Europäische Union:Viele Europäer würden die Ukraine aufnehmen

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Sie plädiert für baldige Beitrittsgespräche: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, hier in Kiew mit dem Präsidenten der Ukraine, Wolodimir Selenskij. (Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

Eine relative Mehrheit der Bürger aus sechs EU-Staaten ist laut einer Umfrage dafür. Insgesamt sind die Einstellungen zu einer möglichen Erweiterung der Europäischen Union allerdings gemischt.

Von Michael Schlegel

Anfang November hielt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im ukrainischen Parlament ein Plädoyer für den EU-Beitritt des Landes. Sie sei zuversichtlich, sagte sie da, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine noch dieses Jahr beginnen könnten. Fast alle Abgeordneten standen auf und applaudierten, einige hielten europäische Flaggen in die Luft. Der Auftritt ließ keinen Zweifel daran, dass die Europäische Kommission der Ukraine so schnell wie möglich den Weg in die EU ebnen möchte.

Doch die EU wäre nicht die EU, wenn die Mitgliedsstaaten da nicht noch siebenundzwanzig Wörtchen mitzureden hätten. Ihre Staats- und Regierungschefs treffen sich am Donnerstag und Freitag im Europäischen Rat und sprechen unter anderem über die Erweiterungspläne der Union. Eine Umfrage unter Bürgern von sechs EU-Mitgliedsstaaten zeigt nun, dass viele Europäer eine Aufnahme der Ukraine befürworten würden. Dennoch sieht ein großer Teil der Befragten eine Erweiterung skeptisch.

Mehr als die Hälfte der Rumänen ist dafür, neue Mitglieder aufzunehmen

Yougov und Datapraxis nahmen die Umfrage im Auftrag der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) vor. Die Institute befragten mehr als 6000 Bürger aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen und Rumänien nach ihrer Meinung zur Aufnahme von zehn Ländern in die Europäische Union. Außerdem fragte es nach der grundsätzlichen Meinung zu einer möglichen EU-Erweiterung.

Demnach sind 35 Prozent der Befragten dafür, dass die EU neue Staaten aufnimmt, 37 Prozent dagegen. Der Rest kreuzte entweder "Mir ist das egal" oder "Weiß nicht" an. Rumänen sind die stärksten Befürworter einer Erweiterung, hier liegt die Zustimmung bei 51 Prozent. In Polen ist der Wert um drei Prozentpunkte geringer. Auf der anderen Seite befürworten es nur jeweils zwischen 27 und 29 Prozent in den alten westeuropäischen Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Österreich und Dänemark, die EU zu erweitern.

Die Ukraine genießt im Vergleich zu den anderen Kandidaten die höchste Zustimmung zu einem Beitritt. Eine relative Mehrheit von 37 Prozent aller Befragten spricht sich dafür aus, 33 Prozent dagegen. Hier scheint sich der Graben zwischen den westeuropäischen und osteuropäischen Mitgliedsstaaten zumindest ein Stück weit zu schließen. Denn immerhin sind 50 Prozent der Dänen, 37 Prozent der Deutschen und 47 Prozent der Polen dafür, die Ukraine aufzunehmen, in Rumänien, Frankreich und Österreich nur jeweils um die 30 Prozent.

Viele Deutsche fürchten negative Folgen für die Wirtschaft

Allerdings sind auch 39 Prozent der Deutschen dagegen. Die Umfrage gibt Hinweise darauf, warum das so ist. 40 Prozent fürchten hierzulande, die Ukraine aufzunehmen, würde die europäische Wirtschaft negativ beeinflussen. 47 Prozent sorgen sich darum, es könnte die Sicherheit Deutschlands schwächen.

Eine schwache relative Mehrheit von jeweils 30 Prozent aller Befragten spricht sich dafür aus, die Republik Moldau und Montenegro in die EU aufzunehmen. Besonders viele Rumänen (55 Prozent) sind für eine Aufnahme ihres überwiegend rumänischsprachigen Nachbarlandes Moldau. Der kleine Staat liegt auf der Landkarte wie ein Keil zwischen Rumänien und der Ukraine, dort leben sowohl eine ukrainische als auch eine russische Minderheit.

Relative Mehrheiten aller Befragten sind gegen eine Aufnahme von Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Serbien, Georgien, Albanien und Kosovo. Ganze 51 Prozent aller Befragten sind gegen die Türkei als neues EU-Mitglied, unter den deutschen Befragten sogar 67 Prozent.

Einige Beitrittskandidaten warten seit Jahrzehnten auf eine Aufnahme

Piotr Buras vom ECFR sagte zu den Ergebnissen der von der Denkfabrik beauftragten Umfrage: "EU-Staats- und Regierungschefs sollten einen konkreten Zeitplan für die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in Erwägung ziehen." Das würde den Kandidaten ermöglichen, institutionelle Reformen abzuschließen, Resilienz aufzubauen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, wieso diese Strategie für Europa geboten sei, so Buras.

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Der ECFR unterhält Büros unter anderem in Berlin, London, Warschau und Madrid. Zu seinen Mitgliedern zählen viele aktive und ehemalige hochrangige europäische Politiker, darunter der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, die Vorsitzende des Europa-Ausschusses im ukrainischen Parlament, Iwanna Klympusch-Zynzadse, oder Dritan Abazović, der bis Oktober dieses Jahres Premierminister Montenegros war.

Einige europäische Staaten harren seit mehr als zehn Jahren als Beitrittskandidaten im Vorzimmer der Europäischen Union aus: Serbien seit 2012, Montenegro seit 2010, Nordmazedonien seit 2005 und die Türkei seit 1999. Georgien und Kosovo gelten offiziell lediglich als potenzielle Beitrittskandidaten.

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