Moderne Staaten haben sich der Könige entledigt, aber nicht der Souveränität, so sagt der deutsche Europarechtler und Rechtsphilosoph Ulrich Haltern. Aber was bedeuten Souveränität und Selbstbestimmung heute? Ist Souveränität nur noch ein Habitus, eine Art von staatsmännischer Gelassenheit? Ist es also souverän, wenn es die Bundesregierung hinnimmt, dass die USA von deutschem Boden aus Krieg führen? Ist es souverän, wenn die Bundesanwaltschaft dabei zuschaut? Ist es souverän, dass die deutschen Staatsgewalten das geheimkriegerische Schalten und Walten der Amerikaner tolerieren, akzeptieren, respektieren?
Ist Souveränität die Gabe der deutschen Autoritäten, das alles zu ertragen, was derzeit in der Süddeutschen Zeitung und dem NDR (' Der geheime Krieg') an Merk- und Denkwürdigkeiten beschrieben wird - weil es nur um den Preis größter Aufregung und eines Zerwürfnisses mit der Weltmacht und dem Nato-Partner USA zu ändern wäre? Wenn dies Souveränität ist, würde das bedeuten: Souverän ist, wer vergisst, was nur schwer zu ändern ist. Das wäre dann eine sehr souveräne Insouveränität.
Wer ist der Souverän? In der Demokratie ist der Souverän nicht ein König, sondern das Volk. So steht als Kernsatz auch im Grundgesetz : "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", heißt es dort in Artikel 20. Das Volk ist in der Demokratie das Subjekt, in dem Recht und Macht zusammenfallen. Aber jedenfalls das deutsche Volk und die deutsche Volksvertretung wissen nichts oder fast nichts davon, dass von Deutschland aus US-Drohnen gesteuert werden, dass hier eine US-Logistik zur Folterung und Exekution von Menschen sitzt; schon gar nicht haben sie das gebilligt. Ist es mit der Souveränität womöglich so wie mit der Wirtschaft, hat sie sich globalisiert? Wenn es so wäre, dann könnte das ja nicht nur eine einseitige Angelegenheit sein - dann müsste es nicht nur US-Staatsgewalt in Deutschland geben, sondern deutsche Staatsgewalt auch in den USA, so wie es dort (oder in China oder in Russland) deutsche Autos gibt. Souveränität hat sich nicht globalisiert. Sie sieht allerdings ganz anders aus als früher.
Es hat einen Entstaatlichungsprozess gegeben - das bekannteste Kürzel dafür heißt Europäische Union. Die Nationalstaaten sind von dem dichten Geflecht einer EU-Rechts- und Quasi-Verfassungsordnung umgeben, dazu auch noch von vielen internationalen Vertragswerken eingehüllt. Die Staatsrechtler und die Politikwissenschaftler reden daher von 'offenen Staaten' und von einer 'Welt jenseits des Staates'; sie konstatieren eine Postnationalisierung des Verfassungsrechts, sie reden von einem europarechtlich überlagerten Grundgesetz und einer relativierten Staatlichkeit. Mit dieser relativierten Staatlichkeit ringt auch das Bundesverfassungsgericht in jeder seiner Euro-Entscheidungen: Wieviel Hoheit braucht der Staat, um noch als Staat zu existieren?
Der Nationalstaat ist nicht tot, aber entzaubert. Das ist, angesichts der blutigen Geschichte dieser Nationalstaaten, gewiß nicht schlecht. Die Exzesse eines fast mystisch aufgeladenen Staatlichkeit hatten sich im alten, klassischen Konzept von Souveränität niedergeschlagen. Heute sind Deutschland und Co weit entfernt von der absoluten Befehls- und Selbstbestimmungmacht, von der "summa soluta potestas" - die einst, im 16. Jahrhundert, der Staatstheoretikter Jean Bodin als den Inhalt von Souveränität beschrieben hat. Die modernen Staaten, die in Europa zumal, haben Teile ihrer Herrschaftsgewalt delegiert und dafür die Möglichkeit erhalten, internationale Politik und internationales Recht zu gestalten.
Mit diesem neuen Konzept ist aber das rigorose Schalten und Walten der USA in Deutschland kaum zu erklären. Dieses Schalten und Walten legitimiert sich allenfalls zum Teil durch Verträge, also durch das souveräne Verhandeln zweier Staaten. Die Legitimation der US-Militär- und Geheimdienstlogistik in Deutschland besteht offenbar auch in ihrer schieren Existenz. Muss man das - mit Carl Schmitt, dem umstrittensten Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts - einfach als Faktum respektieren? Carl Schmitt hat in seiner Verfassungslehre geschrieben: "Was als politische Größe existiert, ist, juristisch betrachtet, wert, dass es existiert."
Es existieren offensichtlich zwei Staatsgewalten in Deutschland: erstens die deutsche, und zwar in der Gestalt, die ihr die EU- und andere Verträge gegeben haben; daneben zweitens die US-amerikanische, in nicht genau bekannter Form. Mit zwei nebeneinander existierenden Macht- und Herrschaftssystemen gibt es freilich in Deutschland reiche Erfahrungen: Jahrhunderte lange waren das zuerst Kaiser und Papst, dann Staat und Kirche.