Europa und der Krieg:Geeintes Europa, gespaltene Bürger

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Demonstration gegen die Invasion in der Ukraine Anfang Juni in Rom. In Italien sehen aber mehr Bürger als in jedem anderen europäischen Land die Schuld für den Krieg gar nicht bei Russland. (Foto: Massimo Percossi/imago)

Die Europäer sind im Umgang mit Russland längst nicht so einig wie ihre Regierungen. Das könnte zum Problem für die Ukraine werden.

Von Nicolas Freund, München

Einer der vielen Nebeneffekte des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist eine Europäische Union, die so geeint ist wie kaum jemals zuvor. Die Verurteilung Russlands war geradezu einhellig, und die Reaktionen in der Form von Waffenlieferungen und Sanktionen haben zwar viele Diskussionen ausgelöst, aber im Vergleich zu dem üblichen Gezerre in der EU waren sie überraschend entschlossen. "Die Europäer haben entdeckt, dass sie eine ernstzunehmendere Macht sind, als sie vorher dachten", schreiben Ivan Krastev und Mark Leonard vom European Council of Foreign Affairs deshalb in ihrer Datenanalyse zur Meinung der Europäer über den Krieg in der Ukraine, die am Mittwoch veröffentlicht wird - und die einige bereits vermutete Risse in dieser neuen Einheit Europas sichtbar macht.

Das beginnt schon bei der Frage nach der Verantwortung für den Krieg. Obwohl sich die befragten Bürger aller Länder einig sind, dass die Schuld vor allem bei Russland liegt, zeichnen sich innerhalb dieser Einigkeit doch deutliche Unterschiede ab, ganz besonders im Fall Italiens. Nur gut die Hälfte der Italiener sieht die Schuld bei Russland, mehr als ein Viertel sagt sogar explizit, die Schuld liege bei der Ukraine, den USA oder der EU. Im europäischen Schnitt sehen 73 Prozent die Schuld bei Russland.

Deutlich wird diese Spaltung auch bei der Frage nach den Konsequenzen aus der Invasion. Die Studie identifiziert zwei gegensätzliche Haltungen: Die sogenannte Friedensgruppe, der 35 Prozent der befragten Europäer angehören, möchte ein Ende des Krieges, auch wenn die Ukraine dafür Zugeständnisse machen und zum Beispiel Territorium abtreten muss. Dem gegenüber stehen 22 Prozent der Gerechtigkeitsgruppe, die glauben, dass nur eine deutliche Niederlage Russlands zu Frieden führen kann. Von dem großen, unentschlossenen Rest der Befragten wurden 20 Prozent als sogenannte Wechselwähler identifiziert: Sie unterstützen die Haltung der EU, fürchten sich aber vor einer Eskalation des Konflikts.

Diese Aufteilung in die verschiedenen Lager unterscheidet sich von Land zu Land deutlich. In Polen wurden 41 Prozent der Befragten der Gerechtigkeitsgruppe zugeordnet und nur 16 Prozent der Friedensgruppe. In Italien gehören dieser dafür 52 Prozent an und nur 16 der Gerechtigkeitsgruppe. Deutschland ist in dieser Umfrage mit 49 Prozent im Friedenslager und 19 Prozent in der Gerechtigkeitsgruppe näher an Italien als bei der Frage nach der Kriegsschuld. Die Trennung verläuft übrigens auch teilweise nach Geschlecht: Während das Verhältnis in den anderen Gruppen gleichmäßig ist, gehören mit 62 Prozent deutlich mehr Männer als Frauen der Gerechtigkeitsgruppe an.

Was ist wichtiger: Gerechtigkeit oder Frieden?

Die Macher der Studie betonen, dass diese Ergebnisse der Haltung der europäischen Regierungen teilweise zuwiderlaufen. Bisher hat kein europäisches Land offiziell gefordert, die Ukraine solle Zugeständnisse machen, um den Krieg zu beenden. Ein Drittel der EU-Bürger, und in Italien sogar die Mehrheit, wünscht sich aber genau das. "Wenn die politischen Führer mit diesen verschiedenen Standpunkten nicht vorsichtig umgehen, könnten sie das Ende der bemerkenswerten europäischen Einheit beschwören", schreiben Krastev und Leonard.

Europäische Einigkeit herrscht jedoch bei der Frage nach den Sanktionen: 62 Prozent der Befragten möchten alle wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland kappen, selbst wenn das Klimaschutzziele gefährdet. 52 und 49 Prozent wollen allerdings auch alle kulturellen und diplomatischen Verbindungen beenden. Auch hier sind wieder die Italiener, die das nicht wollen, eine Ausnahme.

Die Wirtschaft sorgte zugleich auch für die größten Sorgen unter den Befragten: 61 Prozent hätten Angst vor steigenden Kosten und Energiepreisen, genauso viele fürchten sich vor einem Atomwaffeneinsatz Russlands. Sorgen wegen ukrainischer Flüchtlinge im eigenen Land machten sich dagegen nur 13 Prozent.

Europa zeigt in vielen Fragen noch immer eine bemerkenswerte Einheit, aber die kleinen Risse, das macht diese Studie deutlich, haben das Potenzial, die Staatengemeinschaft zu spalten, was vor allem Russland helfen würde -, und das wollen die Europäer laut dieser Umfrage gerade nicht.

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