US-Truppen in Afghanistan:Der General geht, der Krieg bleibt

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Mit dem Rauswurf von Nato-Kommandeur McChrystal rückt die Debatte um die US-Strategie am Hindukusch wieder in den Vordergrund. Der Einsatz in Afghanistan galt lange als "guter Krieg" - doch die Stimmung in den USA kippt.

Christian Wernicke, Washington

Washington ist sein Canossa: Gleich drei Mal muss Stanley McChrystal, bis Mittwochvormittag noch Nato-Kommandeur und Amerikas General in Afghanistan, Buße leisten für seinen unbotmäßigen Spott über die halbe US-Regierung. Am frühen Morgen bereut McChrystal zunächst im Dienstzimmer von Admiral Mike Mullen, als Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff der allerhöchste US-Offizier. Es folgt der Gang zu Robert Gates, dem Verteidigungsminister, der vor 13 Monaten McChrystal persönlich auserkoren hatte für Amerikas schwierigste Militärmission. Und schließlich die Fahrt ins Weiße Haus. Um zehn Uhr verbeugt sich McChrystal vor seinem Dienstherrn, artig überreicht er sein Rücktrittsgesuch, bedauert und enteilt in Schande durch eine Hintertür.

Immer mehr Amerikaner sind der Meinung, dass der Krieg in Afghanistan zu viele Opfer fordert, während sich die Lage kaum verbessert. (Foto: getty)

Nicht mal mehr an der vor Wochen angesetzten Strategiedebatte im Weißen Haus zu Afghanistan durfte der General noch teilnehmen. Nicht, nachdem Barack Obama alle Welt hatte wissen lassen, wie "verärgert" er über den General sei. Und erst recht nicht, nachdem Robert Gibbs, des Präsidenten Pressesprecher, den General gleichsam zu einem unreifen Kindskopf degradiert hatte: Die Eltern von Amerikas Soldaten wollten nun "wissen, ob die Strukturen, in die sie ihre Kinder schicken, fähig und reif genug sind, einen Krieg zu führen".

Doch auch nach dem Abgang des Generals stehen die USA im selben Krieg. "Dies ist ein Personalwechsel, kein Strategiewechsel", bestätigt ein finster dreinschauender Präsident Obama am Mittwochnachmittag. Er steht vor der sehr grundsätzlichen Frage: Wie lange noch ist Amerika bereit, die Schlachten am Hindukusch auszufechten? Erst vor wenigen Tagen ist der tausendste US-Soldat in Afghanistan gefallen, seit ihrem Beginn im Oktober 2001 kamen während der "Operation Enduring Freedom" 1132 uniformierte Amerikaner (und 726 Soldaten anderer Nationen) ums Leben. Umfragen belegen, dass das amerikanische Volk allmählich den Glauben an den Sinn des Einsatzes verliert: Anfang Juni erklärten 53 Prozent der Befragten, Afghanistan sei "den Kampf nicht wert". Noch im Dezember 2009, da Präsident Obama die Aufstockung der Truppen um 30.000 Mann verkündet hatte, bekundeten nur 44 Prozent solche Zweifel. Damals antworteten noch 52 Prozent auf dieselbe Frage von ABC und Washington Po st, der Krieg "lohnt den Kampf".

Wie sehr die Ungeduld an Amerikas Heimatfront gärt, ließ sich vorige Woche auch bei Anhörungen im Streitkräfteausschuss des Senats beobachten. Dort nahmen die Senatoren ausdrücklich Bezug auf Obamas Kriegsrede vom Dezember. Denn der Präsident hatte damals zwei wichtige Zeitziele genannt: Nach einem Jahr, also exakt im Dezember 2010, solle die US- und Nato-Strategie einer prinzipiellen Erfolgskontrolle und Überprüfung unterworfen werden - und in 18 Monaten, also von Juli 2011 an, würden "unsere Truppen beginnen, nach Hause zu kommen". Mehr und mehr solle dann die neu aufgebaute afghanische Armee ANA den Anti-Terror-Krieg ausfechten.

Der für Mitte 2011 geplante Abzug der US-Truppen steht inzwischen wieder in Frage

Die beiden Daten - Dezember 2010, Juli 2011 - hatte Obama nach langem Hader mit dem Pentagon und der Generalität verordnet. Der Publizist Jonathan Allen hat in seinem Buch The Promise über Obamas erstes Amtsjahr den einen Dialog vom November 2009 dokumentiert. "Können Sie das in 18 Monaten schaffen?", fragte der Präsident damals General David Petraeus, ausgerechnet jenen Offizier, der nun McChrystals Nachfolger werden soll: "Sir, ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Zeitrahmen die ANA ausbilden und an sie übergeben können." Und falls das nicht klappe, so insistierte Obama, "dann wird niemand vorschlagen, dass wir länger bleiben, richtig?" Antwort Petraeus: "Yes Sir!"

Jetzt, im Juni 2010 im Senatsausschuss, hört sich Petraeus freilich anders an. Über die für Dezember geplante Anamnese des Einsatzes sagte Petraeus, er wolle "die Bedeutung dieser Überprüfung nicht übertreiben". Und zum für Juli 2011 ins Auge gefassten Abzugsbeginn äußerte sich der General nur sehr vage: Dies sei allenfalls "der Beginn eines Prozesses". Zudem werde alles "von den Bedingungen im Feld abhängen". Militärexperten deuten das Juli-Datum längst mit Augenzwinkern: Wahrscheinlich werde das Verteidigungsministerium ein paar US-Platoons aus dem Norden oder Westen Afghanistans abziehen, aber der Kampf an der afghanisch-pakistanischen Grenze sowie im Süden des Landes werde unvermindert weitergehen.

Das nährte bei demokratischen Senatoren den Verdacht, die Generalität spiele auf Zeit. Carl Levin, Vorsitzender des Streitkräfteausschusses, zwang Petraeus mit penetrantem Nachfragen, sich erneut zu Obamas Zeitzielen zu bekennen. Jedermann, so fügte Levin hinzu, müsse "die Dringlichkeit begreifen, mit der die Afghanen selbst die Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land übernehmen müssen." Der Einwand von Verteidigungsminister Gates, bisher seien erst 20.000 der versprochenen 30.000 zusätzlichen US-Soldaten am Hindukusch eingetroffen, ging in der Debatte unter.

Erfolg oder Scheitern der US-Strategie wird sich im Süden entscheiden. Im Frühjahr hatten US-Soldaten die Taliban-Hochburg Mardschah erobert, doch der Aufbau stockt. Diese Rückschläge sind der Grund, warum die US-Truppen ihren Vormarsch auf die Provinzhauptstadt Kandahar auf September verschoben haben. "Mit Kandahar steht und fällt Afghanistan", orakelte kürzlich Generalstabschef Mullen. Das gilt weiter - auch, nachdem sich ein US-Kommandeur nun selbst erledigt hat.

© SZ vom 24.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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