Völkerrecht:Rückfall in die Welt der Willkür

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Suche nach Überlebenden nach einem Luftangriff in der von Rebellen gehaltenen Stadt Saqba. (Foto: AFP)

Über Jahrhunderte wurden Regeln geschaffen, um Konflikte einzudämmen und sogar den Krieg zu zähmen. Doch in Syrien zeigt sich, wie schwierig es ist, der Barbarei zu entkommen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Vom Giftgas getötete Kinder, zu Ruinenfelder zerbombte Städte, gefolterte oder bei lebendigem Leib verbrannte Gefangene und eine Vielzahl von Armeen verschiedener Staaten sowie Rebellengruppen, die kreuz und quer aufeinander einhauen - die Szenen aus Syrien sind Szenen einer Welt ohne Regeln. Szenen der Barbarei. Dabei bemühen sich die Staaten seit Jahrhunderten, den Umgang miteinander zu ordnen und die Menschen vor Exzessen im Krieg zu schützen.

Nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges rangen sich die Parteien zum Westfälischen Frieden durch, der die Gleichberechtigung der Staaten anerkannte, egal wie mächtig diese waren. Später brachte das Leid der Verwundeten in der Schlacht von Solferino den Schweizer Henry Dunant dazu, das Rote Kreuz zu gründen und das humanitäre Völkerrecht zu schaffen. Die Erfahrung der Weltkriege veranlasste die Weltgemeinschaft dann, den Krieg - der bis dahin als Fortsetzung der Politik galt - zu ächten.

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Der russische Präsident verweist auf die falschen Beweise, mit denen die USA 2003 ihren Einmarsch im Irak begründeten - und spricht davon, dass Assad-Gegner weitere "Provokationen" planten.

Der Sinn der Mühen? Nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch zwischen den Staaten soll das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts abgelöst werden. Selbst im Krieg ist nicht mehr alles erlaubt. Wer Verbrechen begeht, Angriffskriege oder Völkermorde, der soll abgeurteilt werden. Schöne neue Welt? Warum nicht auch in Syrien?

Papier ist geduldig, Völkerrecht auch. Das Unrechtsbewusstsein wurde zwar geschärft, mancher Krieg verhindert, manche Untat gesühnt. Die Vereinten Nationen, viele Staaten und Menschenrechtler mussten aber ständig dafür kämpfen, damit das Recht Beachtung fand.

Die Welt scheint zivilisatorisch zurückzutaumeln

Rückschläge blieben nicht aus. George W. Bush überfiel den Irak. Wladimir Putin raubte die Krim. Und nicht nur in Afrika tobten sich Kriegsherrn an der Zivilbevölkerung aus. Die Welt nahm dies allerdings nicht einfach hin. Völkerrechtsbrüche führten zu Protesten, Sanktionen, vor Tribunale und auch zu militärischen Interventionen. Die Nato tat sich schwer, ihr Eingreifen im Kosovo-Konflikt völkerrechtlich zu rechtfertigen, doch sie bemühte sich zumindest. Kein zivilisierter Staat wollte als Völkerrechtsbrecher dastehen. Das, immerhin, war ein Fortschritt.

Bis jetzt, bis Syrien. Nun scheint die Welt zivilisatorisch zurückzutaumeln. Sei es, dass die Erfahrungen der Weltkriege lange zurückliegen; sei es, dass neu entfachte ideologische und religiöse Konflikte den Sinn für Recht und Unrecht vernebeln: Das Völkerrecht siecht dahin.

Symptome finden sich viele, Chinas Expansion im südchinesischen Meer, Nordkoreas Atomprogramm, die Abwendung afrikanischer Staaten vom Weltstrafgerichtshof oder der Umgang einiger EU-Staaten mit Flüchtlingen. Nirgends aber wird das Völkerrecht so brutal zerschossen wie auf den Schlachtfeldern Syriens. Und die, die schießen, fühlen keinen großen Rechtfertigungsdruck mehr.

Dass die Terrormiliz Islamischer Staat besonders verbrecherisch vorgeht, bedarf keiner Erklärung mehr. Auch das Assad-Regime hat einen Tiefpunkt der Verkommenheit erreicht. Es setzte, wie ein Expertenteam der Vereinten Nationen bewies, wiederholt Giftgas gegen seine Bürger ein. Es zerfetzte Wohngebiete, hungerte Städte aus, folterte Gefangene.

Schändlich ist es, dass sich Russland zum Komplizen dieses Horrorregimes gemacht hat. Die Proteste dagegen im sonst demonstrationsfreudigen Westen sind vergleichsweise gering. Und auch etliche westliche Regierungen scheren sich in Syrien wenig um das Völkerrecht, wie die Bombardements der internationalen Allianz ohne Einwilligung des Regimes belegen.

Es war nie einfach, der Barbarei zu entkommen

Jetzt kommt Trumps Militärschlag vom Freitag hinzu. Das Bombardement verstößt gegen das Gewaltverbot, das Herzstück der UN-Charta. Trump handelte nicht in Selbstverteidigung und ohne Mandat des Sicherheitsrats, also unter Bruch des Völkerrechts. Trotzdem klatschen ihm westliche Regierungen Beifall, darunter die deutsche, die früher gern als Vorkämpferin des Völkerrechts auftrat.

Das zeigt: Dieses Recht ist zur Quantité négligeable geworden. Gewiss, es gibt gute politische und moralische Argumente dafür, das Assad-Regime gewaltsam am Weitermorden zu hindern. Auch ist es skandalös, dass Russland im UN-Sicherheitsrat Resolutionen per Veto vereitelt und damit den Schutz der Menschenrechte hintertreibt.

Nur: Wer deshalb das Völkerrecht nonchalant missachtet, trägt zu dessen Untergang bei. Eine Staatengemeinschaft ohne Regeln, eine Welt der Willkür, liegt im Interesse keines Volkes. In ihr droht ein neuer Dreißigjähriger Krieg - diesmal mit modernen Waffen. Statt selbst Völkerrecht zu brechen, sollten Amerikaner und Europäer alles tun, dessen Regeln durchzusetzen. Ja, das ist schwer. Doch einfach war es nie, der Barbarei zu entkommen.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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