Präsidentschaftswahl in Tunesien:Außenseiter im Finale

Präsidentschaftswahl in Tunesien: Sie kommen in die Stichwahl: Die Ergebnisse von Kaïs Saïed (links) und Medienunternehmer Nabil Karoui werden auf einer Leinwand angezeigt.

Sie kommen in die Stichwahl: Die Ergebnisse von Kaïs Saïed (links) und Medienunternehmer Nabil Karoui werden auf einer Leinwand angezeigt.

(Foto: AFP)
  • In der Stichwahl um das Präsidentenamt in Tunesien werden der Verfassungsrechtsexperte Kaïs Saïed und der Medienunternehmer Nabil Karoui gegeneinander antreten.
  • Das Ergebnis der Wahl ist für viele überraschend. Beide Kandidaten stehen in Totalopposition zum jetzigen System.
  • Saïed will dem Staat einen Teil der Macht wegnehmen. Er wettert gegen Homosexualität und will die Todesstrafe wieder einführen.
  • Karoui will das Präsidentenamt hingegen stärken. Er verbrachte den Wahltag in Untersuchungshaft.

Von Moritz Baumstieger, Tunis

Der Besitzer der Bar "Jobi" im vornehmen Küstenvorort Gammarth nahe der Hauptstadt Tunis hat sich alle Mühe gegeben, die Jugend an die Urnen zu treiben: "Wir feiern die Demokratie auf unsere Art", schrieb er in einem in Tunesien viel geteilten Facebook-Post, "und bieten unser Celtia allen, die mit geschwärztem Zeigefinger kommen, für die Hälfte an."

Celtia, so heißt die nationale Biermarke des Elf-Millionen-Staats, in dem die Bürger am Sonntag aufgerufen waren, zum zweiten Mal in freien Wahlen einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Und obwohl das Geburtsland des Arabischen Frühlings das einzige ist, in dem der Aufstand von 2011 in einer Demokratisierung mündete, war die Zahl derer gering, die ein Kreuzchen machten und den rechten Zeigefinger in langhaftende Tinte tauchten - eine Maßnahme, die Mehrfachabstimmungen verhindern soll.

Gerade einmal 45 Prozent, verkündete am späten Sonntagabend Nabil Baffoun, der sichtlich ermattete Vorsitzende der Wahlkommission ISIE, waren zur Urne gegangen.

Der führende Kandidat will die Todesstrafe wieder einführen

Wen die Tunesier auf ihren 26 Kandidaten umfassenden Wahlzetteln angekreuzt haben, darauf wollte Nabil Baffoun nicht eingehen. Denn das offizielles Endergebnis stand am Montagabend lang noch nicht fest.

Doch bereits während die Wahlkommission am Sonntagabend noch Fragen zu kleineren Unregelmäßigkeiten beantwortete - in einigen Wahlbüros war der Strom ausgefallen, man behalf sich mit Kerzen, andere öffneten zu spät, wegen Krankheit der Wahlvorstände - löste eine Hochrechnung des als unabhängig geltenden Signa-Instituts Geraune unter den Anwesenden aus.

Denn an der Spitze des Feldes lag nicht etwa Abdelfattah Mourou, der Kandidat der als gemäßigt geltenden islamistischen Ennahda-Bewegung, die als einzige über einen landesweit funktionierenden Parteiapparat verfügt. Auch der amtierende Premier Youssef Chahed und Verteidigungsminister Abdelkarim Zbidi hatten es nicht in die Stichwahl geschafft; sie galten als die aussichtsreichsten Kandidaten der Säkularen.

Was erste Schätzungen am Sonntagabend ahnen ließen, bestätigte am späten Dienstagnachmittag dann das vorläufige amtliche Endergebnis.

In der wohl frühestens Mitte Oktober stattfindenden Stichwahl werden zwei Kandidaten gegeneinander antreten, die in Totalopposition zum jetzigen System stehen: Überraschend an der Spitze liegt Kaïs Saïed mit 18,4 Prozent. Der Experte für Verfassungsrecht gibt den unbestechlichen Asketen, führte einen Wahlkampf ohne Unterstützung durch eine Partei.

Selbst die Kosten für Sprit, Kost und Logis habe sich sein Wahlkampfteam zu gleichen Teilen aufgeteilt, heißt es. Saïed will dem Staat einen Teil der Macht wegnehmen und an die Regionen geben - Überlegungen, die auch im Akademiker-Milieu gut ankamen. Kritischer sehen viele, dass Saïed in Interviews Homosexualität als eine vom Ausland beförderte Abart nannte und die Todesstrafe wieder einführen will.

Der TV-Mogul inszeniert sich in seinem eigenen Sender als Retter der Armen

Auf Platz zwei folgt mit knapp 15,6 Prozent der Medienunternehmer Nabil Karoui. Den Wahltag verbrachte der 56-Jährige in Untersuchungshaft, vor Wahlkampfauftakt war er wegen seit Jahren bekannten Vorwürfen der Geldwäsche und Steuerhinterziehung festgenommen worden. Der TV-Mogul inszeniert sich in seinem eigenen Sender als Retter der Armen, der Spenden verteilt und dorthin geht, wo sich die Elite nie blicken lässt.

Anders als Saïed will er das Präsidentenamt stärken - wenn er es denn erringen kann. Die Wahlbehörde ISIE will den Populisten nicht von der Wahl ausschließen, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Doch in der Zentrale der islamistischen Ennadha, deren Kandidat mit fast 13 Prozent knapp scheiterte, wird man eine Anfechtung der Wahl zumindest erwägen.

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