Siebzig Prozent fliehen aus Lebensgefahr
Als Behälter dienen alte Wassertanks oder Heizkessel. Sie werden gefüllt mit Düngemittel, Heizöl, Schrauben, Nägeln oder anderem kleingehäckseltem Metall-Abfall. Dann noch ein Zünder - fertig ist die Fassbombe. Sie ist billig, schnell zusammengebaut, und die Bestandteile sind leicht zu bekommen. Ihre Wirkung: tödlich.
Das syrische Assad-Regime setzt solche Bomben hundertfach ein, wie an diesem Mittwoch ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte. Assad lässt sie bis weit hinter die Frontlinien im Norden des Land abwerfen. Opfer sind so gut wie immer Zivilisten. Die Sprengsätze detonieren auf Marktplätzen, in Einkaufsvierteln, da, wo viele Menschen sind. Sie zerfetzen jeden, in dessen unmittelbarer Nähe sie explodieren.
Diese Fassbomben sind einer der Hauptgründe für Flüchtlinge aus Syrien, ihr Land zu verlassen. Nach einer Umfrage unter Flüchtlingen, die Deutschland erreicht haben, sagen knapp 70 Prozent, das unmittelbare Lebensgefahr sie zur Flucht gezwungen habe. Die Ergebnisse der Umfrage wurden an diesem Mittwoch vor der Bundespressekonferenz vorgestellt.
Wirtschaftliche Gründe spielen fast keine Rolle
Zu den unmittelbaren Gefahren zählen 92 Prozent den bewaffneten Konflikt in Syrien, 86 Prozent die Angst vor Verhaftung und Entführung und 73 Prozent sehr konkret die Gefahr, von Assads Fassbomben getötet zu werden. Noch im Februar hatte Assad den Einsatz von Fassbomben in einem Interview mit der BBC bestritten.
Andere Gründe spielen kaum eine Rolle für die Flucht. Ökonomische Gründe geben lediglich 13 Prozent an. Acht Prozent sagen, sie hätten sich mit der Flucht einer drohenden Rekrutierung entzogen. Sechs Prozent fliehen nach Deutschland, weil Teile ihrer Familien schon da sind.

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Die Studie ist die erste umfassende und wissenschaftlich begleitete Umfrage unter Flüchtlingen. Dafür haben Mitarbeiter der deutschen Organisation "Adopt a Revolution" knapp 900 Flüchtlinge vor zwölf Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland befragt. Begleitet wurde die Studie vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) in Berlin. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, aber "so eindeutig, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass an der Realität der syrischen Flüchtlinge vorbeigemessen wurde", sagt Heiko Giebler vom WZB.
Angst vor Assad, nicht vor dem IS
Als verantwortlich für die Gewalt in Syrien machen die befragten Flüchtlinge zu knapp 70 Prozent das syrische Assad-Regime aus. Der Islamische Staat (IS) wird nur von etwa 30 Prozent genannt. Die Rebellen-Organisationen in Syrien werden von jeweils höchstens 18 Prozent der Befragten als mitverantwortlich genannt. Elias Perabo von Adopt a Revolution bewertet diese Einschätzung der Flüchtlinge so: "Wenn der IS der Vorhof zur Hölle ist, dann ist das Assad-Regime das Zentrum der Hölle."
Entgegen mancher Darstellung haben sich die meisten Flüchtlinge nicht erst nach einem langen Aufenthalt in den großen Flüchtlingslagern im Libanon oder Jordanien auf den Weg nach Deutschland gemacht. Laut der Umfrage haben 65 Prozent der Befragten erst in diesem Jahr ihre syrische Heimat verlassen.
Nur acht Prozent der Befragten Flüchtlinge wollen dauerhaft in Deutschland bleiben. Alle anderen geben klare Bedingungen an, die vor einer Rückkehr in ihre Heimat erfüllt sein müssen: Ein Ende des Krieges natürlich - knapp über 50 Prozent wollen erst dann zurückkehren, wenn Assad nicht mehr an der Macht ist. Ein Syrien ohne IS ist für 44 Prozent ein Rückkehrgrund, freie Wahlen für gut 42 Prozent. 70 Prozent der Befragten haben angegeben, Abitur oder einen höheren Bildungsabschluss zu besitzen.

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Für den syrischen Aktivisten Haid Haid wäre ein Anfang gemacht, wenn mit einer Flugverbotszone über den umkämpften Gebieten zumindest die Gefahr durch Fassbomben eingedämmt werden könnte. Das würde weiteres Leid unter den Zivilisten verhindern.
Adopt a Revolution unterstützt in Syrien Projekte zum Aufbau einer Zivilgesellschaft, aber keine bewaffneten Gruppierungen. Die Studie wurde aus den Kleinspenden an Adopt a Revolution finanziert.