UN:Report: Der «American Dream» ist zum Albtraum geworden

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Ixtepec (dpa) - Zehntausende Menschen aus Mittelamerika zieht es jedes Jahr gen Norden. Der Weg in die USA ist allerdings gefährlich. Kriminelle Banden kontrollieren die Flüchtlingsrouten. In Herbergen entlang der Route suchen die Migranten vorübergehend Schutz.

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Ixtepec (dpa) - Zehntausende Menschen aus Mittelamerika zieht es jedes Jahr gen Norden. Der Weg in die USA ist allerdings gefährlich. Kriminelle Banden kontrollieren die Flüchtlingsrouten. In Herbergen entlang der Route suchen die Migranten vorübergehend Schutz.

Francisco ist erschöpft. Seine Arme sind zerkratzt, die Kleider feucht und Geld hat er auch keines mehr. Seit vier Tagen ist er unterwegs: Mit dem Bus ist er von San Salvador nach Guatemala gefahren, hat sich mit zwei Freunden durchs Unterholz bis an die mexikanische Grenze geschlagen und ist durch einen Fluss ins Nachbarland geschwommen.

Wie Tausende andere Mittelamerikaner will der 24-Jährige in die Vereinigten Staaten. Der Weg ins vermeintlich gelobte Land ist lang und gefährlich. „An der Grenze haben uns die Leute von der Einwanderungsbehörde gejagt und in Chiapas hat mir ein Bundespolizist meine letzten 500 Pesos (gut 28 Euro) abgenommen. Jetzt habe ich nichts mehr“, erzählt Francisco.

Mit seinen Freunden Emerson und Ernesto ist er für einige Tage in der Herberge Hermanos en el Camino (Brüder auf dem Weg) in Ixtepec im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca untergekommen. Hier bekommen die Migranten zu essen, können ihre Kleider waschen und Kräfte für die weitere Reise durch Mexiko sammeln. Ähnliche Unterkünfte gibt es entlang der verschiedenen Routen durch Mexiko.

Die Herberge in Ixtepec hat Pater Alejandro Solalinde 2007 gegründet, pro Monat suchen dort rund 1200 Menschen für einige Tage Unterschlupf. „Früher sind die meisten in die USA gegangen, um der Armut in ihren Heimatländern zu entkommen. Mittlerweile fliehen viele vor der Gewalt“, sagt Mitarbeiterin Jessica Cardenas.

In den Ländern südlich von Mexiko wüten brutale Jugendbanden. Mit 90,4 Morden pro 100 000 Einwohnern ist Honduras nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) das gefährlichste Land der Welt. Auch El Salvador leidet unter dem Terror der sogenannten Maras. In Guatemala sorgen kriminelle Familienclans und das mexikanische Drogenkartell „Los Zetas“ für Angst und Schrecken.

Auf ihrer Reise in ein besseres Leben gehen die Auswanderer erneut durch die Hölle. Viele fahren auf einem Güterzug Richtung Norden, die Migranten nennen ihn „La Bestia“. Immer wieder kommen Menschen beim Auf- und Absteigen unter die Räder. Vor wenigen Wochen wurde einem Kind nahe Ixtepec ein Fuß abgetrennt.

Zudem kontrollieren Banden und Drogenkartelle die Bahnstrecke. Überfälle, Entführungen, Vergewaltigungen und Morde sind entlang der Gleise an der Tagesordnung. „Der American Dream ist zum Albtraum geworden“, sagt Francisco. 2011 entdeckten Ermittler in San Fernando im Bundesstaat Tamaulipas in mehreren Massengräbern fast 200 Leichen, in Durango rund 250. Für die Massaker sollen die Zetas verantwortlich gewesen sein.

Beinahe wöchentlich befreien die Sicherheitskräfte entführte Migranten aus der Gewalt der Kartelle. Mal sind es 20, mal 30 oder 40 Menschen, die oft monatelang festgehalten wurden. Wie viele Einwanderer tatsächlich in die Fänge der Gangs geraten, weiß niemand. Häufig trauen sich die Opfer nicht, die Taten anzuzeigen. Sie sind illegal in Mexiko und fürchten ihre Abschiebung. Zudem gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass die Polizei mit den Kriminellen zusammenarbeitet.

Eigentlich wollte Francisco per Bus durch Mexiko reisen. Das ist komfortabler und sicherer. Weil er aber völlig pleite ist, muss nun auch er den Ritt auf „La Bestia“ wagen. In Los Angeles will er Arbeit auf dem Bau suchen und seine Familie unterstützen.

Längst sind es nicht mehr nur die Ärmsten, die in den USA ihr Glück versuchen wollen. „Ich bin zur Universität gegangen“, erzählt Francisco. Dann sei seine Nichte schwer krank geworden. „Um die Behandlung zu bezahlen, habe ich dann als Assistent für einen Anwalt gearbeitet.“ Allerdings verdiente er dort gerade einmal acht US-Dollar am Tag. „Einen guten Job bekommst du in El Salvador nur mit Beziehungen“, sagt er.

Auch Emerson will in die Vereinigten Staaten, für ihn ist es bereits der zweite Versuch. Vor eineinhalb Jahren fuhr er mit „La Bestia“ von Chiapas nach Veracruz und weiter nach Tamaulipas. Kurz vor der US-Grenze endete seine Reise. „Bewaffnete Männer haben mich entführt. Ungefähr einen Monat hielten sie mich in einem Haus fest, bis meine Familie 1000 Dollar Lösegeld bezahlt hatte“, erzählt er. Dennoch will Emerson es noch einmal wagen. „In El Salvador gibt es nichts für mich - nur Arbeitslosigkeit und Gewalt.“

Die Auswanderungswelle zerreißt nicht nur Familien, sondern ganze Länder. Jeder einzelne Migrant ist ein weiterer Beweis für das Scheitern der Regierungen in der Region. „Die Leute suchen woanders, was ihre eigenen Gesellschaften ihnen nicht bieten können: ein gutes Bildungssystem, ein gutes Gesundheitssystem und Arbeitsplätze“, sagt der frühere honduranische Menschenrechtsbeauftragte Ramón Custodio.

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