Urteil zur Sicherungsverwahrung:Schabernack mit einem Grundrecht

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Die Sicherungsverwahrung ist die schärfste Sanktion, die das deutsche Strafrecht kennt. Umso mehr muss es dabei mit rechtsstaatlichen Dingen zugehen.

Heribert Prantl

In der Werbung, in der Wirtschaft und in der Politik ist Schönrednerei üblich. Da heißt die Katastrophe "Chance", der finanzielle Verlust heißt "Wertsteigerungspause" und der Krieg "friedenssichernde Maßnahme". Die Kernsätze des Strafrechts vertragen solchen Euphemismus nicht. Es wäre fatal, würde man Fundamentalnormen mit Wortakrobatik verbiegen. Es wäre pervers, würde man etwa die staatliche Hinrichtung einführen zur Vorbeugung von Verbrechen und dies mit dem akrobatischen Argument begründen: Die Todesstrafe sei nur als "Strafe", also als Reaktion auf begangene Verbrechen abgeschafft, nicht aber zur Verhütung künftiger Verbrechen.

Strafe, Maßregel, Maßnahme? Für den den Häftling ist es egal, mit welchen Etiketten der Gesetzgeber hantiert: Er bleibt eingesperrt. Nur heißt es dann nicht mehr "Strafhaft", sondern "Sicherungsverwahrung". (Foto: Foto: dpa)

Eine solche Verhöhnung des Artikels 102 Grundgesetz ist unvorstellbar. Jeder weiß, dass man die Todesstrafe nicht dadurch wieder einführen kann, dass man ihr einen anderen Namen gibt. Man kann auch nicht die Folter dadurch erlauben, dass man sie "robuste Befragung" nennt.

Und man kann eine illegale Strafverschärfung nicht dadurch legalisieren, dass man die Strafe einfach als "Maßregel" bezeichnet. Genau das hat aber der deutsche Gesetzgeber getan; und seltsamerweise wurde dies auch vom Bundesverfassungsgericht genehmigt.

Sicherungsverwahrung unbefristet verlängert

Vom Gesetzgeber war eine Strafe, die der Verurteilte eigentlich schon abgesessen hatte, vor der Entlassung drastisch erhöht worden. Der Mann hätte eigentlich 2001 entlassen werden müssen; er sitzt aber noch immer - weil der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung, die zum Zeitpunkt des Urteils auf zehn Jahre beschränkt war, 1998 auf unbefristete Zeit verlängert, also zu einem "lebenslänglich" ausgedehnt hat: Die Zeitgrenze für die Sicherungsverwahrung wurde rückwirkend aufgehoben.

Im Grundgesetz steht aber, gleich hinter dem Verbot der Todesstrafe, das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen. Dieses Verbot wurde mit der Begründung umgangen, es handele sich bei der Sicherungsverwahrung ja nicht um eine Strafe, sondern um eine "rein präventive Maßnahme". Das Verfassungsgericht hat das am 4. Februar 2004 gebilligt.

Es sprach beschwichtigend von "unechter Rückwirkung", da man ja nur diejenigen Leute länger hinter Gittern hocken lasse, die dort noch sitzen, und man nicht etwa auch die wieder in den Knast zurückhole, die schon entlassen sind.

Strafe, Maßregel, Maßnahme? Für den Häftling ist es egal, mit welchen Etiketten der Gesetzgeber hantiert: Er bleibt eingesperrt, er bleibt im Gefängnis, meist sogar in der gleichen Zelle - nur das Schild wird umgedreht: Es steht dann nicht mehr "Strafhaft" drauf, sondern "Sicherungsverwahrung". Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen fatalen Schabernack jetzt als das entlarvt, was es ist: Etikettenschwindel, juristisch formuliert: Ein Verstoß gegen den Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Angeprangert wird ein Verstoß gegen einen der Elementarsätze, die ja im Strafrecht gern lateinisch formuliert werden: "Nulla poena sine lege" - keine Strafe ohne ein Gesetz zum Zeitpunkt der Tat. Dieser Satz gilt für die Strafbarkeit einer Tat und für die Erhöhung des Strafmaßes. Es ist beschämend, dass der Menschenrechtsgerichtshof dem deutschen Gesetzgeber (und leider auch dem Verfassungsgericht) Nachhilfe im rechtsstaatlichen Einmaleins geben musste.

Sicherungsverwahrung: Der Häftling bleibt wegen seiner Gefährlichkeit in Haft, auch wenn er die Strafe für die begangene Tat abgesessen hat. Es handelt sich um die schärfste Sanktion, die das deutsche Strafrecht kennt. Umso mehr muss dabei alles mit rechtsstaatlichen Dingen zugehen. Die Sicherungsverwahrung ist im vergangenen Jahrzehnt zu einem unübersichtlichen System ausgebaut, erweitert und verschärft worden. Fundament dieses Systems ist das Gesetz, das vom Menschenrechts-Gerichtshof angeprangert worden ist. Das bedeutet: Die Sicherungsverwahrung muss rechtsstaatlich neu geordnet werden.

© SZ vom 18.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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