. Kaum war sie als Familienministerin angetreten, stürzte sie sich in den Kampf mit den Konservativen in der CDU und den Kritikern in den Ländern, um das Elterngeld und den Kita-Ausbau durchzusetzen. Dass ältere Christdemokraten sie belächelten, schadete nicht ihr, sondern den alten Männern. Was von der Leyen in der Familienpolitik bewegt hat, zählt zu ihren größten Errungenschaften.

Als sie nach vier Jahren ins Arbeitsministerium wechselte, erwartete mancher von ihr ähnliche Wunder. Aber trotz ihres Werbens für eine Quote in den Vorständen großer Unternehmen und ihr Engagement fürs Schulessen von Kindern aus sozial schwachen Familien - die Spuren, die sie in der Zeit hinterließ, waren kleiner. Gleichwohl war und blieb sie eine enge Weggefährtin der Kanzlerin und wurde im Wahlkampf 2013 zu einer zentralen Mitstreiterin, die in Fernsehdebatten und auf öffentlichen Plätzen für die CDU punktete. Sie war damals das, was man eine Zugnummer nennen würde. Was dazu führte, dass sie von 2013 an als potenzielle Nachfolgerin der Kanzlerin gehandelt wurde. Das indes war nicht nur den anderen bewusst; auch sie selbst hatte das längst verstanden - und gilt bis heute als einzige Ministerin, die der Kanzlerin bei der Kabinettsauswahl Forderungen stellte. Merkel wollte die studierte Ärztin 2013 zur Gesundheitsministerin machen. Von der Leyen aber wollte das Verteidigungsministerium.

Sechs Jahre später ist vom einstigen Ruhm viel zerstoben. In den Wettbewerb um den CDU-Vorsitz ist sie nicht mehr eingetreten. Das Aufpäppeln der Bundeswehr hat sie komplett in Besitz genommen. Nach außen ist sie über die Jahre eine erfahrene, im internationalen Geschäft sicher auftretende Ministerin geworden. Als sie im Niger deutsche Soldaten besuchte, wurde ihr ein Sessel in den Wüstenstaub gestellt. Ihre Arbeit findet Anerkennung. Ganz besonders unter den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten - denn von der Leyen ist dafür eingetreten, dass sich die Bundeswehr im Rahmen der Nato gegen die russischen Provokationen in Osteuropa engagiert. So beteiligt sich Deutschland zum Beispiel immer wieder an der Sicherung des baltischen Luftraums.

Fragwürdige Nähe zu externen Beratern

"Mir ist die Truppe ans Herz gewachsen", sagte sie, als es 2017 um ihre Ambitionen ging, noch einmal Verteidigungsministerin zu werden. Außerdem ist es ihr gelungen, die Abwärtsspirale zu stoppen, in der sich die Bundeswehr befand. Die Truppe kehrt in die Fläche zurück. Stillgelegte Kasernen werden wieder mit Leben gefüllt, die Truppe wächst wieder. Von der Leyen kauft neue Panzer, Schiffe und Flugzeuge. Seitdem sie das Haus führt, ist der Etat von rund 30 Milliarden Euro auf bald 45 Milliarden Euro angestiegen.

Ist alles also gut? Mitnichten. Die Strukturen bleiben brüchig. Auch mit viel Geld lässt sich nicht schnell wieder aufbauen, was in vielen Jahren abgebaut wurde. Das Beschaffungsamt ist überfordert mit den neuen Großprojekten. Kontrollen funktionieren nicht, Abteilungen im Haus führten ein Eigenleben, wie die horrend teure Sanierung des Segelschulschiffes Gorch Fock zeigt. Fragwürdig ist auch die Nähe zu externen Beratern. Der Rechnungshof hat im vergangenen Jahr aufgedeckt, dass viele Aufträge am Vergaberecht vorbei erteilt wurden. Beraterfirmen kamen zum Zuge, deren Mitarbeiter zu Spitzenbeamten im Haus teils freundschaftliche Beziehungen führten. Von der Leyen hat manches zum Guten gewendet, aber der Truppe auch neue Probleme beschert - das ist die Bilanz, mit der sie jetzt vielleicht nach Brüssel aufbricht.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

EU-Postenvergabe
:Groko streitet wegen von der Leyen

Nichts beflügelt die Fantasie im politischen Berlin so sehr wie die Möglichkeit, Positionen in der Regierung neu zu besetzen. Doch die SPD würde die CDU-Ministerin am liebsten gar nicht nach Brüssel lassen.

Von Robert Roßmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: