NSU:Verfassungsschützer schreddert V-Mann-Akten - mit Absicht und ohne Konsequenzen

Lesezeit: 2 Min.

  • Staatsanwaltschaft Köln lehnt Ermittlungen gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ab.
  • Der Verfassungsschützer hatte eingeräumt, kurz nach Enttarnung des NSU Akten vernichtet zu haben, um unangenehmen Fragen zu entgehen.
  • Die Familie eines NSU-Opfers und ihre Anwälte hatten Strafanzeige gestellt.

Von Wiebke Ramm

Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren eine Woche tot. Beate Zschäpe war seit drei Tagen in Untersuchungshaft. Die Welt hatte gerade von der Existenz des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) erfahren, da ließ ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 11. November 2011 Akten zu V-Männern in Thüringen schreddern.

Die Vernichtung war kein Versehen. Der Verfassungsschützer mit dem Decknamen Lothar Lingen wollte unangenehme Fragen verhindern. Und er wollte sich und seinem Amt Arbeit ersparen. So hat Lothar Lingen es selbst gegenüber der Bundesanwaltschaft im Oktober 2014 gesagt. Die Aktion wird für Lingen wohl ohne Konsequenzen bleiben. Die Staatsanwaltschaft Köln hat jetzt mitgeteilt, dass sie keine Ermittlungen gegen ihn einleiten wird.

Ihm sei durchaus klar gewesen, sagte Lingen zur Bundesanwaltschaft, dass die vielen V-Leute des Verfassungsschutzes im Thüringer Umfeld von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu der Frage geführt hätten, "aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der drei eigentlich nicht informiert worden sind".

Weiter sagte er: "Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn ... die Anzahl unser Quellen im Bereich des Thüringer Heimatschutz und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das Bundesamt für Verfassungsschutz von nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht."

Keine Vertuschungsaktion, sondern eine "Bereinigung der Aktenbestände"

Die Aussage des Verfassungsschützers ist erst Ende September 2016 bekannt geworden. Elif und Gamze Kubasik, Witwe und Tochter eines Mordopfers des NSU, sowie ihre Anwälte hatten daraufhin Strafanzeige gegen Lothar Lingen gestellt. Da sich das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln befindet, ging die Anzeige an die dortige Staatsanwaltschaft.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat am Dienstag nun mitgeteilt, dass es weder einen Anfangsverdacht für eine Strafvereitelung noch für eine Urkundenunterdrückung oder einen Verwahrungsbruch, heißt es in dem Schreiben der Behörde, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Staatsanwaltschaft sieht in der Schredder- keine Vertuschungsaktion, sondern eine nachvollziehbare "Bereinigung der Aktenbestände". Die Aktenvernichtung sei "mit den zum Vernichtungszeitpunkt geltenden hausinternen Aufbewahrungsbestimmungen vereinbar" gewesen. Zudem seien übergeordnete Aktenbestände, in die der Inhalt der vernichteten Unterlagen eingeflossen sei, nach wie vor im Original vorhanden.

Die Vorwürfe verjähren Ende der Woche

Damit dürfte die Aktenvernichtung für den ehemaligen Verfassungsschützer strafrechtlich folgenlos bleiben. Denn die infrage kommenden Vorwürfe verjähren in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, pünktlich um Mitternacht, genau fünf Jahre nach der Schredderaktion.

Die Opferanwälte haben noch am Dienstag Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingelegt, die sie für "rein willkürlich und ergebnisorientiert" halten. Denn noch könnte die Verjährung verhindert werden. Lothar Lingen müsste dafür nur rechtzeitig zur Vernehmung vorgeladen werden. Das aber hat die Staatsanwaltschaft offenbar nicht vor.

Familie Kubasik und ihre Anwälte vermuten, dass es in den vernichteten Akten Hinweise auf weitere Unterstützer der mutmaßlichen NSU-Terroristen gegeben haben könnte. Die Staatsanwaltschaft hält das für unwahrscheinlich. Überprüfen lässt sich dies - so oder so - nicht mehr.

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