Völkerstrafrecht:Niederlage im Kampf um Herzen und Köpfe

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Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde eingestellt. Damit stellt Deutschland seine Rolle als Speerspitze der Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Andrian Kreye

Glaubwürdigkeit war im Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen in einem Krieg schon immer der wichtigste strategische Vorteil. Wobei es nicht nur um die Bevölkerung im Kriegsgebiet selbst geht.

Das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Oberst Georg Klein aufgrund der Bombardierung von zwei durch Taliban gekaperte Tanklaster am 4. September 2009 in der Nähe von Kundus, bei dem bis zu 142 Menschen getötet wurden, darunter auch viele Zivilisten, wurde eingestellt. (Foto: Foto: AP)

Auch die eigene Bevölkerung, die Verbündeten und die Weltöffentlichkeit sind Ziel dieser psychologischen Kriegsführung, die im Vietnamkrieg als "Hearts and Minds Campaign" in Verruf geriet, weil die Idee von einem moralischen Kampf um Herzen und Köpfe in den Napalmwolken über Südostasien nur zynisch wirkte.

Das demokratisch und pazifistisch gesinnte Deutschland galt in diesem Kampf unter den westlichen Alliierten des Kalten Krieges als Speerspitze der Glaubwürdigkeit. Die Rolle hatte sich die Bundesrepublik auch nach dem Mauerfall bewahrt. Mit dem nüchternen Federstrich des bürokratischen Akts hat die Bundesanwaltschaft diesen strategischen Vorteil nun in Frage gestellt.

Am vergangenen Montag hat sie das Verfahren gegen Oberst Georg Klein eingestellt, der am 4. September 2009 den Luftangriff auf zwei gestohlene Tankwagen südlich von Kundus befahl, bei dem auch Kinder und Zivilisten ums Leben kamen.

Die Anwälte der Angehörigen der Opfer und das European Center for Constitutional and Human Rights ECCHR in Berlin werden gegen die "vorschnelle Einstellung" vorgehen. Völker- und strafrechtlich gibt es noch einiges zu klären.

Doch selbst wenn die Prüfung, ob Klein gegen die Genfer Konventionen verstoßen hat oder nicht, doch noch zur allgemeinen Zufriedenheit abgeschlossen wird, wenn geklärt ist, ob etwaige Fahrlässigkeiten auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten, wenn man doch noch die Opfer vernommen hat, ist eine entscheidende Schlacht in diesem Kampf um die Herzen und Völker schon verloren. Denn die Einstellung des Verfahrens verändert den Blick auf Deutschland. Nicht nur in Afghanistan.

Man darf so ein Verfahren der Bundesanwaltschaft natürlich nicht überbewerten. Der Stern-Korrespondent Christoph Reuter hat die Folgen des Luftangriffes gemeinsam mit dem Fotografen Marcel Mettelsiefen vier Monate lang aufgearbeitet und veröffentlicht in diesen Tagen ein Buch mit dem Titel "Kunduz, 4. September 2009". Er kennt die Angehörigen der Opfer, ihre Nachbarn, die Dörfer und das Land. Für die meisten Afghanen sei der Angriff nur eines von unzähligen Ereignissen gewesen.

In einem Krieg, in dem die Bevölkerung zwischen den Fronten gefangen ist, ist so ein deutsches Ermittlungsverfahren doch eher ein ferner und abstrakter Vorgang: "Für die Menschen aus den Dörfern der Opfer wäre es viel wichtiger gewesen, wenn man sich mit ihnen getroffen und ihnen ein persönliches Wort der Entschuldigung überbracht hätte."

Und doch sollte man die Wirkung nicht unterschätzen: "In intellektuellen Kreisen wird die Verfahrenseinstellung schon so gesehen, dass hier offensichtlich straffrei vorgegangen werden kann." Man setze hier einiges aufs Spiel.

Die meisten Afghanen sahen die Bundeswehr bislang immer als die Truppe, die eben nicht Nacht für Nacht die Türen ihrer Häuser auftritt, wie die Amerikaner, die nicht auf jeden schießt, der ihre Konvois überholen will, die den Aufbau wichtiger nimmt als die Besatzung.

