Ukraine-Krieg:Heftige Gefechte, erste Gespräche

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Die russische (links) und die ukrainische Delegation bei den Verhandlungen an einem geheimen Ort am ukrainisch-belarussischen Grenzfluss Prypjat. (Foto: via REUTERS)

Regierungen der Ukraine und Russlands schicken hochrangige Delegationen zu Verhandlungen. Putin reagiert mit Drohgebärden auf die Wirtschaftssanktionen von EU und USA.

Von Jan Bielicki, München

Fünf Tage nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich erstmals Vertreter beider Seiten zu Verhandlungen getroffen. Während die Kämpfe in der Ukraine unvermindert weitergingen, saßen sich am Montag in Belarus hochrangige Delegationen beider Länder gegenüber, ohne jedoch zu einem Durchbruch zu kommen. "Wir reisen zu Beratungen in die Hauptstädte zurück", sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak nach dem sechsstündigen Treffen in einem aus Sicherheitsgründen geheim gehaltenen Verhandlungsort am ukrainisch-belarussischen Grenzfluss Prypjat. Inhaltlich sagte er nur, beide Seiten hätten eine Reihe von Hauptthemen festgelegt, bei denen "bestimmte Entscheidungen" getroffen werden müssten. Es seien schwierige Gespräche gewesen. Die ukrainischen Verhandler, zu denen neben anderen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow gehörte, flogen Berichten zufolge am Abend wieder zurück nach Kiew.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte sich vor den Verhandlungen wenig hoffnungsvoll gezeigt. Einen Versuch aber seien sie allemal wert, hatte er bereits am Sonntagabend gesagt. Unmittelbar vor dem Treffen bekräftigte die ukrainische Seite ihre Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und dem Abzug aller russischen Truppen aus dem Land. Das gelte auch für die seit 2014 von Russland besetzte Halbinsel Krim und die seitdem abgespaltenen Gebiete in der Ostukraine. Die russische Seite erklärte, "definitiv" daran interessiert zu sein, "so schnell wie möglich zu einer Einigung zu kommen". Diese müsse aber "im Interesse beider Seiten sein", sagte der russische Unterhändler Wladimir Medinski dem russischen Fernsehen vor Beginn der Gespräche.

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Trafen sich an einem geheimen Ort in der Region Gomel: Delegationen aus Russland und der Ukraine. (Foto: Alexandr Kryazhev/SNA/imago images)

Trotz der laufenden Verhandlungen dauerten die russischen Angriffe im Land an. Kämpfe wurden unter anderem aus Kiew, der Millionenstadt Charkiw und von der Küste des Asowschen Meeres gemeldet. In Charkiw hat es ukrainischen Angaben zufolge Dutzende Tote und Hunderte Verletzte gegeben. Während die zweitgrößte Stadt des Landes sich noch unter ukrainischer Kontrolle befindet, sollen russische Truppen Medienberichten zufolge die Hafenstadt Berdjansk im Südosten der Ukraine besetzt haben. Unabhängig überprüfen lassen sich solche Berichte nicht.

Bei den Kämpfen sind bisher mindestens 102 Zivilpersonen getötet und 304 verletzt worden. Das gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Montag bekannt. Sie sagte aber auch, dass die tatsächlichen Zahlen "erheblich höher" sein dürften. Dazu sind inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen in benachbarte Länder geflohen, wie der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am Montag auf Twitter mitteilte. Damit ist die Zahl der Flüchtlinge seit Sonntagabend um etwa 80 000 gestiegen. Außerdem sei im Zuge der russischen Invasion eine sechsstellige Zahl an Menschen innerhalb der Ukraine vertrieben worden, sagte ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Eine genaue Schätzung der Zahl der Binnenflüchtlinge sei derzeit nicht möglich.

Russland reagierte unterdessen mit Drohgebärden und Gegenmaßnahmen auf die von der EU und den USA verhängten Wirtschaftssanktionen. Wie von Präsident Wladimir Putin am Sonntag bereits angekündigt, hat das russische Verteidigungsministerium die Abschreckungswaffen der Atommacht in verstärkte Alarmbereitschaft versetzt. In einer Mitteilung an den Präsidenten nannte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Montag konkret die strategischen Raketentruppen, aber auch die Nord- und die Pazifik-Flotte, der mit Atomwaffen bestückte U-Boote angehören, und die Fernbomber der Flugstreitkräfte.

Außerdem verbot Russland den Fluggesellschaften aus insgesamt 36 Staaten das Überfliegen des Landes. Ein solches Überflugverbot hatten die EU und andere westliche Staaten als Teil ihrer Sanktionspakete gegen russische Flugzeuge verhängt. Russlands Zentralbank verdoppelte unterdessen ihren Leitzins auf 20 Prozent und versuchte so, dem Absturz der russischen Währung auf den Devisenmärkten zu begegnen. Der Rubel stürzte auf ein Rekordtief, Moskaus Börse blieb weitgehend geschlossen.

Die Bundesregierung kritisierte die Versetzung der russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft scharf. "Wir nehmen natürlich die Äußerungen des russischen Präsidenten sehr, sehr ernst", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag. "Es ist auch klar, wie unverantwortlich allein eine solche Drohung ist." Angesprochen auf eine mögliche Reaktion Deutschlands und der Nato sagte Hebestreit, im "Bedrohungsszenario" der Verbündeten hätten "Nuklearwaffen immer eine Rolle gespielt". Ihre Abwehr sei "auch immer mitgedacht" worden.

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