Kommunalwahlen in der Türkei:AKP verliert Ankara an Opposition

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  • Die Kommunahlwahl in der Türkei am Sonntag war die erste Wahl seit der Einführung des Präsidialsystems im vergangenen Jahr.
  • Die Wahl gilt deshalb auch als Gradmesser für die Popularität des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
  • In mehreren Wahllokalen kam es am Sonntag zu Gewalt, die Opposition sieht die Legitimität der Wahl beeinträchtigt.
  • Die Regierungspartei von Präsident Erdoğan verliert in der Hauptstadt Ankara und wohl auch in Istanbul die Mehrheit.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Bei der mit Spannung erwarteten türkischen Kommunalwahl hat es in der Hauptstadt Ankara nach 25 Jahren konservativer Vorherrschaft einen Machtwechsel gegeben. Auch in der Wirtschaftsmetropole Istanbul büßte die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan Stimmen ein und stellt wohl nicht mehr den Bürgermeister. Sie lag am Montagmorgen zusammen mit den verbündeten Ultranationalisten nach Auszählung von 99,86 Prozent der Stimmen hauchdünn hinter dem Kandidaten der Mitte-Links-Oppositionspartei CHP.

In einer kurzen Rede sagte Erdoğan vor dem Ende der Auszählung, er beglückwünsche alle Gewinner. Verluste müsse man akzeptieren. Wenn man das ganze Land betrachte, sei die AKP aber mit ihrem politischen Partner "mit großem Abstand" erste Kraft.

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53 ihrer Mitglieder seien in Gewahrsam genommen worden, teilt die linksgerichtete Partei HDP mit. Für Präsident Erdoğan sind die prokurdischen Oppositionellen "Terror-Liebhaber".

In Ankara setzte sich der 63-jährige Jurist Mansur Yavaş, ein früherer Militärstaatsanwalt, nach Auszählung von 85 Prozent der Stimmen mit 50,44 Prozent gegen den Kandidaten der AKP durch. Yavaş trat für das von der säkularen Oppositionspartei CHP angeführte Bündnis an.

In Istanbul blieb Ex-Premier Binali Yıldırım sehr knapp hinter seinem Konkurrenten von der CHP, Ekrem İmamoğlu, wie die Nachrichtenagentur DHA unter Berufung auf die Wahlbehörde YSK meldete. İmamoğlu war vor Kurzem landesweit noch völlig unbekannt, kommt aber auf 48,80 Prozent der Stimmen. Sein Ergebnis beschrieben Kommentatoren auch in regierungsnahen Sendern als Sensation. Yıldırım, der sich kurz vor Mitternacht bereits zum Sieger erklärt hatte, erhält bislang nur 48,48 Prozent. İmamoğlu, der einen Vorsprung von 23 371 Stimmen hat, erklärte sich in der Nacht und am Morgen ebenfalls zum Sieger.

Es war die erste Wahl seit der Einführung des Präsidialsystems in der Türkei im vergangenen Jahr. Deshalb galt sie als wichtiger Stimmungstest für Erdoğan. Der 65-Jährige stand auf keinem Stimmzettel, aber er dominierte den Wahlkampf der AKP mit seinen Auftritten und in allen großen Medien, mit einer stark polarisierenden Sprache. Die lokalen Kandidaten blieben im Schatten ihres Parteichefs.

Das größte Interesse richtete sich von Anfang an auf Ankara und Istanbul, beide seit 1994 in der Hand der Konservativen. In Istanbul war Erdoğan vor 25 Jahren selbst zum Oberbürgermeister gewählt worden, das war der Auftakt seiner außergewöhnlichen Karriere. Einen Wechsel zur Opposition gab es am Sonntag auch in der Touristenmetropole Antalya.

Im mehrheitlich kurdischen Diyarbakır erreichte die prokurdische HDP 60 Prozent der Stimmen. 2016 hatte die Regierung mehr als 90 kurdische Bürgermeister im Südosten unter Terrorvorwürfen abgesetzt und durch staatliche Verwalter ersetzt. Erdoğan hatte die HDP-Mitglieder im Wahlkampf als "Terror-Liebhaber" bezeichnet. Die HDP betonte, all ihre Kandidaten seien zur Wahl zugelassen gewesen. Im Westen empfahl die HDP die vereinigte Opposition, womit sie vielerorts Gewicht hatte, ohne selbst anzutreten.

Überschattet wurde die Wahl, zu der 57 Millionen Türken aufgerufen waren, von einem tödlichen Zwischenfall. Im ostanatolischen Malatya gab es nach einem Streit in einem Wahllokal zwei Tote. Der Chef der kleinen islamischen Oppositionspartei Saadet, Temel Karamollaoğlu, schrieb auf Twitter, die Opfer seien zwei Wahlbeobachter seiner Partei. Die beiden hätten gegen eine offene Stimmabgabe protestiert.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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