Vermögen:Wie die Erbschaftsteuer für mehr Gerechtigkeit sorgen könnte

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Die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitert sich vor allem wegen steigeneder Immobilienpreise, von denen vor allem Vermögende profitieren. (Foto: dpa)

Die Regierung könnte eine Erbschaftsteuer voller Schlupflöcher für Unternehmen beschließen, die "Normalerben" benachteiligt. Dabei gibt es viel bessere Möglichkeiten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Noch ist nicht klar, auf welche Details sich die Regierungskoalition bei der anstehenden Reform der Erbschaftsteuer einigt. Absehbar ist aber: Es wird wieder ein Modell sein, das einerseits hohe Steuersätze vorsieht und auf der anderen Seite komplizierte Regeln zur Verschonung vor allem von Familienunternehmen. So ist es im vorliegenden Gesetzentwurf angelegt; es könnte also wieder eine Erbschaftsteuer voller Schlupflöcher für Unternehmen kommen, die "Normalerben" benachteiligt. Allerdings hatte Ende 2014 das Bundesverfassungsgericht ein vergleichbares Gesetz einkassiert, weil es gegen das Gleichbehandlungsgebot verstieß. Dies könnte nun wieder passieren.

Schon 1995 und 2006 hatte Karlsruhe die Erbschaftsteuer aus dem gleichen Grund beanstandet. Dabei ließe sich das Problem mit einem einfachen Modell beseitigen, das von der Wissenschaft überwiegend favorisiert wird: Die Ausnahmen werden gestrichen, die Steuersätze dramatisch gesenkt und die Freibeträge entweder beibehalten oder ebenfalls reduziert.

Verfassungsrechtlich wäre eine niedrige Erbschaftsteuer bei breiter Bemessungslage die sicherste Lösung. Sie wäre zudem ein Instrument, um der wachsenden Vermögensungleichheit zu begegnen. Nach dem jüngsten Monatsbericht der Bundesbank hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitert, vor allem wegen gestiegener Immobilienpreise, von denen fast nur die vermögenden Haushalte profitieren. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des gesamten Vermögens - eine im europäischen Vergleich ungünstige Verteilung.

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Dazu addieren sich geringe Aufstiegschancen sozial schwacher Bevölkerungsschichten. So schreibt Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in seinem Buch "Verteilungskampf": "Kinder reicher Eltern dürfen also nicht nur auf große Erbschaften oder Schenkungen hoffen, sie haben auch deutlich bessere Chancen, selbst ein überdurchschnittliches Arbeitseinkommen zu erzielen."

Niedrige Steuern, wenige Ausnahmen - das ist politisch kaum durchzusetzen

Betrachtet man die Erbschaftsteuer vor diesem Hintergrund, wird ihr eigentlicher Zweck deutlich. Sie ist, neben der Grundsteuer, die einzige Steuer, die auf die Substanz des Vermögens zugreift und dieses umverteilt; eine Vermögensteuer gibt es in Deutschland seit fast 20 Jahren nicht mehr. Im abweichenden Votum dreier Richter zum Erbschaftsteuerurteil von 2014 heißt es: Die Erbschaftsteuer sei "ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert." Sie wirke "damit der Gefahr entgegen, dass durch eine zunehmende Ungleichverteilung von Mitteln die Chancen auf gesellschaftliche wie politische Teilhabe auseinanderdriften und sich so letztlich Einfluss und Macht zunehmend unabhängig von individueller Leistung verfestigen und an Herkunft gebunden sind".

Welches Umverteilungspotenzial in den auf 200 Milliarden Euro jährlich geschätzten Erbschaften in Deutschland steckt, lässt sich daran erkennen, dass die Steuer derzeit nur vier bis fünf Milliarden Euro einbringt, weniger als die Tabaksteuer. Nach einer Rechnung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums ließe sich dieser Betrag auch mit einem einheitlichen Steuersatz von 12,5 Prozent erreichen, wenn dafür die Verschonungsregeln gestrichen, die großzügigen Freibeträge (für Kinder derzeit 400 000 Euro) aber beibehalten werden. Halbierte man den Freibetrag, ließe sich das Aufkommen steigern oder der Steuersatz auf neun bis zehn Prozent senken. Wer eine Eigentumswohnung von 300 000 Euro erbt, müsste dann rund 10 000 Euro Steuern zahlen. Die große Mehrheit der Erbschaften bliebe nach wie vor unversteuert: Das Pro-Kopf-Durchschnittsvermögen liegt bei 83 000 Euro.

Die Kölner Steuerrechtsprofessorin Johanna Hey hält das Niedrigsteuer-Modell für richtig, aber politisch kaum durchsetzbar. Denn die Steuer für den Unternehmenserben - falls er wirklich Steuern zahlt - würde von derzeit bis zu 50 Prozent auf eine Niedrigsteuer von vielleicht zehn Prozent fallen. Das sei den Wählern genauso wenig zu vermitteln wie die Senkung der Freibeträge; die Politik stecke hier in einer "polit-ökonomischen Falle", sagt Hey. Der Ausweg: Karlsruhe müsste einmal ein Erbschaftsteuergesetz für nichtig erklären, statt wie bisher dem Gesetzgeber Übergangsfristen einzuräumen. Dann könnte eine Neuregelung bei null beginnen. Sollte die Koalition ihre Reform bis 30. Juni nicht hinbekommen, könnte dieser Punkt erreicht sein.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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