Volksentscheid zu Stuttgart 21:"Hauptsache, es ist endlich Schluss"

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Was wollen die Schwaben nur mit ihrem ewigen Bahnhofsstreit? Im badischen Weil am Rhein haben die Menschen genug vom Gezänk um Stuttgart 21 - abstimmen wollen sie trotzdem. Wie die Bewohner im äußersten Winkel Baden-Württembergs über den Volksentscheid am Sonntag denken.

Roman Deininger, Stuttgart

Wenn man als Anhaltspunkt nur mal die Plakate nimmt, die in den Straßen hängen, dann gibt es zur Zeit zwei Veranstaltungen, die Weil am Rhein bewegen: der Indien-Dia-Vortrag im Haus der Volksbildung und der Floh- und Trödelmarkt in Haltingen. Dabei steht am Sonntag noch ein weiterer nicht unbedeutender Termin ins Haus: die Volksabstimmung über Stuttgart 21. In Stuttgart sieht man dieser Tage die Stadt gar nicht mehr. Überall sind die Wahlkampfplakate im Weg. In Weil kann man zwei Stunden spazieren gehen und sie immer noch an einer Hand abzählen.

Ein Mann wirft im Statistischen Amt in Stuttgart einen Stimmzettel für die Volksabstimmung über den Ausstieg des Landes aus dem umstrittenen Bahnprojekt in eine Wahlurne. (Foto: dapd)

Ein paar hundert Meter sind es von hier in die Schweiz. Ein paar hundert Meter mehr sind es nach Frankreich. 236 Kilometer sind es nach Stuttgart. Wen sollte im südwestlichsten Eck Deutschlands schon dieser ferne Bahnhof kümmern, die Platanen im Schlossgarten oder gar die Juchtenkäfer in den Platanen? Kaum jemand, das ist der erste Eindruck. Aber der erste Eindruck täuscht ja oft.

"Was wollen die Schwaben?"

Weil liegt an den Ausläufern des Schwarzwalds, es gibt ein Design-Museum, ein Freizeitbad und bald eine Straßenbahn nach Basel. Es gibt einen Containerbahnhof und einen Rheinhafen. Schwarzwaldromantik gibt es nicht. Die 30 000-Einwohner-Stadt lebt entlang der schmucklosen Hauptstraße, wobei die Hauptstraße dann doch ein richtiges Schmuckstück ist, verglichen mit dem kleinen Zentrum. Flache Betonquader, weiß angestrichen, rot und türkis. Hier beginnt die Suche nach Stuttgart 21.

Aus dem Rathaus kommt eine Frau Mitte vierzig, kurze Haare und klare Ansage: "Das Thema ist für uns einfach unendlich weit weg." Die Frau gibt den Ton vor an diesem kalten, milchigen Herbstnachmittag: Die Weiler stöhnen erst einmal, wenn sie auf die Stuttgarter und ihren Bahnhof angesprochen werden. Vor sechzig Jahren haben die Südbadener gegen die Gründung des Landes Baden-Württemberg gestimmt; manche klingen nun, als würden sie das heute noch einmal machen.

Ein älterer Herr, der eben noch das Schaufenster von "Rosis Schuhlädeli" betrachtet hat, läuft heiß: "Was wollen die Schwaben? Die sollen ihren Bahnhof bauen oder auch nicht bauen. Hauptsache, es ist endlich Schluss." Schon die Fragestellung beim Referendum sei dämlich: Ja zum Bahnhof heißt Nein zum Ausstieg.

Am 27. November ist das ganze Land an die Wahlurnen gerufen, entschieden wird schließlich über den Landesanteil an der Finanzierung von Stuttgart 21. Der Herr vor dem Schaufenster empfindet das als "Belästigung". Aber viele andere in Weil empfinden das als Privileg, die nervigen Schwaben mal kurz außen vor. Die Frau am Rathaus zum Beispiel: "Wenn man schon mitreden darf, sollte man das auch machen."

Es ist die erste Volksabstimmung in der Geschichte Baden-Württembergs, der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann betont stets weihevoll die "historische Dimension" des Anlasses. In Weil gab es erst im Juli einen Bürgerentscheid; die Bürger entschieden, dass sie kein neues Einkaufszentrum wollen. "Da haben wir gesehen, dass man etwas bewegen kann", sagt die Frau.

Sie will sich das Thema Stuttgart 21 deshalb näher heranholen, die offizielle Infobroschüre der Regierung studieren, ein bisschen "im Internet lesen". Sie tendiere sonst eigentlich in die "grüne Ecke", sagt sie. "Aber S21 technisch zu beurteilen, mit so einer Absolutheit, das traue ich mir einfach nicht zu." Sich in den Straßen von Weil über den Stuttgarter Bahnhof zu unterhalten, ist ziemlich angenehm, anders als in den Straßen von Stuttgart. Ganz selten regt sich missionarischer Eifer dafür oder dagegen.

"Diesen Fanatismus versteht hier keiner"

Ein Fachgeschäft für Modelleisenbahnen. Die Inhaberin sagt, die Bilder von den Montagsdemos in Stuttgart wirkten für sie so fremd wie die aus einer Krisenregion am anderen Ende der Welt. "Diesen Fanatismus versteht hier keiner."

Alles in weiter Ferne - und doch irgendwie nah: Die Dame kennt Polizisten, die im Stuttgarter Schlossgarten eingesetzt wurden und beleidigt von den Demonstranten. "Das prägt", sagt sie. Andere Weiler erzählen von ihren schlechten Erfahrungen mit der Bahn, von "falschen Versprechungen" beim Lärmschutz für die Rheintalbahn. Die Modellbahn-Fachfrau sagt: "Das prägt natürlich auch."

Die Stadt ist unentschieden, eine sichere Mehrheit hat S21 nur am Abend in der "Alten Zunft", einer holzverkleideten Wirtschaft, in der plötzlich sogar das Weiler Zentrum gemütlich wird. Der Tiefbahnhof wäre ein "wichtiges Signal" für das Land, sagt ein Raucher im Eck, "wir brauchen doch auch künftig Großprojekte".

Was man auch noch brauche, sei eine hohe Wahlbeteiligung am 27. November. "Damit das Thema endlich vom Tisch ist." Und wie es ausgeht am Sonntag? Auf jeden Fall glimpflich für Weil am Rhein. "Wer' mer luaga", sagt ein Gast am Tresen. Schauen wir mal.

© SZ vom 21.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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