Die wahre Gefahr lauert jedoch in jenem Vorwurf, der sich in Entwicklungs- und Schwellenländern schon lange hält - die einseitige Anwendung des Völkerstrafrechts. Für den Generalsekretär des ECCHR Wolfgang Kaleck ist das vor allem ein Phänomen der Jahre nach dem 11. September 2001:

"Wie kann es angehen, dass die USA teilweise mit Unterstützung ihrer Verbündeten Foltermethoden anwenden, die von den Gegnern im Kalten Krieg, von der Sowjetunion, China, Nordkorea und Nordvietnam angewendet wurden, die man immer klar als Folter bezeichnete - doch wenn es um die Beurteilung des eigenen Handelns geht, ist es auf einmal keine Folter mehr?"

Auf den Straßen der arabischen Welt, der afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Großstädte, steht diese Doppelmoral als Synonym für ein Völkerrecht als neokoloniales Druckmittel. Und das Synonym dient längst als Ausgangspunkt einer fatalen Gedankenkette.

Wenn der Westen das Völkerrecht und den internationalen Strafgerichtshof also nur in Anspruch nimmt, wenn es gilt, Kriegsverbrecher und Despoten aus Drittländern zur Verantwortung zu ziehen, die Vergehen der eigenen Regierungen und Streitkräfte aber nicht einmal vor Gericht bringt, geschweige denn sühnt, warum sollte man die Menschenrechte dann überhaupt ernst nehmen?

Auch Kaleck hat das schon beobachtet:

"Überall auf der Welt sieht man bei solchen Verfahren sehr genau hin. Gerade in den aufstrebenden Staaten wie Brasilien, Indien oder China. Wenn man weiter so argumentiert, darf man sich nicht wundern, wenn die mächtig geworden sind und sagen, das Völkerrecht des Westens vergessen wir jetzt mal, das haben die Westnationen immer nur dann angewandt, wenn es ihnen passte - und wenn es gegen die eigenen Interessen ging, haben sie sich davon abgewandt. Das ist ein Prozess, den man nur umkehren kann, wenn man es wagt, auch seine eigenen Rechtsbrecher vor Gericht zu stellen."

Die Folgen zeigen sich schon. Gerade China entwickelt sich als Wirtschaftsmacht mit globalen Interessen zunehmend zum Hindernis bei der Durchsetzung der Menschenrechte. Denn Geld war bisher immer noch das wirksamste Argument für die Durchsetzung der Grundwerte der Aufklärung.

Da heiligt der Zweck durchaus die Mittel. China gibt jedoch Geld ohne moralische Verpflichtung. Für viele Länder und Regimes ist es deswegen längst ein viel bequemerer Verhandlungs- und Geschäftspartner als der moralische Westen.

Auch in Afghanistan helfen Geld und Taten meist mehr als Worte, Werte und Verpflichtungen. In den Dörfern südlich von Kundus mag das Trauma des Angriffs noch tief sitzen. "Für diese Menschen war das das Schlimmste, was ihnen im Krieg widerfahren ist", sagt Christoph Reuter.

Doch die Angehörigen der Opfer warten seit Monaten nicht nur vergeblich auf eine Entschuldigung, sondern auf die Entschädigung, die in Aussicht gestellt wurde. "Natürlich wollen sie, dass die Deutschen eine Schule bauen oder ein Krankenhaus."

Auch für Wolfgang Kaleck ist die Einstellung der Schadensersatzverhandlungen nicht nachvollziehbar. "Das wären keine Entschädigungen für einzelne Opfer gewesen, das hätte keinen Präzedenzfall gesetzt. Das wären Projekte gewesen, die den Angehörigen zu Gute gekommen wären."

Was auf den Dorfstraßen von Afghanistan und in den Augen einer Weltöffentlichkeit bleibt, die sich nicht unbedingt in den international anerkannten Medien widerspiegelt, ist ein Fall, der Deutschland als Makel bleiben wird: Ein deutscher Offizier hat aufgrund von Informationen eines einzelnen Informanten einen Angriff befohlen, bei dem Kinder und Zivilisten starben. Vor Gericht musste er deswegen nicht.

So rückt die Speerspitze der Glaubwürdigkeit zurück ins Glied. Ob Deutschland diese Rolle gefällt, wird sich noch herausstellen.

© SZ vom 21.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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