Als er Ende Juni nach einer "schweren Gesundheitskrise" aus dem Krankenhaus entlassen wurde, beschrieb die Sprecherin von Beji Caid Essebsi den Zustand des tunesischen Präsidenten als "stabil". So wollte sie das Land beruhigen, das nach dem sogenannten Arabischen Frühling zwar als einziges den Weg hin zur Demokratie gefunden hat, aber unter dem Eindruck von islamistischem Terror und anhaltenden wirtschaftlichen Problemen noch nicht wirklich stabil ist.
Wirklich erholt hatte sich Essebsi jedoch offenbar nicht: Am Donnerstagmittag verbreitete das Präsidialamt auf seiner Facebookseite die Nachricht vom Tod des 92-Jährigen. Bereits am Samstag soll das Staatsbegräbnis stattfinden.
Laut Verfassung hätte nun das Oberhaupt des Verfassungsgerichts den Parlamentschef bitten sollen, die Amtsgeschäfte für die kommenden 90 Tage zu übernehmen. Das Problem: In den fünf Jahren seit der Verabschiedung der neuen Verfassung konnte sich das Parlament nicht auf eine Zusammensetzung des Richterkollegiums einigen, bis heute existiert das Verfassungsgericht deshalb schlicht nicht. Während einzelne Abgeordnete nun erregte Debatten über eine potenzielle Verfassungskrise begannen, erklärte sich die gemäßigt islamistische Ennahda-Partei, die den größten Block im Parlament stellt, für pragmatisch: "Die Verfassung ist klar, der Parlamentspräsident übernimmt", sagte eine Parteisprecherin der Süddeutschen Zeitung. "Egal, wie genau der Machttransfer auch ablaufen mag: wir sollten uns auf den Willen der Verfassung konzentrieren."
Diese Meinung scheint der Parlamentspräsident selbst zu teilen: Bereits am Nachmittag erklärte Mohamed Ennaceur in einer Fernsehansprache, er habe das Amt kommissarisch übernommen. Er rief die Tunesier zum Zusammenhalt auf und lobte die Leistungen Essebsis.
Der 85-Jährige ist wie der verstorbene Präsident ein Veteran der tunesischen Politik und Vorsitzender der Partei Nidaa Tounes, die Essebsi 2012 gegründet hatte. Mit dieser säkularen Sammelbewegung, in der auch viele Akteure des Regimes von Diktator Ben Ali eine neue politische Heimat fanden, wollte Essebsi vor allem eines erreichen: Ein Gegengewicht zur gut organisierten Ennahda schaffen. Die bekannte sich trotz ihrer islamischen Prägung zwar immer wieder zur Demokratie, doch viele Tunesier trauten ihr selbst dann nicht, als sie 2016 die formale Trennung von politischer Arbeit und religiöser Mission beschloss.
Essebsi, der bereits unter Staatsgründer Habib Bourguiba als Minister gedient und sich unter Ben Ali aus der Politik zurückgezogen hatte, wurde nach dem Sturz des Diktators 2011 als Premier berufen. Er schaffte es, die postrevolutionäre Situation zu beruhigen und übergab später nach dem Wahlsieg der Ennahda als erster Premier der arabischen Welt an eine demokratisch legitimierte, islamistisch geprägte Regierung. Nachdem er 2014 als Präsident gewählt worden war, ging seine Nidaa Tounes im Parlament sogar eine Art große Koalition mit der Ennahda ein.
Als sich Essebsi im vergangenen Jahr mit dem einst für Nidaa Tounes angetretenen Premier Youssef Chahed überwarf, gründete der eine eigene Partei und regierte mit Ennahda weiter. Bei der für November angesetzten Präsidentenwahl wollte Essebsi aus Altersgründen nicht mehr antreten. Tunesiens Wahlbehörde stellte nun in Aussicht, die Abstimmung auf September vorzuziehen.