Ungarns Präsident vor Jüdischem Weltkongress:Wie Orbán das Antisemitismus-Problem kleinredet

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Ungarns Premier Orbán bei seiner Rede: Kritik vom World Jewish Congress (Foto: AFP)

Auf der Tagung des Jüdischen Weltkongresses in Budapest versichert Regierungschef Orban, gegen den zunehmenden Antisemitismus in seinem Land vorzugehen. Konkret wird er jedoch nicht - und die Hetze der rechtsextremen Jobbik-Partei erwähnt er mit keinem Wort.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Antisemitismus in Ungarn sich längst schon offen auf der Straße zeigen kann: die rechtsextreme Parlamentspartei Jobbik (wörtlich übersetzt: Die Besseren) lieferte ihn. Kurz vor Beginn der Tagung des Jüdischen Weltkongresses (WJC) in Budapest rief sie am Samstag zum "antibolschewistischen und antizionistischen" Protest auf.

Ein paar Hundert Anhänger der Partei lauschten ihren Polit-Idolen, die öffentlich gegen "jüdische Kolonisatoren" wetterten und die Juden für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich machten. Das WJC-Plenum, das alle vier Jahre stattfindet, tagt meist in Jerusalem und selten anderswo. Im ehemals kommunistischen Mittel- und Osteuropa tat es das noch nie. Doch für das Gastgeberland Ungarn ist das keine Auszeichnung, sondern eine Mahnung.

Seit dem Amtsantritt des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán im Jahr 2010 hat sich das Klima für Minderheiten nach Ansicht von Beobachtern verschlechtert. "Herr Ministerpräsident", so wandte sich WJC-Präsident Ronald S. Lauder beim Eröffnungsdiner des Plenums am Sonntagabend an den anwesenden Regierungschef, "die ungarischen Juden brauchen Sie, um den Kampf gegen diese dunklen Kräfte aufzunehmen. Sie brauchen Ihre Führung in diesem Kampf."

Höflicher Applaus

Orbán sparte nicht mit Verurteilungen des Antisemitismus schlechthin - richtig konkret wurde er aber in seiner Antwort auf Lauder nicht. Vielmehr versuchte er die Schwere des Problems in Ungarn zu relativieren, indem er auf das restliche Europa verwies. Müsse sich nicht ganz Europa fragen, wie es zu jener wirtschaftlichen Krise kommen konnte, auf deren Grundlage nun an vielen Orten Frustration, Wut und Hass gedeihen würden, fragte er in die Runde. Außerdem: "Die vor zwei Jahren von uns geschaffene neue Verfassung gibt den mit uns lebenden Ungarn und anderen Minderheiten wahrhaften Schutz, Sicherheit, menschliche und gemeinschaftliche Würde", so Orbán.

Das neue Grundgesetz ist jedoch in Ungarn umstritten. Orbán hatte es mit der Zweidrittelmehrheit seiner Regierungspartei Fidesz durch das Parlament gebracht. Die Zunahme antisemitischer Vorfälle in Ungarn vermochte es nicht zu verhindern.

Von den mehr als 600 Delegierten des WJC-Plenums wurde Orbáns Rede mit zurückhaltend-höflichem Applaus aufgenommen. Ein Sprecher der Organisation zeigte sich enttäuscht. "Der Ministerpräsident hat die wahre Natur des Problems nicht angesprochen", hieß es in seiner Stellungnahme. Darin wird auch bedauert, dass Orbán auf die jüngsten antisemitischen Vorfälle, darunter die Jobbik-Demonstration am Samstag, mit keinem Wort einging.

Dort waren ein weiteres Mal die hetzerischen Sprüche zu hören, wie man sie von der inzwischen zur drittgrößten Parlamentspartei aufgestiegenen Formation seit Jahren kennt. Der "Genozid", den Israel an den Palästinensern begehe, sei "schlimmer als das, was sich die Nationalsozialisten in ihren kühnsten Träumen ausmalten", behauptete der Jobbik-Abgeordnete Marton Gyöngyösi. Sogar die 2009 verbotene Ungarische Garde, der paramilitärische Arm der Jobbik, zeigte sich bei der Demonstration ganz offen. Ein etwa 20 Mann starker Trupp stand Spalier, als die Jobbik-Führer ihre Parolen riefen.

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