USA: Barack Obama:Der amerikanische Patient

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Barack Obama dümpelt durch einen Sommer des Missvergnügens. In den Augen seiner Landsleute führt er nicht, kämpft nicht, packt nichts an. Doch der Präsident ist nur der Spiegel eines Landes, das mit sich im Unreinen ist.

Stefan Kornelius

Am Donnerstag schickte Barack Obama wieder einmal Post an Tausende seiner Anhänger. In dieser Mail forderte er die Parteigänger auf, tatsächlich auch im November zur Wahl zu gehen und sich hier und jetzt, per Mausklick, zur Stimmabgabe zu verpflichten. Es gab Zeiten, da musste ein Barack Obama seinen Anhängern dieses Versprechen nicht abnehmen, da mobilisierte sich die Klientel der Demokraten von selbst.

Nur 45 Prozent der Amerikaner stimmen der Arbeit von Barack Obama noch zu. Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme waren es noch 69 gewesen. (Foto: AP)

Bemerkenswert an Obamas Wahlaufruf ist die inspirierende Anekdote, mit der er seine Verpflichtungserklärung einleitet. Vor 18 Jahren, so Obama, habe er in Chicago eine Kampagne zur Wählermobilisierung geleitet, die ihn eine Lektion gelehrt habe: Die Menschen würden eine Sache mit größerer Wahrscheinlichkeit machen, wenn sie zuvor ein Versprechen darüber abgegeben hätten.

Der Präsident hätte seine eigenen Versprechungen einer genaueren Prüfung unterwerfen sollen, ehe er andere zum Schwur ruft. War dies nicht der Politiker, der noch in der Rede zur Lage der Nation im Januar Arbeit, Arbeit, Arbeit versprochen hatte? War dies nicht der Politiker, der die Versöhnung einer politisch zutiefst gespaltenen Nation in Aussicht stellte? War dies nicht der Politiker, der Guantanamo binnen Jahresfrist hatte schließen wollen? War das nicht der Politiker, der eine revolutionäre Klimapolitik und die Modernisierung Amerikas mit seiner Person verband? Stammt nicht der Slogan Repower America aus seinem Mund - grüne Kraft, Energie und Jobs für die Nation?

Ein Politiker und seine nicht gehaltenen Versprechen: Barack Obama dümpelt durch einen Sommer des Missvergnügens. Nur 45 Prozent der Amerikaner stimmen seiner Arbeit zu, gleich nach der Amtsübernahme waren es einmal 69 Prozent gewesen. Die schlechte Benotung ist untypisch für US-Präsidenten so früh nach dem Amtsantritt, aber auch nicht katastrophal. Sorgen sollte sich Obama aber über die Fachnoten, die der Wähler für ihn übrig hat: In den fünf wichtigsten Politikfeldern - Einwanderung, Haushaltsdefizit, Afghanistan, Wirtschaftssituation und Gesundheitspolitik - geben ihm zum Teil weit weniger als 40 Prozent der Wähler gute Bewertungen. Die Statistik zeigt, was die Menschen fühlen: Der Präsident ist aus der Politik entschwunden, er führt nicht, kämpft nicht, fasst die Themen nicht an.

Der Patient im Aufwachraum

Dabei ist der Präsident nur der Spiegel eines Landes, das mit sich im Unreinen ist. Die USA spüren im Sommer 2010 den Wundschmerz, der einen Patienten nach einer Operation quält. Anderthalb Jahre nach Obamas Amtsübernahme und drei Monate vor den nächsten Wahlen lässt die Wirkung der Narkose nach. Der Patient kommt zu sich. Gleich wird der Operateur die betrübliche Mitteilung machen, dass der Eingriff gut verlaufen sei, weitere Operationen aber anstehen.

Amerika leidet an vielen Krankheiten, aber es wäre falsch, den Patienten abzuschreiben. Die Debatte über den American decline, den Niedergang der Supermacht und die Neuverteilung der Gewichte auf der Welt, ist von akademischer Natur. Sie wiederholt sich, seitdem über die Macht Amerikas nachgedacht und geschrieben wird. Die Wiederholung hat es nicht wahrscheinlicher gemacht, dass der Machtverfall auch einsetzt.

