Russland:Angriff 800 Kilometer hinter der Front

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Über diesem Gelände eines Ölterminals in Sankt Petersburg, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2017, wurde die Drohne abgefangen. (Foto: Imago)

Ein kleiner Vorfall mit großen Konsequenzen: Eine ukrainische Drohne hat es bis nach Sankt Petersburg geschafft - so weit wie noch keine zuvor.

Von Nicolas Freund

"Von nun an liegen die militärischen Einrichtungen von Sankt Petersburg und der Region Leningrad in Reichweite der ukrainischen Streitkräfte." Mit diesem Satz zitieren ukrainische Medien einen Mitarbeiter des Geheimdienstes, nachdem in der Nacht auf Donnerstag eine ukrainische Drohne über einem Ölterminal in der Nähe der russischen Großstadt Sankt Petersburg abgefangen worden war. Ein von Russland eingesetzter Beamter im Süden der Ukraine und das russische Verteidigungsministerium bestätigten den Vorfall. Dort hieß es aber nur in einem Nebensatz, ein "unbemanntes Fluggerät" sei über der Region Leningrad abgefangen worden. Bisher unbestätigten Berichten zufolge soll die Drohne trotz des Abschusses auf dem Gelände des Terminals abgestürzt sein und dort ein Feuer entfacht haben. Über die genauen Schäden ist nichts bekannt.

Der von beiden Seiten bestätigte Vorfall ist dennoch sehr bemerkenswert. Denn Sankt Petersburg, die Geburtsstadt Wladimir Putins, galt bislang als unerreichbar für die Waffensysteme, die der ukrainischen Armee zur Verfügung stehen. Von der Ukraine sind es mehr als 800 Kilometer bis nach Sankt Petersburg. Selbst die britischen Storm-Shadow-Marschflugkörper haben keine solche Reichweite. Bestimmte Drohnentypen können zwar mehrere Tausend Kilometer zurücklegen, ohne zwischenlanden zu müssen. Offiziell verfügt die ukrainische Armee aber nicht über solche Modelle. Es ist deshalb völlig unklar, wie eine ukrainische Drohne so weit und anscheinend bis kurz vor ihrem Ziel unbemerkt in russisches Territorium eindringen konnte. Denkbar ist auch, dass die Drohne innerhalb Russlands gestartet wurde.

Immer wieder Drohnenattacken innerhalb Russlands

Im vergangenen Jahr hat es immer wieder Drohnenangriffe innerhalb Russlands gegeben, meist auf die Hauptstadt Moskau. Dort sind mehrere Hochhäuser von Drohnen getroffen worden und im Mai bei einem bis heute nicht aufgeklärten Vorfall anscheinend sogar das Dach des Kremls. Die Stadt Belgorod und die gleichnamige Region sollen sogar regelmäßig von der Ukraine aus angegriffen werden. Völkerrechtlich sind diese Angriffe grundsätzlich legitim, Kiew hat sich zwar nie ganz offiziell zu ihnen bekannt, aber von offiziellen ukrainischen Stellen kamen immer wieder Hinweise, dass die Angriffe mindestens mit Billigung der ukrainischen Regierung stattfinden.

Für Russland ist diese Drohne nun nicht nur deshalb ein neues Problem, weil sie von der Flugabwehr, wie auch schon bei anderen Angriffen, erst abgefangen wurde, als es schon fast zu spät war. Denn wenn die ukrainische Armee über Drohnen mit einer Reichweite von Hunderten Kilometern verfügt, dann steigt auch die Gefahr von Angriffen auf andere Ziele wie Militärflughäfen innerhalb Russlands oder Flottenstützpunkte am Schwarzen Meer.

Bald soll Kiew "F-16"-Kampfjets erhalten

Erst Anfang der Woche hatte die ukrainische Flugabwehr ein wichtiges russisches Luftraumüberwachungsflugzeug über dem Asowschen Meer abgeschossen und ein anderes Flugzeug schwer beschädigt. Es wird vermutet, dass dabei ein experimentelles Flugabwehrsystem aus sowjetischen und westlichen Komponenten zum Einsatz gekommen sein könnte. Möglicherweise ist die Drohne, die bei Sankt Petersburg abgeschossen wurde, auch ein neues Waffensystem gewesen.

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In jedem Fall scheint sich der Kampf im Luftraum derzeit zugunsten der Ukraine zu verschieben, was nicht nur für sich genommen von großer Bedeutung ist, sondern auch in Hinblick auf die F-16-Kampfjets, die schon bald an die Ukraine geliefert werden sollen und den ukrainischen Streitkräften neue strategische Möglichkeiten eröffnen werden. So schrieb schon vor Weihnachten der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte auf X, 18 F-16 würden für die Lieferung an die Ukraine vorbereitet, weitere sollten folgen.

Auch wenn die ukrainische Gegenoffensive im vergangenen Jahr hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist und es derzeit nicht klar ist, wann die wichtigen Militärhilfen aus den USA wieder aufgenommen werden: Die ukrainische Armee kann derzeit einige zwar nicht entscheidende, aber dennoch wichtige Erfolge vorweisen. Die Initiative liegt nicht so eindeutig bei der russischen Armee, wie es einige Analysten zuletzt eingeschätzt hatten. Schon allein, weil der in den ukrainischen Medien zitierte Satz aus dem ukrainischen Geheimdienst nahelegt, dass dieser Vorfall nur der erste Angriff auf Sankt Petersburg gewesen sein könnte.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass mit Drohnen nun gegebenenfalls auch "Flottenstützpunkte am Roten Meer" erreicht werden könnten. Das ist falsch. Gemeint ist hier das Schwarze Meer.

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