Umstrittene Sanktionen:Der Preis des (Schein)-Friedens

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Gedenken an die Toten des Maidan. (Foto: Getty Images)

Heizt die Europäische Union mit den Sanktionen den Ukraine-Konflikt neu an? Nein: Die EU hat keine andere Wahl, als Putin zu misstrauen. Und sie darf der Ukraine die Annäherung an den Westen nicht verwehren.

Von Daniel Brössler

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat der Europäischen Union vorgeworfen, mit den neuen Sanktionen den Friedensprozess im Osten der Ukraine zu untergraben. Vielen in Europa scheint Lawrow mit diesem Vorwurf aus dem Herzen zu sprechen. Auch unter den Regierungen in der EU gibt es etliche, denen nicht wohl war beim Beschluss neuer Sanktionen. Die Entscheidung, ungeachtet der brüchigen Waffenruhe die russische Wirtschaft mit neuen Sanktionen zu treffen, trägt der EU nun den Vorwurf ein, den Konflikt anzuheizen. Das ist nicht nur ungerecht. Es zeigt auch, wie groß die Verwirrung bereits ist, die Russlands Präsident Wladimir Putin seit Monaten so lustvoll stiftet.

Es wäre nicht verkehrt, sich ein bisschen weniger über die EU zu wundern als über Russland. Was genau will Lawrow sagen? Beabsichtigt Russland wegen der Sanktionen, den Krieg im Donbass wieder zu befeuern? Sollen die Menschen im Osten der Ukraine büßen für Entscheidungen in Brüssel? Und wie passt das zur Behauptung, Russland sei am Konflikt gar nicht mit eigenen Waffen und Männern beteiligt? Die Pose des Friedensmahners steht weder Lawrow noch seinem Präsidenten. Zu trauen ist beiden nicht.

Die Europäer haben keine andere Wahl, als Putin zu misstrauen

Wer sich an einer solchen Feststellung stört, ignoriert, was in den vergangenen Monaten in Europa vorgefallen ist. Präsident Putin hat alle Verträge verletzt, auf denen die europäische Friedensordnung ruht. Er hat mit militärischen Mitteln fremdes Territorium unter russische Kontrolle gebracht und annektiert, hat seine westlichen Gesprächspartner über seine Absichten auf der Krim belogen und hat einen Krieg im Osten der Ukraine angezettelt. Putin hat Dinge getan, die sich kaum jemand vor einem Jahr hätte vorstellen können. Die Europäer haben gar keine andere Wahl, als ihm zu misstrauen.

Sie haben es also mit einem Mann zu tun, dem sie misstrauen, dessen Absichten sie nicht wirklich kennen, der militärische Gewalt anwendet und Regeln nach Belieben missachtet. Das alles bedeutet nicht das Ende der Politik. Es macht sie nur unendlich schwerer. Die EU kann nicht einfach darauf vertrauen, dass Putin sich an die Vereinbarungen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko hält. Und selbst wenn er es täte, weiß keiner, was in ein paar Wochen oder ein paar Monaten die nächsten Züge des Kreml-Chefs sein werden. Willkommen in Europa 2014.

Für eine Reaktion bieten sich zwei Möglichkeiten: Druck oder Entgegenkommen. Die Europäer haben sich für beides entschieden. Sie haben die neuen Wirtschaftssanktionen in Kraft gesetzt und ihre Rücknahme in Aussicht gestellt, sollte die Waffenruhe halten. Andererseits stellen sie das von Russland bekämpfte Freihandelsabkommen der EU bis Ende 2015 zurück. Zu befürchten ist, dass von dem Abkommen nicht viel mehr übrig bleibt als sein Geist. Kurzfristig könnte das die richtige Mischung sein und relative Ruhe für die nächsten Wochen sichern.

Das wäre schon viel. Längerfristig aber sind die Aussichten düster. Die Ukraine befindet sich militärisch wie wirtschaftlich in einer verzweifelten Lage. Die Bevölkerung verbindet größte Hoffnungen mit dem Assoziierungsabkommen, dessen wirtschaftliches Kernstück der Freihandelsteil ist. Für seine Ratifizierung nächste Woche haben die Ukrainer größte Opfer erbracht. Das Abkommen sollte die Ukraine eng mit der EU verflechten.

Wenn es nun erst einmal Theorie bleibt, wird diese Verflechtung sehr viel länger dauern. Womöglich ist das kein zu hoher Preis für Frieden. Sollte die Ukraine aber keine Ruhe finden und keine echte Annäherung an die EU, werden die Menschen fragen, wofür so viele gestorben sind. Das wäre auch die Frage an Europa.

© SZ vom 13.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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