Gleichwohl ist ein neues Phänomen zu beobachten, das den Schwächeanfall im Jahr 2010 von den Niedergangs-Szenarien früherer Jahre unterscheidet. Bisher waren es vor allem Rivalen von außerhalb, die sich an Amerikas Stärke maßen, die sich zusammentaten mit dem Ziel, das Kampfgewicht der Supermacht auszugleichen. Diesmal sind sich die USA selbst ihr größter Feind.

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Das Virus des Unbehagens nagt im Inneren des Landes, es hat die Gesellschaft angegriffen und ihre vielleicht größte Stärke beschädigt: die Fähigkeit zur eigenen Modernisierung. Barack Obama ist nicht nur Präsident, sondern auch bestes Beispiel für die neue Verzagtheit, die Lähmung, die das Land erfasst hat.

Wichtigstes Beweisstück für Amerikas Modernisierungsdefizit sind die ökonomischen Daten. Sie zeigen, wie sehr Amerikas Struktur von der Finanzkrise und der Rezession getroffen ist. Alle ökonomischen Indikatoren lassen wenig Raum für Zuversicht: Massenarbeitslosigkeit, Stagnation, Rückgang in der Industrieproduktion, deprimierende Export-Ziffern und Zurückhaltung beim Konsum.

Die Amerikaner sind pessimistisch über ihre wirtschaftliche Zukunft, die Haushalte sind überschuldet, die Apokalyptiker warten auf den zweiten Rezessions-Absturz. Die Krise zeigt, dass Amerikas Industrie, vor allem das verarbeitende Gewerbe, technische Innovationen verschlafen hat. Zu viel volkswirtschaftliche Expertise ist in die Finanzbranche abgewandert - vom Import billiger Konsumgüter und dem Export nationaler Schuldverschreibungen lässt sich eine Supermacht aber nicht ernähren. Das heilige Versprechen jeder Generation wird gebrochen: Diesmal wird es den eigenen Kindern nicht besser gehen.

Der grüne Aufbruch endet an der Rasenkante

Das Modernisierungsdefizit ist besonders quälend bei Umwelt- und Energieprodukten zu spüren. Amerikas grüner Aufbruch endet inzwischen wieder an der Rasenkante. Die Abhängigkeit vom Öl und der unendliche Energiehunger der Gesellschaft paaren sich trefflich mit reichlich Ignoranz bei Klima- und Umwelt-Themen. Obamas Ohnmacht angesichts der Verschmutzungs-Katastrophe im Golf von Mexiko steht wie ein Menetekel für den Stillstand.

Diese Lähmung ist nicht zuletzt einem Klima zu verdanken, das - nach Wirtschaft und Umwelt - als drittes Exempel für Amerikas Modernisierungsproblem taugt. Befeuert von einem überdrehten Mediengewerbe ist dem politischen Washington der Sinn für das Sinnvolle abhandengekommen. Senat und Repräsentantenhaus lamentieren über Blockaden, ihr Regelwerk ist teilweise so anachronistisch wie die Stenographie-Maschinen in den Parlamentskammern.

In der Außenpolitik beschränkt sich das Land immer mehr auf eine verwaltende Funktion. Modern ist gerade die Einsicht, dass man den Terror nicht ändern wird und sich deshalb wieder auf staatliche Bedrohungen konzentrieren solle. Die Formel steht für einen neuen, resignierten Isolationismus.

Der Erneuerer Obama ist bei alldem wenig sichtbar. Einst angetreten als Reformer und Versöhner, wird er nun als besonders polarisierend wahrgenommen und muss sich im Kongress-Wahlkampf zurückhalten. Seine Präsenz verspricht keine Wählerstimmen. Das Charisma scheint verflogen zu sein, als politischer Handwerker hat er sich bislang keinen Namen gemacht. Obama ist ein Solitär, kein Mannschaftsspieler, der Gefolgschaft im Kongress erzeugt und blinde Loyalität erfährt wie einst Bill Clinton.

Der Präsident muss sich aufraffen, er muss das Tief hinter sich lassen und Mut zeigen - noch vor den Zwischenwahlen. Nur dann wird aus dem trostlosen Bild eine Aufnahme des Augenblicks. Nur dann wird dies am Ende ein besonders heilsamer Moment in der amerikanischen Geschichte gewesen sein.

© SZ vom 14./15.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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